Debunk-Donnerstag – Tattoos sind tödlich

in #de-stem6 years ago

Ich muss etwas gestehen: Ich liebe Tattoos. Hab ich schon immer. Ich empfinde größten Respekt vor den Künstlern, die stundenlang dort sitzen und ein eindrucksvolle Bilder unter die Haut zeichnen. Leider konnte ich mich bisher noch nicht tätowieren lassen. Aber das ist immer noch etwas, das ich irgendwann in meinem Leben tun möchte. Aber einige Leute haben mich davor gewarnt und mir geraten, das nicht zu tun. Vor allem, weil sie sich Sorgen um die möglichen Gefahren machen, die mit der verwendeten Tinte einhergehen. Manche behaupten, man könne krank werden und schließlich an Krebs sterben. Lasst uns herausfinden, wie viel Wahrheit in dieser Aussage tatsächlich steckt.


Inked

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Ursprünglich wollte ich heute über etwas anderes schreiben, aber vor ein paar Tagen las ich einen interessanten Artikel auf Politico(1) über die möglichen Probleme der Tinte, die oft für Tattoos verwendet wird.
Hier muss ich noch einen kleinen Rant loswerden, der nicht in der englischen Version war, da er eine deutsche Zeitung betrifft:
In der WELT ist ebenso ein Artikel über die Risiken der Tinte von Tattoos erschienen. Das ist an sich erst einmal nichts Ungewöhnliches.
Interessant wird es erst, wenn man weiß, dass dieser Artikel in der Welt, lediglich eine Übersetzung eben jenes englischen Artikels von Politico ist (möglich durch die Kooperation zwischen beiden Medien).
Der Politico-Artikel ist gut geschrieben, inklusive der relevanten Querverweise auf die erwähnten Studien/Untersuchungen.
Was macht allerdings die WELT daraus?
Übersetzt den Artikel ins Deutsche und nimmt dabei gleich mal noch alle Verweise auf eben jene Studien raus.

Ernsthaft, was soll das?
Es ist ja nun hinreichend bekannt, dass das Wissenschaftsressort der WELT eher so meh ist. Aber wenn man schon einen guten Originalartikel inklusive relevanter Quellen hat - warum muss man diesen Artikel in der Übersetzung absichtlich schlechter machen, indem man diese Quellen entfernt?
Als Autor des ursprünglichen Artikels wäre ich dezent angepisst, wenn sowas mit meiner Arbeit passieren würde - Kooperation hin oder her.
Aber gut, weiter im eigentlichen Text.

Da ich ein neugieriger Mensch bin und auch irgendwie von diesen Problemen betroffen bin (oder wahrscheinlich sein werde, sobald ich meine eigenen Tattoos bekomme), war es nur folgerichtig für mich, ein wenig tiefer zu graben. Aber dazu später mehr.
Ich persönlich war schon immer daran interessiert, was wir in unseren Körper stecken (nein, nicht DIESE Dinge, Schande über dich und deinen schmutzigen, kleinen Verstand). Deshalb habe ich viel über Ernährung, Drogen, Alkohol und so weiter gelesen. Tattoo-Tinte ist nur der nächste logische Schritt und da die meisten meiner engeren Freunde auch tätowiert sind, kann es nicht schaden, ein bisschen mehr Wissen darüber zu erwerben.
Aber wie ich bereits im Einleitungsteil gesagt habe, glauben einige Leute, dass Tätowierungen im Allgemeinen schlecht sind, weil die Toxizität der Tinte zumindest fragwürdig ist und auch mit vielen möglichen Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht werden kann. Ich tendiere dazu, mich über diese Behauptungen zu ärgern - höchstwahrscheinlich, weil sie sich auf etwas beziehen, das ich bewundere und selbst tun möchte - also musste ich um meinetwillen mehr über die Farben in Tätowierungen lernen und ob es tatsächlich echte Gefahren gibt oder ob die Leute, mit denen ich rede, nur konservative Arschlöcher ohne jeglichen Sinn für Kunst sind.
Eines scheint sicher zu sein: Das Ganze ist nicht so klar und einfach, wie manche Leute vielleicht behaupten.


