Der zwielichtige Lieferant

in #brennglas5 years ago

Walter, das hattest du schon besser drauf …



Ich kann nicht unbedingt behaupten, dass dieser Tag bisher optimal verlief. Zwei sich elend lang hinziehende Diskussionen, zum einen mit dem Redakteur für Überflüssiges (wie ich gerne die Artikel nenne, die als Füller neben der Werbung genutzt werden) und dann auch noch, gerade eben, den schon traditionell einzustufenden Nachmittagskaffee im angesagtesten Bistro der Stadt mit dem Herausgeber, der das BRenNgLAS am liebsten als eine Litfaßsäule an den Kiosk bringen möchte.
Kaum an der frischen Luft kommt mir auch noch wild gestikulierend Walter entgegen. Der hat mir bei meinen Planungen für einen glücklichen Tag gefehlt wie die Faust auf dem Auge. Denn, im Vergleich mit einer Berg- und Talbahn, was das emotionale Durcheinander in meinem bisherigen Tagesablauf betrifft, ist Walters Auftritt eher im unterirdischen Bereich anzusiedeln.

Walter gestikuliert grundsätzlich nie wild ohne triftigen Grund.
»Wolfram, gut, dass ich dich treffe. Ich muss unbedingt mit dir reden!«
Während er mich so begrüßt und damit alle Höflichkeiten, wie das Wünschen eines guten Tages oder die Nachfrage nach meinem derzeitigen Befinden lässig übergeht, zupft er auch schon mit einer Hand an meiner Jacke, um gleichzeitig mich näher an ihn oder er seinen Kopf näher an mein Ohr zu bekommen. Diese Geste unterstreicht wie immer die Wichtigkeit seines Anliegens, da es nur in stark reduzierter Lautstärke vorgetragen wird. Ich bin zwar überhaupt kein Freund dieser Art der Kommunikation, doch der Mann lässt sich nicht so leicht auf körperliche Distanz halten.

Erschwerend kommt außerdem hinzu, dass aus dem fast zahnlosen Mund ein Geruch strömt, der auch von der konkurrierenden Schnapsfahne nicht gemildert wird. Die Schirmmütze auf seinem Kopf ist, seit sie in Walters Besitz gelangte, garantiert noch nie die mit Wasser in Berührung gekommen. Wer diesen Mann noch nie im Leben getroffen hat, braucht sich hinsichtlich dieser Tatsache auch nicht sonderlich zu grämen. Aber wer ihn kennt, dessen Leben ist nachher nicht mehr so, wie es vorher mal war.

Walter Gratt ist, auch bei genauerer Betrachtung, nicht zu beschreiben. Diese Figur muss man live und in Farbe gesehen haben. Zu Walter Gratt gehören, neben der Schirmmütze und dem schlechten Atem, auch noch ein blauer Arbeitskittel, wie er von Werkstattmeistern oder Hobbyschraubern bevorzugt getragen wird, ausgelatschte, dunkle Lederschuhe und eine Stoffhose, die glücklicherweise nur bis zu den Knien zu sehen ist. Im Vergleich zu alldem, erscheinen seine ewig ölverschmierten Hände sogar noch fast sauber. Walter ist, so glaube ich meinen Vater mal sagen gehört zu haben, fast, oder gar genauso alt wie mein Erzeuger. Sein letzter Zahnarztbesuch muss Jahrzehnte zurückliegen. Sein letzter Gefängnisaufenthalt ist aber noch in bester Erinnerung. Dabei, und dies wird er nicht müde zu betonen, sind seine Ruhephasen mit Vollpension auf Staatskosten immer nur auf die unglückliche Verkettung fehlinterpretierter Umstände zurückzuführen. Und wahrhaftig. Seine Aufenthalte hinter fest verschlossenen Türen begrenzten sich immer nur auf die Dauer von maximal einem Jahr. So ganz nach dem Motto: Nicht lange, aber dafür eben öfter.
Wahrscheinlich kann man ihn auch nicht länger hinter Gittern belassen, da er sich nach ein paar Monaten schon so eingelebt hat, dass er mit dem Verhökern der Gefängniseinrichtung beginnen würde.

