Opa ist halt so!

in #deutsch5 years ago

Ich hatte keinen richtigen Opa in meiner Kindheit. Meine Großmutter väterlicherseits war Alleinerziehende, schon viele Jahre. Meine Großmutter mütterlicherseits hatte in reifen Jahren neu geheiratet. Ihr Mann war uns Kindern gegenüber unnahbar und kein echter Großvater für mich.
Umso mehr berühren mich Geschichten in denen das Verhältnis anders war.
"Opa ist halt so", ist eine neue Geschichte die mir vor ein paar Tagen eine Freundin erzählte.
Respektvoller Umgang mit Demenz... wie Kinder halt so sind!
Viel Freude beim lesen!

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Opa ist halt so!

Das Trippeln auf städtischem Pflaster hatte Opa nicht verlernt. Körperlich war Opa sehr, sehr fit, aber hat immer alles vergessen. Er musste immer raus, los gehen und wollte nach Hause. Wandern und Weglaufen ist eine häufige Form von Unruhezuständen Demenzerkrankter. Aber das wusste Vera nicht, wenn sie mit Opa zu tun hatte. Sie erinnere sich noch sehr gut daran. Im Augenblick fand er hier auf heimischem Strassen und Wegen die leichten, langen Wanderschritte wieder, die die Kinder mit viel Mühe lernen müssen, um ihm folgen zu können. „Wir Kinder wurden immer hinter her geschickt und mussten ihm sagen wo es lang ging“, erzählt sie mir respektvoll.

Die Wegkreuzung auf der Strasse, in der einst Fleischereien oder Bäckereien ihre bescheidenen Waren angeboten hatten, war jetzt von einer lärmenden Schar von Autos und Menschen versperrt. Nun wusste Opa nicht mehr weiter.

„Opa, hier gehts zurück“, sagte Vera ihm.
Er hörte nicht auf seine Enkeltochter Vera und benahm sich komisch.
Da dreht sich Opa um und schimpft: „Was wollt ihr fremden Kinder von mir?“

Er war anstrengend wenn er seine Enkeltochter Vera nicht erkannte. „Aber Opa war halt so“, berichtet sie weiter. Und irgendwo war auch eine gewisse Spannung dabei. Opa war anders als andere und das war spannend. Vera hatte ihren Opa sehr gerne.

Manchmal hat Opa Vera erkannt und war wieder ansprechbar. Dann wusste er wo er war. Wo er wieder helle und im Hier und Jetzt steckte. Das gab es auch immer mal wieder. Dann ging Opa auch von alleine mit zurück.

Wenn Opa nicht mit zurück gegangen ist, sind die Kinder ihm einfach weiter hinter her gelaufen.
Sie haben ihn im Blick behalten, um einfach zu wissen wo er hin geht. Irgendwann kam er an die nächste Ecke wo er nicht mehr weiter wusste. Nach der zweiten oder dritten Weggabelung wusste Opa gar nicht mehr wo er war. Und dann ist er doch mit Vera mit gegangen. Einfach, weil er es nicht besser wusste.

Wenn alles nichts half, sagte Vera dann: Da gehts lang. Oma wartet schon auf dich.
„Hä? Wer ist Oma?“, das verstand Opa auch nicht.
Die Kinder haben immer mit ihm geredet. Da geht es lang. Dort ist es schön. Du musst da mit hin.

Zwischendurch kamen auch Momente, wo Opa wieder Bescheid wusste. Die Kinder hatten viel Geduld für ihn und es als eine willkommene Abwechslung, fast wie ein spannendes Spiel betrachtet. Bei Räuber und Gendarm wurde auch immer irgendjemand gesucht und verfolgt. „So ähnlich war das mit Opa“, kichert Vera beim erzählen.

„Opa war halt so! Als Kind nimmt man das auch so hin“, sind ihre letzten Worte.