Mens sana in corpore sano

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Da dies ein weiterer Artikel über die Toxizität eines Stoffes sein wird, werde ich mein Bestes versuchen, die Dinge nicht zu sehr durcheinander zu bringen, um dem ewigen Zorn unseres geliebten Go-to-Toxikologen @sco zu entgehen.

Um zu verhindern, dass dieser Artikel zu umfangreich wird und euch mit zu vielen Details langweilt, werde ich mich nur auf die Probleme im Zusammenhang mit der Tinte konzentrieren - und nicht auf andere Schwierigkeiten, die während des Prozesses der Tätowierung oder sogar danach auftreten können. Obwohl es manchmal allergische Reaktionen der Haut gibt, wenn die Tinte injiziert wird, sind diese relativ harmlos - besonders im Vergleich zu einem anderen möglichen Gesundheitsproblem, das auftreten kann: Krebs.
Also, die wichtigste Frage ist, ob eine Tätowierung tatsächlich Krebs verursacht und euch schließlich töten wird.

Um den Spaß von Anfang an zu verderben: Wir wissen es nicht - noch nicht.
Bisher gab es noch keine epidemiologischen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Tattoo-Farben und der Wahrscheinlichkeit von Krebs untersucht haben - aber nur weil etwas nicht erforscht wurde, heißt das nicht, dass es nicht existiert. Bisher sind mir keine Studien bekannt, die die Existenz von Einhörnern belegen - aber das heißt nicht, dass Einhörner nicht echt sind. Schachmatt Einhorn-Hater.
Aber was wissen wir dann?
Nun, es scheint, dass die Beweise für einen Zusammenhang zwischen Krebssymptomen (oder kutanen Malignome, um genau zu sein) eher schwach sind. Laut einer Studie von Kluger et al. im Jahr 2012 gab es nur 50 Fälle von Menschen mit Tätowierungen, die tatsächlich über diese Symptome berichteten. In Anbetracht der Tatsache, dass es buchstäblich Millionen von tätowierten Menschen weltweit gibt - scheint es eine weit hergeholte Schlussfolgerung zu sein, eine Korrelation zwischen Krebs und Tätowierungen anzunehmen, die mehr als zufällig(2) ist.
Aber die Autoren dieser Studie haben auch deutlich gemacht, dass es einfach nicht genügend Daten gibt, um eine eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen. Daher ist weiterhin Vorsicht geboten.

Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, was nach dem Tätowieren tatsächlich passiert, ist es hilfreich, sich in vivo Studien mit Mäusen genauer anzusehen. In einer dieser Studien verwendeten die Forscher Tätowierfarben auf der Haut von Mäusen und benutzten anschließend UV- oder Laserlichtquellen, um zu beurteilen, wie die Tinte auf die Lichteinwirkung reagiert(3). Ihre Ergebnisse waren bemerkenswert. Nach 42 Tagen war die Menge der verbliebenen Farbpigmente auf der Haut der Mäuse um 32% reduziert - das heißt, diese 32% waren in andere Körperteile "gereist" (oder besser gesagt, sie waren aufgelöst), meist zu den Lymphknoten und vielleicht sogar in einige andere Organe. Aber es steckt noch mehr dahinter. Durch die Zugabe von UV-Licht konnte die Menge der ursprünglich eingespritzten Farbpigmente um 60% reduziert werden. Mehr als die Hälfte der Tinte - Woosh. Weg. Bei einer Standardtätowierung mit etwa 250 mg Tinte, die in den Körper gespritzt wird - bis zu 32 % davon (etwa 80 mg) genießen eine Reise zu den Lymphknoten oder sogar 150 mg werden durch UV-Licht zersetzt - diese Pigmente werden in möglicherweise krebserregende Amine zerlegt. Autsch. Selbst wenn es bisher keinen klaren Zusammenhang zwischen Krebs und Tätowierungen gibt (vor allem wegen fehlender Daten), ist es nicht ganz dumm, zumindest einige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.

