"Noah - One day of eternity"// Kurzgeschichte

in #deutsch6 years ago

girl-60676_960_720.jpg

Verschlafen wälzte das Mädchen sich in ihrem Deckenlager. Die Sonne schien bereits durch das kleine, scheibenlose Fenster und warf ein helles Licht in den engen, nur durch eine Holzwand vom Rest der Hütte abgetrennten, Raum.
Noah kroch noch etwas tiefer unter ihre weichen Decken, doch zum Weiterschlafen war es bereits zu warm.

Noch einmal rollte sie sich etwas enger zusammen und kniff die Augen zu um nicht von der Morgensonne geblendet zu werden. Doch es half alles nichts, sie konnte nicht wieder einschlafen.
Langsam, gegen das grelle Sonnenlicht blinzelnd stand sie auf, streckte sich und gähnte herzhaft.

Nachdem sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten lief sie eilig zu der schon bereitgestellten Schüssel in der Ecke und tauchte ihre Hände in das noch erfrischend kühle Wasser. Dann fuhr sie sich mit den nassen Händen über ihr Gesicht, streifte ihr Leinennachthemd über den Kopf und Schlüpfte in ein bodenlanges, hellbraunes Kleid –ihrem Lieblingskleid.

Dann warf sie einen Blick durchs Fenster, auf den ruhig daliegenden, verstaubten Steinweg.
Außer ein paar verirrten Hühnern und einem alten Mann der auf seiner klapprigen, alten Bank den Koran las sah sie noch niemanden.
Auf Zehenspitzen durchquerte sie ihr kleines Zimmer und lauschte an dem als Tür dienenden Stoffvorhang. Außer einem leisen klappern, die Tante machte wohl Frühstück, war auch in der Hütte noch alles still.

Vorsichtig schob sie den Schweren Vorhang ein wenig zur Seite sodass sie hindurchschlüpfen konnte.
Die Großtante saß an einem niedrigen Holztisch und schnitt selbst angebautes Gemüse.
Als sie die Kleine bemerkte sah sie auf und lächelte.

„Setz dich doch. Ich habe gerade die Möhren geschält.“

Dieser Aufforderung kam das Mädchen sofort nach. Sie liebte die im eigenen kleinen Garten angebauten Dinge.
Sie ließ sich auf ein kleines, am Boden liegendes Kissen fallen und griff nach einer der Karotten. Dass die Mohrrübe eher klein und verschrumpelt war störte sie nicht im Geringsten. Etwas anderes war sie nicht gewohnt, denn in dieser trockenen Umgebung wuchs kaum etwas.
Auch die Kartoffeln waren eher klein und gummiartig. Aber besser als nichts. Bis zur nächsten Stadt war es weit und ohne Esel und Wagen lohnte sich dieser Weg nicht. Nur zweimal im Monat kam der fahrende Händler vorbei.

Mit großem Appetit bis sie in das zähe Gemüse.

Die Großtante wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Nach dem Essen ging das Mädchen wieder zu ihrem Zimmer, setzte sich an ihr schmales Holzregal und zog die Kiste mit ihren Spielsachen hervor.
Viel befand sich nicht darin. Sie besaß lediglich einige Buntstifte die ihr die Tante vor ein paar Jahren bei dem Händler gekauft hatte, einen kleinen Porzellanelefanten, eine handvoll Murmeln und selbst gebastelte Puppen.

Sie nahm drei der Puppen und setzte sich in eine schattige Ecke an der Fensterwand. Heute spielte sie Schule. Zwei der Puppen waren die Schüler und die andere, die Größte, spielte die Lehrerin. Da das Haus kein Fundament besaß, sondern auf dem blanken Boden errichtet wurden war, konnte sie einfach einen Holzstock nehmen und in den sandigen Boden schreiben wie mit Kreide an eine Tafel.
Natürlich hatte sie noch nie an einer echten Tafel geschrieben, aber sie hatte einmal ein Bilderbuch indem eine Schule und ein Klassenzimmer abgebildet waren.

Etwas eigene Kreide besaß sie auch. Ein Junge aus dem Nachbardorf hatte es ihr vor wenigen Wochen geschenkt.
Heute spielte sie dass ihre Puppen das Schreiben lernten. Sie kratze einige der Buchstaben die ihr bekannt waren in den harten Boden.

„Noah, würdest du schnell zum Brunnen laufen und Wasser holen?“

Die Stimme ihrer Tante drang durch den Vorhang. Mit einem Mörser zerdrückte die alte Frau etwas Reis in einer Lehmschüssel.
Das kleine Mädchen ließ ihre selbstgebastelten Flachspuppen zurück in die Holzschachtel fallen.
Schnell stand sie auf und verlies die Lehmhütte.

