Kurzgeschichte: Angst

in #deutsch5 years ago

Ein Leben in Angst?

Aufgrund von knappen finanziellen Mitteln haben wir uns entschieden, den lokalen Bus zu nehmen von Antigua nach Guatemala City. Eine einstündige Fahrt, bei der, laut Angaben, jeden Monat irgendwann einmal ein Bus ausgeraubt werden sollte. Guatemala City, das so sehr überlastete Herz Guatemalas, ist weniger bekannt für seine aufkommenden Zonen und eindrückliche Strassenkunst als viel mehr für ihren kriminellen Ruf. Es sei, so hört frau, eine der gefährlicheren Städte der Welt.

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Der Bus kurvte sich von Antigua in Windeseile den Berg hinauf und hupte sich mitten in die Zone 3, er hätte wohl ein Rennen gewonnen, welches in des Fahrers Imagination abspielte. Wir verliessen den Bus und überquerten die Strasse, rein ins Herz. An die Busfahrten habe ich mich gewöhnt, die laute Musik, die Verkäufer, welche sich durch den komplett überfüllten Bus zu potentiellen Käufern durchkämpfen, der grobe Fahrstil, die müden Gesichter. Doch in der Zone 3 durch den Markt – das habe ich noch nicht erlebt.
Doch bevor wir im Markt landeten, liefen wir durch einige Strassen voller Automechaniker, dunklen Ecken und schmutzigen Gesichtern, welche uns erstaunt musterten.

Kopfkino

Ein Mechaniker schweisst eine Stossstange von einem Autowrack, während ein Kind weint. Eine Gestalt kommt aus der Garage, mustert meine Tasche. Ich fühle seinen Blick. Er schlendert so vor sich hin, wird er uns ausrauben? Ich höre die Geschichten widerhallen, von Überfällen, Knarren, Toten. Angst. Sein Blick haftet auf meiner Tasche, alternierend mit einem Check über die Strasse - keine Polizei.

Einige Gestalten hatten durchaus etwas dunkler gewirkt, als wir durch das Räderlabyrinth liefen. Doch keine Gestalt ist aufgetaucht, welche Anstalten gemacht hätte, uns zu belästigen.
Doch die Angst krallte sich in meine Schultern.

Wie verhalte ich mich, falls jemand auftaucht? Was würde ich wohl tun, käme jemand mit einer Pistole und bedroht mich? Würde ich rennen, was würde ich weggeben, wofür würde ich kämpfen? Würde ich überhaupt kämpfen?
Was, wenn ich kämpfe und es nicht überlebe?

Ich habe den Pass in der Hose, das Handy dürfen sie klauen, das Portemonnaie auch. Der Rucksack hat nicht viel Wertvolles. Ich gehe sämtliche Codes durch, damit ich sie auch ja noch weiss. Doch die Angst, sie spielt mit mir. Ein Geräusch, ein kalter Blick einer Person, welche gerade die Strasse überquerte. Ich erinnere mich nicht an den Code. Konzentriere dich.
Wir kamen heil und froh durch die Strassen, dann bogen wir in den Markt. Auf dem Hügel hatten Menschen kleine Lager aufgestellt, zwischen Strassen, aus einfachen Stoffen, zum Hang hinunter waren kleine Gassen und Häuser, dunkle Ecken, voller Schmutz. Nahrung für die Angst.

Kopfkino

Hier könnte ja in jeder Ecke dieser Unbekannte mit der Waffe sein, der aus Wut, Verzweiflung, Eifersucht Handlungen vollbringt. Ich gebe mein Telefon, ich zittere, ich weine, ich habe Angst. Angst, immer wieder Angst.

Der Doktor lacht und redet mit Leuten, zeigt auf Gegenstände, schaut sich um. Viele Früchte, viel Lärm und Dreck und eine heisse Mittagssonne.

Nach einstündigem Gehen durch eine eher gefährlichere Zone der Stadt fragt der Arzt mich: „Und, was denkst Du so?“. Er lächelt, ich schwitze und denke mir, dass er wohl wirklich immer meine Gedanken lesen kann.
„Naja, Angst man. Ich habe Angst vor was alles passieren könnte“ - „Oh – ich liebe es hier! Ich wünschte etwas würde passieren, und ich zaubere uns dann raus! Ich kümmere mich darum, also fokussiere dich lieber auf das Schöne. Schau mal die Bäume an!“.

Unruhig, nervös, ängstlich, schaue ich zu den Bäumen hoch, sehe, wie die Blätter durch Gottes Hand im Winde wehen. Sind wir nicht genauso, dass, wenn wir loslassen, wir wie Blätter sind und im Winde wehen, dass wir, vom Winde verweht, gehen, wohin der Wind uns trägt? Ich erinnere mich daran, dass ich im Maya Kalender wie auch als Sternzeichen das Element Wind habe – denken also. Wissend, dass ich eine grosse Fantasie habe, erinnere ich mich daran, dass im Endeffeckt ich ja doch wenig Kontrolle darüber habe, was der Wind und Gott für mich vorgesehen haben und der Angst zu folgen hält dem wenig entgegen. Ich lächle und bin für den Rest des Tages sehr befreit.

Und obwohl ich wohl tatsächlich noch einem „Kriminellen“ begegnete, der in gutem Englisch seine Knast-Stories und Theorien über die Weltordnung verlauten liess, und auch wenn ich später mit einer der vielleicht der reichsten Person des Landes zu Abend ass und sie mir eine wahre Krimi-Story aus der höchsten Klasse des Landes erzählte, nachdem sie uns mit einem Schuss-sicheren Automobil durch die Stadt fuhr, war ich doch seit dem Gespräch mit dem Doktor ruhiger. Es gehört wohl zu unserer schwersten Aufgabe, zu lernen, dass wir nicht immer in Kontrolle sein können ob unseres Lebenswandels und uns lieber auf die Liebe und das Schöne konzentrieren anstatt die Angst.

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