Aber damit nicht genug. Es gibt noch mehr Probleme. Im Gegensatz zu den meisten Kosmetikprodukten, die sehr strengen Richtlinien folgen müssen, um die menschliche Gesundheit nicht zu gefährden - wird Tattoofarbe bisher nicht als kosmetisches Produkt betrachtet. Darüber hinaus ist die üblicherweise verwendete Tinte ursprünglich nicht für die Injektion unter die menschliche Haut hergestellt worden, sodass es an medizinischer Reinheit mangelt. Dies ist wahrscheinlich einer der Hauptgründe, warum es tatsächlich einige Probleme und negative Gesundheitsreaktionen im Zusammenhang mit diesen Tinten geben kann. Sie sind in erster Linie nicht für den menschlichen Gebrauch bestimmt, sondern in der Regel für andere Zwecke bestimmte Produkte der chemischen Industrie.

So, alles ist abgefuckt und meine Tattoos werden mich irgendwann wirklich umbringen?
Entspannt euch. Wie gesagt, es gibt Millionen von tätowierten Menschen da draußen und die meisten von ihnen kommen ganz gut zurecht. Also, ihr werdet wohl auch ganz gut damit klarkommen. Um euch ein wenig zu beruhigen, könnt ihr euch eine weitere Studie mit Mäusen ansehen. Diese ist relativ neu und die Forscher verwendeten absichtlich verbotene Tinten, um zu prüfen, ob diese tatsächlich krebserregend sind oder nicht(4).
Nun, trotz der sehr umfangreichen Tätowierung ging es den Mäusen relativ gut. Natürlich ist dies auch kein eindeutiger Beweis dafür, dass diese Farben (oder andere) niemals Krebs verursachen werden - denn die Stichprobengröße war klein und, falls ihr das nicht wusstet, Mäuse sind keine Menschen.
Außerdem ist zu beachten, dass die krebserregenden Elemente, die höchstwahrscheinlich in den Lymphknoten ruhen, permanent sind. Das heißt, dies kann ein Grund für ein lebenslang erhöhtes Risiko(5) sein, an Krebs zu erkranken - auch wenn dies nicht unbedingt durch diese Elemente verursacht wird, da der konkrete Mechanismus noch nicht vollständig geklärt ist.
Eines ist sicher: Mehr Forschung ist nötig.


Incorpus

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Also, was ist der Take-Away dieses Artikels? Werden wir alle sterben? Ja. Das wird höchstwahrscheinlich passieren. Wird das durch Tätowierungen geschehen? Vielleicht, aber wahrscheinlich doch nicht. Im Moment gibt es einfach nicht genügend Daten, um einen eindeutigen Schluss zu ziehen, ob die für Tätowierungen verwendete Tinte so gefährlich ist, wie manche glauben mögen.
Aber wir wissen, dass diese Tinte eigentlich gar nicht für Injektionen in den menschlichen Körper gedacht ist. Das ist eine Tatsache. Und der Mangel an medizinischer Reinheit der Tinte ist definitiv etwas, das man beachten sollte, wenn man sich entscheidet, sein eigenes Stück Körperkunst zu erwerben. Das Aussehen des Körpers zu verändern ist definitiv nichts, was eine einfache Entscheidung sein sollte und man sollte sich gleichzeitig der möglichen Risiken bewusst sein.

Aber. Das Leben ist generell riskant. Vieles, was wir tun, kann sich nachteilig auf unsere Gesundheit auswirken - aber wir tun es trotzdem, denn es ist ein wesentlicher Teil unseres Lebens und der Erfüllung unserer Sehnsüchte. Was in meiner Welt ok ist. Tätowierungen sind definitiv nicht völlig risikofrei - aber ohne Risiko, wo wäre da der Spaß?


Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und bleibt skeptisch.

@egotheist


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Quellen

(1) Tattoo ink and EU regulations | (2) Tattoos and cancer | (3) Tattoo ink and light | (4) Banned ink and cancer | (5) Life-long cancer risk


Debunk-Donnerstag

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sehr schöner Post ;)

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Sehr interessanter Beitrag! Tatoos haben ja meines Wissens nach auch eine sehr lange Geschichte. Wie man in Vikings sieht hatten ja schon die Wikinger Tätowierungen:D .

Tja ja, Vikings bildet eben das harte, reale Leben ab :D



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