»Wolfram, in meiner Garage steht ein fast nagelneues Tischfußballspiel und ein Flipper in tadellosem Zustand.«
»Ja und? Was hat das mit mir zu tun?« Die Frage hätte ich mir getrost sparen können. Denn die Antwort darauf habe ich schon zigmal zu hören bekommen, da sie aus Walters Standard-Floskel-Repertoire nicht wegzudenken ist.
»Ganz billig. Die musst du unbedingt kaufen. Extra für dich aufgehoben. Oder kennst du jemand, der die Teile mir abkaufen will?« In Walters Satzbau wird die gemeinsame Verwendung von Subjekt, Prädikat und Objekt genau so vernachlässigt, wie die Aushändigung eines Rechnungsbeleges, nachdem man mit ihm ein »Geschäft« abgeschlossen hat.

Flipper.png

»Walter, haben sie dir eine Sparbirne implantiert oder drehst du jetzt total am Rad? Meine Frau wirft mich hochkant raus, wenn ich mit dem Schrott vor der Haustür anrücke.«
Der Straßenhändler im blauen Arbeitskittel schiebt seine Schirmmütze leicht aus der Stirn und gibt seinen drei verbliebenen Zähnen im Oberkiefer etwas Frischluft.
»Du Katzentreiber, du doofer. Du kannst doch das Zeug dem Paule in der Pilsstube mit Gewinn weiterverkaufen.«
»Und warum gehst du nicht gleich zu Paule? Ich kann es dir genau sagen. Weil du nämlich dem Automaten-Heini in Saarbrücken einen Automaten geklaut hast und ihn dann an meinen Lieblingswirt verhökert hast. Dein Pech war lediglich, dass derselbe Automatenaufsteller auch diese Kneipe unter seiner Fuchtel hat.«
»Du musst ihm ja nicht gleich unter die Nase binden, dass du die beiden Teile von mir hast.«
»Walter, tu mir einen Gefallen und geh mir heute nicht mit deinem geklauten Schrott auf den Geist. Ich habe wahrhaftig Wichtigeres zu erledigen, als für dich den schlecht bezahlten Hehler zu spielen.«
»Du Lump, dann hör dich wenigstens mal um. Ich halte die Sachen noch zwei Tage für dich zurück.«
Anreden wie Katzentreiber oder Lump verdienen in Walters Leben nur Menschen, mit denen er schon erfolgreich Geschäfte abgeschlossen hat. Diese Person ist fortan ein Mitglied im Adelstand der Klein-Kriminellen. Menschen, die Geschäfte mit ihm meiden, sind ein »Quer stehender Furz im Arsch«, während noch größere Ganoven als er, und von denen hat er auch schon einige getroffen, mit der Kennzeichnung »Balkanesischer Viehdieb« leben müssen. Die Anrede »Balkanesischer Viehdieb« hat ihren Ursprung zum daher, dass die deutsche Schulbildung und Walters Lebensweg von jeher parallel liefen und sich daher nie treffen konnten. Dazu hat er noch, bis zum Ausbruch des Krieges, als fast alle »balkanesischen« Völker vergaßen, dass es auch eine gewaltfreie Auseinandersetzung geben kann, regelmäßig Spielautomaten über die Karawanken verschachert. Auftraggeber und Drahtzieher war damals ein Barbesitzer aus der hiesigen Gegend mit rotem YU-Pass. Müßig wäre es zu erwähnen, dass die Zollformalitäten stets mit einem Griff in die mitgeführte Geschenkkiste oder in die gut gefüllte Brieftasche erledigt wurden.

Doch Walters Hauptgeschäft sind Autos. Und genau deswegen bin ich auch ein Katzentreiber und Lump. Denn Walter hat manchmal Sonderangebote, bei denen auch ich nicht widerstehen kann. Was heißt hier: nicht widerstehen können? Ich sowieso nicht. Da ich nie willig oder in der Lage bin, viel Geld für einen fahrbaren Untersatz auf die Verkaufstische zu legen.

Jedenfalls klingelte es vor ein paar Jahren am frühen Abend bei uns an der Tür und Walter stand da. Ohne große Formalitäten kam er auch damals gleich zur Sache und deutete auf einen grünen Renault 16, der auf dem Gehweg geparkt war.
»Wolfram, das ist dein neues Auto. Standheizung, tipp- top in Schuss und nur zweitausend Mark.«
Da ich Walter schon damals kannte, schien mir eine Frage geradezu angebracht: »Und die Papiere?«
»Ach Gott!« Wenn Walter so was sagt, klingt es immer so, als wolle ihm jemand was böswillig unterstellen oder als hätte er einen Zahnarzt gefunden, der ihn kostenlos behandelt.
»Alles da. Was hast denn du gedacht?« Und da meine Ente, die damals auf meine Einsatzbefehle nur noch sporadisch reagierte und mehr durch Flügellahmheit glänzte, nicht mehr als treuer Lebenspartner angesehen werden konnte, nahm ich den Renault näher in Augenschein. Walter hatte fast nicht gelogen. Das Auto stand wirklich da, wie von Liebhabern gepflegt.

