Mein Geschichtsverständnis 2.2

in #deutsch6 years ago (edited)

Hier findet ihr Teil 1 und Teil 2.1.

Mein Geschichtsverständnis 2.2

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Foto von mir.

Der Punkt Aufklärung ist nicht so leicht zu erklären. Der Grundgedanke der Aufklärung ist ja das vernünftige Handeln. Wer gemäß der Vernunft handelt, handelt quasi richtig.
Und das ist teilweise falsch!

Der Aufklärung unterlief nämlich ein Fehler. Und zwar einer, den sie gar nicht sehen konnte.
Das Problem ist, dass sich Vernunftgründe schnell finden lassen. Doch wie entscheidet man nun? Wie entscheidet man das der eine Grund schwerer wiegt als der andere, dass der eine „richtig“ und der andere „falsch“ ist.
Man nehme als Beispiel die Flüchtlingskrise.
Man findet leicht Vernunftgründe die für eine schließen der Grenze sprechen, wie man auch Gründe findet, die für offene Grenzen sprechen. Allein, wie entscheidet man?
Frage. Wenn die Vernunft der Maßstab ist, nach dem ich urteile, und beide Seiten vernünftig argumentieren, wie kann ich dann eine Entscheidung treffen?

Wie also entscheidet man?
Man muss sich ja nur selbst fragen. Wie entscheide ich? Entscheidest du, weil du vernünftig handelst, oder basierend auf einem Wertekanon? Und zwar deinem persönlichen Wertekanon!
Für die Aufklärer war das so gedacht, dass man durch die Vernunft den höherwertigeren Vernunftgrund erkennen könnte. Bei Kant z. B. übernimmt diese Aufgabe die Urteilskraft. Doch was ist Vernunft eigentlich?
Vernunft ist die Fähigkeit des Menschen Dinge zu erkennen! Etwas zu erkennen bedeutet allerdings nicht ein Werturteil zu fällen! Und ob ich etwas tue oder nicht, hängt ganz maßgeblich davon ab, ob ich es als etwas Gutes oder als etwas Böses bewerte.
Für das 18. Und 19. Jahrhundert war das noch nicht das große Problem. Man war sich zwar nicht immer einig darüber WAS man tun sollte, doch war man sich meistens darüber einig WIE man es tun sollte. Doch in dieser Zeit, etwa bis 1850, waren die Menschen noch primär abendländisch geprägt. Damit meine ich, dass ihr Wertekanon, also das was man tuen sollte und was man lassen sollte, sehr ähnlich war. Mit dem Kommunistischen Manifest von 1848 und der Märzrevolution 1848/49 begann eine bedeutende Entwicklung. Nämlich das Auseinanderbrechen des verbindenden Wertekanons unseres Kulturkreises.
Hierin, so denke ich, liegt der Fehler der Aufklärung. Das Konzept des vernünftigen Handelns, der „Ausführung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, funktioniert nur innerhalb eines Wertekanons. Treffen mehrere Wertekanons aufeinander, im schlimmsten Fall völlig von Moral und Ethik abgelöst, hilft Vernunft kein bisschen weiter.
Daher täuscht der Eindruck bei vielen Diskussionen und Debatten mitnichten. Die Protagonisten reden tatsächlich aneinander vorbei.

Und deshalb scheitert auch die Geschichtswissenschaft. Bei ihrer Begründung berief sie sich auf die Vernunft der Aufklärung. Als allerdings mit der Zeit der Werteverfall zu einem Zerbrechen des einigenden Bandes führte, wurde es nahezu unmöglich historische Ereignisse vernünftig zu interpretieren.

Ich möchte das Geschriebene gerne an zwei Beispielen veranschaulichen. Zum einen an der Flüchtlingskrise, und zum anderen an den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

Zur Flüchtlingskrise.
Die einen befürworten offene Grenzen. Sie tun dies hauptsächlich mit dem Argument, dass man Menschen in Not helfen sollte. Dies sei eine Menschenpflicht. Amüsanter Weise argumentieren dann sogar Christenhasser auf einmal mit der Nächstenliebe. Egal.
Grundsätzlich kann ich das nur unterschreiben!
Die andere Seite befürwortet geschlossene Grenzen. Sie tun dies hauptsächlich mit dem Verweis auf geltendes Recht und die Verpflichtung des Staates seine Bürger zu schützen. Amüsanter Weise argumentieren dann sogar Staatsverweigerer auf einmal mit Law and Order.
Grundsätzlich kann ich auch das nur unterschreiben!
Findet man eine Lösung? Nein!
Warum nicht? Weil für den einen das Helfen von anderen wichtiger ist als das Schützen der eigenen. Und weil den anderen das Schützen der eigenen wichtiger ist als das Helfen der anderen. Dies sind allerdings beides Werturteile und keine Vernunfturteile!
Würde man nämlich vernünftig argumentieren, müsste man konstatieren das beide Recht und Unrecht haben, Stichwort Schlüsselloch.
Denn um diese Krise zu lösen müsste man „nur“ die Spreu vom Weizen trennen. DAS wäre vernünftig! Doch stattdessen wollen die einen die Grenzen einreißen und die anderen Gräben aufschütten. Nicht aus Vernunftgründen, sondern, weil sie davon überzeugt sind das richtige zu tun.
Doch BEIDES sind nur Extreme! Hier offenbart sich die ganze Tiefe der Kluft zwischen unterschiedlichen Wertvorstellungen.

