Gebrauchsanleitung für einen Tag mit dem Gütesiegel “herrlich”

Ganz oben auf der Liste meines Wunschzettels für den gestrigen Sonntag, der mich auf meine Reise nach Südeuropa begleiten durfte, stand ein schöner Sonnenaufgang, den ich bei einer Tasse Kaffee auf der Terrasse unserer Freunde, die uns derzeit beherbergen, genießen wollte. Danach sollte es dann einfach nur noch besser werden, eigentlich aber genau wie der Plan, den mein Wunschzettel vorgab.

Anscheinend hatte der Sonntag die Sache mit dem Urlaub und meinen Ansprüchen an diesen aber etwas falsch verstanden, denn er empfing mich und mein Minirudel mit einem bedeckten Himmel und einem Tropfenmeer, das sich nach einem heftigen nächtlichen Regenguss noch fest an die Gräser und die Blätter der Bäume der naturbelassenen Streuobstwiese auf dem Grund unserer Freunde klammerte. Ehrlich gesagt verzog sich mein frühmorgendliches Gesicht derart, dass selbst ein Emotionslegastheniker die darin geschriebene Enttäuschung umgehend lesen konnte.
Doch schnell besann ich mich meines festen Vorsatzes, mich im Urlaub über rein gar nichts aufzuregen, gar in schlechte Laune treiben zu lassen. Durch einen verhangenen Himmel an einem Sonntagmorgen mit noch kaum erfüllten Wünschen sowieso nicht.

So bat ich also den Sonntag, mir beim Frühstück Gesellschaft zu leisten und dabei ganz gelassen darüber zu plaudern, was er denn zu tun gedenke, meinen immerhin universal ausgesprochenen Wünschen in irgendeiner Form zumindest ansatzweise gerecht zu werden. Während wir einige Ideen für ganz passabel erachteten, wurden andere aus den unterschiedlichsten Gründen verworfen. Derweil der Uhrzeiger gelangweilt seiner üblichen rechten Wege ging, nahm der Wetterfrosch doch tatsächlich seine kleine Leiter, stellte sie an den Rand seiner gläsernen Behausung und kletterte Sprosse um Sprosse nach oben. Gleichzeitig rissen die Wolken auf, die Sonnenstrahlen sorgten für die ersten Schattenbilder des Tages und die Feuchtigkeit erhob sich in Form kleiner Nebelschwaden ganz langsam vom Boden und ließ das kleine Tal zu unseren Füßen wie ein weißes Meer erscheinen.
Alles Gründe, den Sonntag vorzeitig mit einem dicken Kuss und einer herzlichen Umarmung zu belohnen - alles richtig gemacht! Statt der Urlaubslektüre griff ich mir die Wanderschuhe. Dies ist eine Tätigkeit, die meinen großen Hund normalerweise in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Gestern jedoch nicht, denn ganz offensichtlich hatte sich da jemand, den es galt, gut im Auge zu behalten, in seinen Urlaub geschlichen.

Früher oder später sollte er sich wohl entscheiden, wer mehr Abwechslung verspricht - Frauchen oder der Neue mit dem desinteressierten Blick.
Da das Quecksilber im Thermometer sich bereits der 20 näherte, sah ich keine weitere Veranlassung, den Tag sitzend zu verbringen. In meiner Phantasie streichelte ich bereits über die ersten braunen Köpfe der Herbst-Steinpilze, die im nah gelegenen Wald mit Sicherheit nur auf mich warten würden.
Letztlich reichte ein kleiner Hinweis auf die Leckerlis in meinem Rucksack und schon setzten sich zwei Geschöpfe in Bewegung, die begehrten Waldfrüchte zu suchen, wobei ich mir nicht ganz sicher sein konnte, ob das vierbeinige Exemplar sich wirklich für Pilze begeistern lassen würde.

Nun, außer einem alten Butterpilz und einem angenagten Milchling schienen die Pilze gestern den Sonntag an einer anderen Stelle zu genießen. Nicht aber dieser kleine Geselle, der mit viel Elan entweder auf dem Weg zur Verwandtschaft oder auf der Suche nach Futter war.

Bevor ich meinen kleinen Bericht aus dem Urlaub abschließe, möchte ich euch noch etwas verraten: Mein ob der Nässe angeblich keine Lust auf einen Waldspaziergang verspürender Koch hatte augenscheinlich mehr Glück beim Aufspüren der bemantelten (nicht purpurrot) Wald- und Wiesenmännlein als ich, denn bei meiner Rückkehr wartete ein köstliches Steinpilzrisotto auf mich.

Genau so kann sich ein Tag, dem du später das Gütesiegel “herrlich” verleihen wirst, langsam verabschieden.

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8.10.2018

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