Um es kurzzumachen, nach weiteren zehn Minuten hatte ich die Zündschlüssel zu einem grünen Renault 16 in der Tasche und Walter fuhr mit meinem 2CV und ein Tausend und sechshundert Mark hin zu neuen Geschäftsabkommen. Natürlich konnte auch meine Frau nirgendwo im Motorraum des Renaults eine Standheizung finden. Die hatte mein Verkäufer entweder schon ausgebaut und an einen anderen Interessenten verhökert oder mein Fahrzeugbrief kam aus der hauseigenen Druckerei.
Aber darüber will ich auch jetzt noch nicht nachdenken. Jedenfalls bin ich bis heute mit dem damaligen Geschäft zufrieden. Gegenteiliger Meinung ist sicherlich der Kunde, der bei dem Autohändler Gratt einen gut erhaltenen Mercedes der S-Klasse bestellte. Walter hatte sofort etwas parat und bat zu Übergabeverhandlungen in die beste Pizzeria in unserer Stadt. Der Mercedes stand vor der Tür geparkt, Walter genoss die formlosen Verhandlungen mit dem zukünftigen Besitzer der Luxuskarosse und machte sich gleich nach Geschäftsabschluss auf zu einem weiteren sehr wichtigen Termin.
Ich weiß wahrhaftig nicht, aus welchem Grund sich der Produzent dieser Autos unter dem Namen Mercedes-Benz vermarktet. Doch, nur mal angenommen, wenn Mercedes lediglich für das Blech verantwortlich ist und Benz für den Antrieb, war Herr Benz an diesem Abend vor der Pizzeria anderweitig beschäftigt. Denn Walter hatte still und heimlich den Mercedes ohne Motor vor das Lokal geschleppt. Dem Käufer brachte es eine neue Erfahrung und Walter eine sechsmonatige Vollpension, nachdem der Richter die angefallenen Vorkommnisse unter dem Namen Walter Gratt der letzten Jahre addiert hatte.

Aber heute beißt der Kleinganove bei mir auf Granit. Ich möchte mir auch überhaupt nicht einen Auszug aus seiner Bestandsliste anhören, was alternativ zum Flipper zum Verkauf bereitsteht. Walter trottet schlecht gelaunt in Richtung Altstadt.
Und ich ertappe mich dabei, einen Blick in Richtung Pilsstube zu werfen, die nur ein Katzensprung entfernt liegt. Fragen könnte ich Paule ja mal …

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Wieviel hat Walter bezahlt, um den Benz vor die Pizzeria schleppen zu lassen? Gibt's dafür schon 'nen Flipper? Nur so als Geschäftsidee für Paule und dich...
Seriöse Grüße,
Chriddi

Ich vergaß zu erwähnen, dass Walter seine Handlanger aus dem eigenen Nachwuchs generiert. Die passen genau in seine Fußstapfen!
Außerdem hat Paule, schon bei der Erwähnung des Namens Walter mir mit Lokalverbot gedroht.
Wie fühlen sich seriöse Grüße an?
Ich bleibe bei den lieben, die habe ich mal irgendwo kennengelernt und fand sie ganz in Ordnung.
Liebe Grüße
Wolfram

Naja, Hausverbot dürfte dem Chefredakteur des BRenNgLAS sicher nicht ganz unbekannt sein. Okay, in der Kneipe geht natürlich gar nicht ;-)

Ich weiß nicht, wie sich "seriöse Grüße" anfühlen, habe vermutlich noch nie welche erhalten. Sie kamen hier nur von jemandem, der betont, allein den Gedanken an Hehlerei überhaupt nicht gut heißen zu können, und sich selbst nur mit solchen befasst, wenn er Schüler irgendwo raushauen muss ;-)

LG, Christiane

Seriöse Grüße sollten umweltfreundlich entsorgt werden.

Guten Morgen lieber Wolfram, guten Morgen Brennglas, schöne Geschichten vom Walter. Habt einen tollen Tag. Alexa

Hallo ich bin Mikrobi,

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Ich bin ein Testbot, wenn ich alles richtig gemacht habe, findest du deinen Beitrag in meinem Report wieder.

LG

Mikrobi

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