„Natürlich Tantchen. Ich werde mich beeilen.“

Die Tante lächelte ihr nach.
Vor dem Haus blieb Noah stehen und sah sich um. Suchend glitt ihr Blick über den alten Schuppen und die rostigen Fahrräder an der Straße. Dann sah sie den alten Blecheimer. Er lag verkehrt herum neben einem Haufen Schafswolle. Vorsichtig hob sie ihn auf. An der Seite fraß der Rost bereits kleine Löcher hinein.
Lange könnten sie diesen Eimer nicht mehr nutzen.

Fröhlich vor sich hin summend sprang die Kleine den Hauptweg zur Dorfmitte entlang. Links und rechts standen Lehmhütten, ähnlich wie die Ihrige.
Vor einer der Hütten blieb sie kurz stehen.
Vorsichtig, darauf bedacht keinen Lärm zu machen, linste sie durch das kleine Fenster ins Innere. Auf dem Boden lagen Samir und seine Schwester Nabawija. Nabawija las in einem kleinen Bilderbuch und Samir malte mit seinen Buntstiften ein Bild.

Die beiden waren Noahs beste Freunde. Mit Nabawija hatte sie schon so manches Abenteuer erlebt.
Aber jetzt wollte sie die beiden nicht stören. Sie hatte ja eine Aufgabe zu erfüllen.
Zügig lief sie weiter.
Sie musste bis zur Mitte der kleinen Siedlung, dort befand sich der Wasserbrunnen. Der Einzige im Dorf.
Jeder kam hierher um sein Wasser zu holen.

Noah band ihren Eimer an das dafür vorgesehene Seil und lies ihn dann hinab. Sie hörte wie der Behälter auf das Wasser aufschlug.
Mit einem glucksenden Geräusch versank er.
Noah wartete einige Momente, dann versuchte sie die schwere Kurbel zu drehen. Sie musste sich mit ganzer Kraft dagegen stemmen damit das Stahlgewinde sich überhaupt bewegte.
Sie stöhnte. Die Kurbel ächzte.

Endlich war es ihr gelungen den Eimer bis zur Hälfte hinaufzuziehen, dann brauchte sie eine Pause. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und lies sich auf den Kies fallen. Wie sehr sie die alte Kurbel doch hasste.

„Masa al-xair!“
Verwundert sah sie den fremden Mann an.

„Masa an-nur.“ Erschöpft erwiderte sie den Gruß.

„Soll ich dir helfen?“ Er reichte ihr die Hand. „Steh auf.“

Sie gehorchte.
Der Fremde trat an die Kurbel und drehte sie hinauf. Dann löste er den Knoten und reichte dem kleinen Mädchen ihren Wassereimer.
Dankbar nahm sie ihn entgegen.

„Shukran.“

Wieder sah er sie an. „Hast du es weit bis nach Hause? Soll ich dir helfen?“

Verlegen zwirbelte Noah an einer Haarsträhne. Wie oft hatte ihr die Großtante gesagt sie solle nicht mit Fremden mitgehen… Doch das Angebot war zu verlockend. Sie war völlig am Ende und die Sonne brannte noch immer so heiß…

Er schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Wo wohnst du denn, kleine?“
Noah warf ihm ein unsicheres Lächeln zu und wies den schmalen Kiesweg hinauf.

„Ganz am Ende der Straße.“

Er nickte. „Möchtest du was trinken?“

Die Kleine wusste nicht was sie darauf erwidern sollte. Ihre Tante würde mit Sicherheit nicht erlauben dass sie einen Unbekannten um Hilfe bat.
Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Nein, Nein. Bis nachhause ist es nicht weit. Solange halte ich es aus.“

Er nahm den schweren Eimer und zusammen liefen die beiden den Weg zurück zur Hütte.
Neugierig beäugten die anderen Menschen den großen, fremden Mann neben der kleinen Noah. Doch keiner sagte etwas.
Keine fünf Minuten später hatten sie ihr Ziel erreicht. Die Großtante wartete bereits am Fenster. Sie sorgte sich schon, denn normalerweise brauchte ihre Nichte nie solange um Wasser zu holen.

Als sie den Fremden mit dem Wassereimer erblickte kam sie aufgeregt hinaus. Schnell nahm sie ihm den Behälter ab und stellte ihn neben die Eingangstür.
Dann legte sie dem Mann die Hand auf die Schulder und bedankte sich überschwänglich.

„Das war doch nichts Besonderes!“ Meinte er nur.

