"Ich bin Diaspra"//(50) Kapitel 6: Teil 3
„Aber dann..“
„...dann sind wir so gesehen Kollegen.“ Er beendete meinen Gedankengang. Dann griff er in die Tasche seiner Uniform. „Übrigens habe ich noch etwas für dich. Bitte verstehe es nicht falsch...“
Er hielt mir einen kleinen, in einem Tuch verpackten, Gegenstand hin, den ich neugierig beäugte. Vorsichtig schlug ich es auseinander und starrte Balthazareon entgeistert mit großen Augen an.
Das konnte er nicht ernst meinen! Verwirrt nahm ich einen kleinen Ring in die Hand und betrachtete ihn misstrauisch. In der Mitte befand sich ein goldener Edelstein, der von silbernen, diamantbesetzten Ranken gehalten wurde.
Er schaute verlegen an mir vorbei. „Ich weiß wie das jetzt aussieht... Aber das da ist alte Xeadnar-Kunst. Wir nennen ihn Auge von Ealores, wo genau er herkommt weiß niemand, er befindet sich seit vielen Jahrtausenden im Besitz meiner Familie.“
Behutsam nahm er den Ring und schob ihn an meinen Finger. „Er gehört dir, ich kann es nicht erklären, aber es scheint Ealores Wille zu sein, dass du ihn trägst.“
Ich hob meine Hand und betrachtete das funkelnde Schmuckstück. Dass dieser Ring über Tausend Jahre alt sein sollte, sah man ihm in keinster Weise an. Im Gegenteil, er schimmerte als hätte man ihn eben erst geschliffen.
„Wie kann ein Stern etwas wollen?“ Fragte ich vorsichtig und wieder huschte ein Grinsen über Balthazareons Gesicht.
„Ealores ist nicht einfach nur ein Stern. Ich weiß nicht wie man es in Worte fasst aber du wirst verstehen was ich meine, wenn wir im Caenyus-System sind. Ealores hat dich als Patronin ausgewählt, genau wie er zu mir spricht. Weshalb Ealores möchte dass du Xeadnar-Schmuck trägst, weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass das Auge von Ealores seit Generationen an den nächsten Thronfolger weitergegeben wird, ihn bisher aber niemals jemand trug, deshalb sieht er noch immer aus wie neu. Bis heute jedenfalls.“
Das reichte, mehr wollte ich nicht hören. Niemals konnte ich solch ein Geschenk annehmen! Dieser Ring musste ein Vermögen wert sein.
Entschlossen griff ich nach ihm um ihn abzunehmen, doch so leicht wie er an meinen Finger geglitten war, ließ er sich nicht mehr lösen. Ich zog etwas stärker doch alles was ich dadurch erreichte war, dass mein Ringfinger schmerzte. Es brachte nichts, ich bekam ihn nicht über meinen Knöchel, ohne Seife würde ich wohl nicht viel erreichen.
Balthazareon sah mir zu und sein Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an. „Wie hast du das gemacht?“ Fragte ich mit einem Anflug von Ärger. Weshalb konnte Balthazareon ihn mir so einfach anlegen, in die andere Richtung aber bewegte er sich keinen Millimeter?
Ich gab enttäuscht auf, betrachtete den Stein noch einmal und zuckte schockiert zusammen. Der Stein veränderte sich und ich bildete mir ein, in seinem Inneren umhertanzende, gold-orange Flammen zu sehen.
Es war, als brannte er doch ich spürte keine Hitze. Balthazareon sah es ebenfalls und hielt meine Hand ehrfürchtig ins Licht. „Das ist unmöglich...“ Vor sich hin murmelnd fixierte er den Stein und beobachtete das Feuer in dessen Inneren. „Ich dachte es wäre eine Legende..“
„Was ist los?“ Unterbrach ich seinen Monolog ängstlich.
Irgendetwas stimmte hier nicht, das war nicht zu übersehen. Auch Bathazareons Blick hatte sich verändert wie ich erschrocken feststellte, als er nun nicht mehr den Stein sondern mich ansah. Das tiefe Türkis seiner Augen wirkte bläulicher als sonst und ich bildete mir ein, für einige Sekunden so etwas wie Wellen darin zu erkennen. So schnell es begonnen hatte, so schnell verschwand es auch und Balthazareon schien wieder normal.
Er selbst hatte scheinbar nichts davon mitbekommen. Vielleicht hatte ich es mir doch nur eingebildet?
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging er endlich auf meine Frage ein. „Die Prophezeiung...“ Meinte er. „Die Katastrophe die Asgeanus zerstören soll.“ Ich verstand nichts. Weshalb redete er nicht einfach Klartext?
„Was ist damit?“ Ungeduldig hakte ich nach und er begann zu erzählen.
„Die Prophezeiung besteht aus drei Strophen. Leider sind sie in einem Dialekt verfasst, der mit heutigem Zentralasgeanisch kaum noch vergleichbar ist.
Die erste Strophe ist entschlüsselt, die zweite immerhin in Bruchteilen. Die dritte gibt uns jedoch bis heute Rätsel auf. Warte kurz, ich hole etwas.“
Er stand auf und lief zu seinem Arbeitszimmer. Als er im anderen Raum verschwunden war hielt ich den Ring erneut ins Licht und betrachtete den Stein. Nun allerdings sah ich keine Flammen sondern das ursprüngliche, goldene Funkeln. Wieder brach sich das Licht in alle Richtungen, doch das Feuer blieb verschwunden.
Aber hatten wir es nicht beide gesehen? War es nur eine optische Täuschung? Balthazareon kam zurück und brachte ein schweres Buch mit.
Auch dieses hatte einen Ledereinband, ähnlich wie das Lexikon, unter dem ich meine Speicherkarte gestern verstecken wollte. Er setzte sich, legte es auf seinen Schoß und schlug es auf. Ein Lesezeichen markierte die gesuchte Seite und ich konnte eine Art Gedicht sehen. Zumindest hielt ich es für ein Gedicht, denn leider verstand ich nichts. Es war auf Asgeanisch verfasst.
Balthazareon las es vor und übersetzte die Zeilen für mich:
Was unten ist ist oben, was oben war zerfällt.
Nass wird was einst Wüstensand, trocken ruht der Meeresboden.
Leben wird zu Tod.
Bloß Terras ruht derweil.
Nur Feuer kann das Leid beenden – beschützt vom Ozean;
Der Patron wird Frieden spenden, Caenyus überdauert all.
Wasser wird das Feuer binden, wie Verath einst Merall.
Wie uralte Bastionen die neuen Künste stehn;
Was einst ward vergessen, wird neuen Glanze sehn.