✍ TOD & SUIZID -- eine existentialistische Betrachtung (mit ALBERT CAMUS & Co) -- Teil #5

in #deutsch5 years ago


4. Camus‘ Lösungskonzept


##4.1. Sisyphos’ kämpfendes Herz

Da sich Camus nun gewiss ist, dass die beiden Arten des Selbstmordes aus den oben genannten Gründen absolut abzulehnen sind, stellt sich ihm die Frage, ob man trotz der absurden Gewissheit unwiderruflich leben kann und inwiefern eine „Wiederherstellung“ auszusehen hätte. Sprich :: Was könnte dem Menschen ein regelmäßiges Mehr an Kraft bieten, um weiter sein Leben zu bestreiten und dabei der unausweichlichen Fatalität des Todes erhaben entgegen zu treten? —

Camus veranschaulicht einen wesentlichen Teil seiner Lösung im folgenden Abschnitt, indem er sich des Mythos von Sisyphos bedient:

»[…] Und nun sieht Sisyphos, wie der Stein im Nu in jene Tiefe rollt, aus der er ihn wieder auf den Gipfel wälzen muß. Er geht in die Ebene hinunter. Auf diesem Rückweg, während dieser Pause, interessiert mich Sisyphos. Ein Gesicht, das sich so nahe am Stein abmüht, ist selber bereits Stein! Ich sehe, wie dieser Mann schwerfälligen, aber gleichmäßigen Schrittes zu der Qual hinuntergeht, deren Ende er nicht kennt. Diese Stunde, die gleichsam ein Aufatmen ist und ebenso zuverlässig wiederkehrt wie sein Unheil, ist die Stunde des Bewußtseins. In diesen Augenblicken, in denen er den Gipfel verlässt und allmählich in die Höhlen der Götter entschwindet, ist er seinem Schicksal überlegen. Er ist stärker als sein Fels. Dieser Mythos ist tragisch, weil sein Held bewußt ist. Worin bestünde tatsächlich seine Strafe, wenn ihm bei jedem Schritt die Hoffnung auf Erfolg neue Kraft gäbe? Heutzutage arbeitet der Werktätige sein Leben lang unter gleichen Bedingungen, und sein Schicksal ist genauso absurd. Tragisch ist es aber nur in den wenigen Augenblicken, in denen der Arbeiter bewußt wird. [s. Céline] Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage: über sie denkt er während des Abstiegs nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.« (MvS S.99)

Diesem etwas langen Ausschnitt zufolge ist der hoffnungslose Mensch nur dann in der Lage sich aus der nihilistischen Gefangenschaft zu befreien, wenn er sich gegen sein Schicksal auflehnt; es verachtet. Camus ruft zur Revolte auf, denn nur im Kampf gegen die Sinnlosigkeit kann sich der Mensch behaupten ohne das Absurde aufzulösen. Er schafft sich trotz der Unmöglichkeit einer Versöhnung mit dem Leben, einen neuen Lebenssinn, in welchem sich Mut, Stolz und eine neu gewonnene Freiheit die Waage halten. —

Sisyphos, der nun aufgrund seiner Lebensbejahung stärker als sein Fels ist, braucht keine Hoffnung auf Erfolg oder dessen Sicherheit; allein die aus der Revolte erwachsene Überlegenheit gilt ihm schon als Sieg. Der Wille zum Kampf ist sein Triumph und obwohl er sich seiner Lage vollends bewusst ist, ist Sisyphos dennoch zufrieden, weil er sich mit seiner Situation abgefunden hat und daraus das Beste machen will. Das ständige Bewusstsein dieser Überlegenheit und der stete Wille zur Auflehnung schaffen die nötige regelmäßige Krafterneuerung. —


4.2. Der „quantitative Lebensstil“

Weil die Qualität einer Heilslehre (Glückseligkeit in alle Ewigkeit, etc.) durch die absurde Einsicht ihre Bedeutung verliert und somit auch alle von dieser Heilslehre propagierten moralischen Werte, bleibt dem Mensch, der einer „montaigneschen Redlichkeit“ gemäß dem Gebot Camus’ »mit dem auszukommen, was unmittelbar evident ist« (MvS S. 55) folgt, nichts anderes als die Vielfalt des Lebens auszukosten.

Infolge des Qualitätsverlustes zählt für Camus, durch leidenschaftliches Verlangen begründet, nämlich nur noch ein „quantitativer Lebensstil“ – d.h. »so lange wie möglich zu leben« (MvS S.55) , dabei so intensiv wie möglich zu leben und generell ein Maximum an Erfahrungen zu erreichen.


[FORTSETZUNG FOLGT...]



ENDE Teil #5


LITERATURVERZEICHNIS

CAMUS, Albert
Der Mythos von Sisyphos
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 1960, Reinbek bei Hamburg

CÉLINE, Louis-Ferdinand
Reise ans Ende der Nacht
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2. Auflage 2005, Reinbek bei Hamburg

de MONTAIGNE, Michel
Von der Freundschaft
Deutscher Taschenbuch Verlag, 4. Auflage 2006, München

MÖLLER, Ferdinand (Hrsg. und Übers.)
L’Art de Vivre. Citations françaises
Die Kunst zu leben. Französische Zitate
Deutscher Taschenbuch Verlag, Originalausgabe 1986, München

NIETZSCHE, Friedrich
Werke II
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976

NIETZSCHE, Friedrich
Werke III
Ullstein Verlag, Frankfurt/M, KGA, Nachdruck der 6. Auflage von 1969; 1976

SARTRE, Jean-Paul
Der Ekel
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 46. Auflage 2003, Reinbek bei Hamburg

VOLTAIRE alias François Marie Arouet
Candid und andere Erzählungen
Ausgabe für Bertelsmann Reinhard Mohn OHG; Rest nicht ersichtlich

von GUENTHER, Johannes (Hrsg.)
Religiöse Lyrik des Abendlandes
Ullstein Verlag, Frankfurt/M , 1. Auflage 1958


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