Aber die Tante blieb hartnäckig. Noch ehe er protestieren konnte hatte sie ihn in die Hütte geschoben.
„Bitte bleiben Sie doch zum Essen.“

Um nicht unhöflich zu erscheinen nahm er die Einladung letztendlich an. Zu dritt saßen sie nun um den kleinen Esstisch und Löffelten ihren Reiseintopf.
Noah beobachtete den Fremden die ganze Zeit und ihre Großtante bemühte sich, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
Sie befragte ihn nach seiner Herkunft, doch er erwiderte lediglich.

„Von weit her.“

Nach einer Weile gab die Frau es auf und sie aßen in Stille weiter. Das einzig vernehmbare Geräusch war das Kratzen der Tonlöffel in den Tonschüsseln.
Während dem Essen ließ Noah den Fremden keinen Moment lang aus den Augen. Es kam selten Besuch in diese kleine Siedlung, und wenn doch, dann war es bloß der Händler oder ein Nachbar aus einem nahegelegenen Ort.
Noch nie war jemand unbekanntes hier aufgetaucht.
Der Mann bemerkte Noahs bohrenden Blick und lachte sie freundlich an.

„Was ist denn los Kleine?“

Schnell sah sie beschämt zu Boden, denn sie wusste genau dass es unhöflich war andere Leute anzustarren. Aber der Fremde nahm es gelassen, wandte sich noch einmal seinem Essen zu und stand dann auf und lief durch die Hütte.
Irritiert beobachtete die Großtante ihn.

„Die Trennwand sieht nicht mehr sehr stabil aus.“ Murmelte er.
Mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Vorsichtig betastete er das marode Holz.

„Ich würde es gern reparieren.“

Überrascht blickte die Tante ihn an. „Was?“

„Es wird nicht mehr lange standhalten. Ich möchte es erneuern.“

Noah glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Der Fremde wollte ihre Trennwand wieder stabiler machen? Momentan sah die Holzwand tatsächlich aus als würde sie den nächsten Sturm nicht überstehen.

„Aber das geht nicht!“ Erwiderte die Tante energisch und fügte etwas milder hinzu: „Das kann ich nicht von Ihnen verlangen…“

Er winkte heftig ab.
„Ach was, Sie haben mich zum Essen eingeladen und dafür möchte ich mich erkenntlich zeigen.“

Noah stand mit geöffnetem Mund nur da und betrachtete ihn. Er fuhr sich durch sein etwas längeres, dunkelbraunes Haar und bevor die Großtante noch etwas hätte erwidern können hatte er bereits den einzigen Hammer und eine kleine Schachtel mit Nägeln gefunden.

„Gibt es noch mehr Holz?“ Er nahm einige, etwas besser erhaltene Holzbretter aus der Ecke neben der Trennwand und begann sie nebeneinander auf den Boden zu legen.

„Wir haben hinter dem Haus noch einen Stapel Holz…“ Erklärte Noah vorsichtig.

Der Fremde nickte wieder gut gelaunt und ging nach draußen. Die Wand zu reparieren würde nicht lange dauern, danach wollte er sich das nur dürftig zusammengenagelte Ziegengehege vornehmen.
Er trug noch einen weiteren Stapel Bretter hinein und begann sofort mit der Ausbesserung der instabilen Stellen.

Noah sagte während der gesamten Zeit nichts, sondern schaute ihm ungläubig bei der Arbeit zu. Auch die Tante verfolgte die Situation wortlos. Unfähig etwas zu sagen standen beide da.
Nur kurze Zeit später war die dünne Holzwand so gut ausgebessert, dass man problemlos einen Gegenstand, wie zum Beispiel einen Besen oder eine Leiter dagegen lehnen konnte, ohne dass es bedrohliche ächzte und knackte.
Als er auch noch einen kleinen Nagel einschlug und eins der wenigen, von Noah auf Papier gezeichneten Bilder, in einen provisorisch, aus Holzabfällen zusammen gezimmerten, Bilderrahmen an die Wand hing quietschte die Kleine vor Freude.

Der Großtante standen Freudentränen in den Augen. Sie allein hätte diese alte Wand niemals reparieren können. Sie ging zu dem Fremden und umarmte ihn dankbar.
Er jedoch lächelte bloß wieder und ging nach draußen, hinter das Haus, direkt zu der Ziegenweide.

„Nein, Nein!“ Die Tante lief hinterher. „Sie können doch jetzt nicht auch noch….“

„Doch ich kann!“ fiel er ihr lachend ins Wort. „Geben sie mit etwa eine halbe Stunde und das Gehege kann wieder völlig problemlos verwendet werden."