Sort:  

Danke für's Teilen dieser Geschichte, die in mir einiges auslöst. Auch ich habe/hatte Verwandte mit Demenz, die aber seit Jahren allein lebten und daraufhin ins Heim kamen, als es mit der eigenen Versorgung nicht mehr ging. Meine Großtante ging auch schon mal stiften - vor allem nachts - und fast immer ohne Schlüssel der Mietwohnung. Die Nachbarn im Hause haben immer aufgemacht, aber irgendwann war der Punkt erreicht, wo es zuviel war.
Und jetzt sehe ich hier auf dem Land wieder viele Senioren allein leben nach dem Tod des Partners - mit unterschiedlicher Fitness. Vor einem Jahr stürzte eine dieser Bekannten, zufällig in der Woche, in der ich als Praktikantin in der Notaufnahme des Kreiskrankenhauses war. Die in Mitleidenschaft gezogene Schulter ist nie ganz verheilt. Eins ihrer Kinder wohnt 60-100 km weit weg - weitaus weniger weit, als ich von meinen Eltern getrennt lebe, aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist auch das schon ganz schön weit.

Danke dir für deine Offenheit.
Ich finde gute Nachbarschaftsverhältnisse für solche Fälle sehr hilfreich. Mit denen kann man sich vernetzen, auch wenn man weiter weg wohnen sollte. So halten wir es mit dem Schwiegervater im Moment. Die Adresse in Jackentaschen ist auch immer sehr hilfreich. Wenn man die Menschen findet, weiß man wenigstens wo sie hin gehören.

Schöne Geschichte, danke dir. Tja, Kinder haben noch Kontakt zu ihrem Herzen und handeln entsprechend. Heute fehlen sie in fast jedem "Straßenbild" und unsere Gesellschaft muss ohne diese kindlichen Qualitäten auskommen. Schade! LGG

Ich weiß was du meinst. Aber mir fallen spielende Kinder neuerdings immer öfter auf. Ich denke es ist auch eine Frage wo man wohnt, in der Stadt oder auf dem Land.

Wahrscheinlich hast du Recht...Bei uns gibt es jedenfalls jede Menge Spielplätze, die tagsüber leer sind und dann auch oft von Jugendlichen genutzt werden.

Guten Morgen Sylvia, danke für diese anrührende Geschichte. Wünsche Dir einen schönen Tag. Liebe Grüße Alexa

Hallo Sylvia,

sehr einfühlsam und rücksichtsvoll auf eine Situation eingegangen, wie sie nicht menschlicher sein kann.
Das ist zumindest ein Resteem wert.

Liebe Grüße
Wolfram

Dankeschön. Ich wünsche mir viel mehr Menschlichkeit in unserer Gesellschaft. :-) Das ist mein kleiner Beitrag dazu.

Kinder sind einfach die besseren Menschen! Danke für die Geschichte - resteem!

Kinder werden auch immer öfter in Altenheime geholt. Wir haben im Heim jetzt auch einen Patenschaft mit einem Kindergarten. Die Kids kommen zu Fasching mit ihren Kostümen das erste Mal zu uns. Ich freue mich schon darauf. Auf die leuchtenden Augen der "Alten".

Sehr tolle Geschichte. Und dennoch Respekt vorm Alter

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Danke fürs Teilen. Eine schöne, bewegende Geschichte. Und zuletzt, es könnte jeden von uns treffen.

Ja, aber Angst muss man davor keine haben.

Ich war 5 Jahre in einer Demenz-Station Pfleger. Soviele Geschichten mit dieser verfluchten Krankheit miterlebt, es ist traurig anzusehen was diesen Menschen am Ende ihres Lebens nach Kriegen,Entbehrungen und leid noch passieren musste. Ich hoffe diese Krankheit wird bald nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sein ... :´(

Vielleicht gibt es Demenz nicht mehr, wenn die ganzen Kriegserlebnisse ausgewachsen sind?, frage ich mich manchmal. Wir sind eine andere Generation. Gott sei dank. Und haben ganz andere Themen. Aber verdrängen müssen wir nichts mehr, wie die Kriegsgeneration es noch tat.

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