Ohne noch etwas zu sagen begann er die kaputten Bretter durch neuere zu ersetzen und die hervorschauenden Nägel so zu verkrümmen dass sich die Tiere nicht mehr verletzen konnten.
Als er auch diese Arbeit beendet hatte ging er zurück ins Haus. Mittlerweile war es bereits Abend.

Noah saß mit ihren bunten Murmeln auf dem Boden und spielte. Die Tante fegte den Boden mit einem Strohbesen und ließ den Staub aufwirbeln.
Als er eintrat stellte sie den Besen zur Seite und deute ihm sich zu setzen. Doch er winkte ab.

„Ich habe keine Zeit mehr.“

Noch bevor Noah oder ihre Tante etwas sagen konnten war er verschwunden.
Und mit ihm versank die Sonne hinter dem Horizont.

10 Stunden vorher

„Dylan! Runter!“ Der Soldat stieß seinen Kollegen unsanft zur Seite. Eine Kugel flog nur wenige Zentimeter an ihm vorbei.

Keiner hatte mit diesem Überfall gerechnet, die Truppe war beinahe im Schlaf überrascht wurden.
Um das gesamte Lager herum hatten sich kleine Kämpfe entwickelt und die Situation hatte sich in ein einziges Chaos verwandelt.

Der diensthabende Offizier fuhr sich gehetzt durch sein braunes Haar. Außer einer Hose und einem etwas zu Weiten Shirt in sandfarben trug er nichts. Nicht einmal zum Schuhe anziehen hatte die Zeit gereicht.
Er kam sich ungewohnt unbeweglich vor auf dem steinigen Boden. Sein Kollege Dylan befand sich nun im Nahkampf mit einem der Angreifer.

Schnell lud der Offizier seine Waffe erneut und wich einem weiteren Schuss aus. Bald würde Verstärkung eintreffen. Den Notruf hatten sie bereits vor einer halben Stunde gesendet. Lange sollte es nicht mehr dauern bis die Kampfhubschrauber von der benachbarten Basis eintreffen würden.

Der Angreifer kam auf ihn zu gerannt.
Gekonnt wich er mit einem Sprung zur Seite aus, dann trat er dem Angreifer mit einer gekonnten Bewegung gegen das Schienbein. Der Mann ging zu Boden.
Der Offizier nutze die Chance und schlug ihn mit seiner Waffe bewusstlos.

Dann erschienen die erwarteten Hubschrauber -endlich- am Horizont. Zunächst noch kaum wahrnehmbar, doch schon bald gut sichtbar und schnell größer werdend, kamen sie näher.
Erleichtert atmete der Soldat auf. Sie hatten es geschafft.

Die Ersten Angreifer zogen sich bereits zurück, auf dem Weg in das schützende Gebirge einige hundert Meter weiter.
Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze war beinahe unerträglich.

Doch dann hörte er hinter sich ein klicken, noch bevor er sich umdrehen konnte gaben seine Beine unter ihm nach. Im nächsten Moment lag er auf dem Boden. Der Schuss hatte ihn in der Kniekehle getroffen.
Sein Kollege warf ihm warnende Rufe zu, doch er konnte nichts tun.
Die nächste Kugel traf ihn in der nähe des Herzens.

Er hatte keine Schmerzen, doch alles um ihn herum versank in Schwärze. Dann lief auch dieser Angreifer davon.
Die Sanitäter waren sofort zur Stelle, doch der Offizier war bereits zu schwach und erlag noch am selben Abend seinen Verletzungen.

11000 Kilometer weiter, in einem riesigen, sehr luxuriösen Apartment, wälzte sich eine junge Frau unruhig in ihrem Bett. Wie immer waren die New Yorker Straßen hell erleuchtet und der Schein einer Straßenlaterne vor ihrem Schlafzimmerfenster fiel auf das Foto auf dem Nachtschrank.

„Ethan, ich liebe dich!“ Verschlafen griff sie zu dem Bild und betrachtete es. Sie stand mit ihrem Mann vor der Freiheitsstatue. Auf dem Arm trug er die kleine Tochter.
Das braune Haar hatte sie von ihm. Sie küsste das Bild und schlief mit dem kühlen Rahmen im Arm ein.

Foto: Pixabay

Sort:  

Das möchte ich erstmal sacken lassen.

Für ein "Dankeschön" reicht's aber bereits.

Vielen Dank! :)

Coin Marketplace

STEEM 0.25
TRX 0.11
JST 0.032
BTC 61618.64
ETH 3009.45
USDT 1.00
SBD 3.78