Hiroshima und Nagasaki.
Was war das Ziel der USA? Die bedingungslose Kapitulation Japans und so wenig eigene Verluste wie nur irgend möglich. Selbst General Eisenhower gestand ein, dass Japan im Sommer 1945 zum Frieden bereit war, nicht jedoch zu einer bedingungslosen Kapitulation.
Wie also erreicht man eine vollständige Unterwerfung, pardon, bedingungslose Kapitulation?
Man zwingt den Gegner dazu!
Wie zwingt man den Gegner dazu?
Man massakriert seine Leute. Und das so lange bis er sich unterwirft. Verzeihung, kapituliert!
Wie massakriert man seine Leute am effektivsten?
Durch Flächenbombardements, ähm, ich meinte natürlich, Atombomben. Wobei im Falle Japans sogar beides zutrifft!
War es also eine vernünftige Entscheidung, nicht eine richtige, nicht eine ethisch-moralische, sondern eine vernünftige Entscheidung, Atombomben einzusetzen um Japan zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen?
Ja!
Hier offenbart sich der ganze Abgrund rein vernünftigen Handelns. Moral und Ethik kommen darin nicht vor, und so sieht dann auch die Welt aus!

Wer will findet dergleichen Beispiele noch und nöcher.
Ich denke, dieses Grundproblem ist eine der ganz großen Tragödien unserer Zeit. Alle Möglichkeiten haben, und doch keine Lösung finden zu können!
Es ist halt doch nicht ganz falsch, wonach Geschichte die Lehre vom Unglück der Menschheit ist.

Vielen Dank für euer Interesse!

Parzifal

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Es ist ganz einfach, jegliche Art von politischer Entscheidung, Darstellung Form, System etc, ist reine Makulatur " Wir leben in einer Diktatur des Geldes" alles andere (auch Wahlen) ist nur noch Affentheater und reine Ablenkung.

Danke für deinen Reply!

Es stimmt. Wir leben in einer schweren Zeit in der Geld eine Bedeutung beigemessen bekommt die ihr so nicht zusteht.
Umso wichtiger ist es zu verstehen wie solche Entwicklungen von statten gehen, und wie sie durchaus auch gelenkt werden können.
Denn eines ist klar. Wer auch immer an den Geldschleusen sitzt, diejenigen haben das ganz genau im Blick!

Hier offenbart sich der ganze Abgrund rein vernünftigen Handelns. Moral und Ethik kommen darin nicht vor, und so sieht dann auch die Welt aus!

Der beste Satz in meinen Augen. So wahr und leider so traurig!

Danke für deinen Reply.
Es hat halt alles seine Tücken. Seine Vorteile und seine Nachteile.

Hallo Reinhard,

deine bewusst unterschwellige Suggestion, die Christen seien die Erfinder der Menschenpflicht und Nächstenliebe, kann ich mit einem Blick zurück (auch bis in die Zeiten, als der Verein gegründet wurde) natürlich nicht unkommentiert lassen. Ich wüsste nicht, durch welche menschlichen Wohltaten sich die Vereinsmitglieder besonders hervorgetan haben?
Wahrscheinlich hat sich Eisenhower noch vor dem Abwurf seiner tödlichen Last in die Kapelle begeben und ein kurzes Gespräch mit Gott gesucht. Perversität kennt keine Grenzen.
Warum pochten die so christlichen Amerikaner auf die bedingungslose Unterwerfung Japans? Vielleicht, und das ist, was ich eher glaube, war ihnen Japan scheißegal?! Sie wollten mit ihrer Bombe aus der Wüste Nevadas raus und das Ding am lebenden Objekt testen.

Und was die Flüchtlings-Debatte, bzw. unser Handeln in dieser Angelegenheit, betrifft: Wer und wie soll denn die Spreu vom Weizen trennen? Natürlich wirst du genügend "Experten" finden, die sich dieser Aufgabe gewachsen fühlen, doch wärst du froh, falls du mal selbst in Not gerätst, nie auf solche Typen zu treffen.

Grüße
Wolfram

Danke für deinen Reply!

Da hast du mich falsch verstanden.
Wer auf der Flucht ist dem gehört geholfen!
Wer ein Terrorist oder Verbrecher ist dem gehört nicht geholfen. Sondern ins Gefängnis!
Und wer nur nach Europa einwandern will kann jederzeit einen Antrag auf Einwanderung stellen. Dazu muss nicht ein einziger Schwarzer übers Meer schippern. Und dabei vielleicht ersaufen! Die einzigen die das wollen sind die, welche daran verdienen oder davon, politisch und wirtschaftlich, profitieren!
Was denkst du den wozu es Armeen gibt? Nein, nicht zum schießen! So viele Menschen sind nach Europa gekommen? Ui, schick die Armee und bau Zeltstädte und innerhalb eines Monats haben alle eine Bleibe. Werden alle versorgt, werden alle medizinisch betreut und haben ein Dach über dem Kopf das auch noch Winterfest ist. Und ja, DANN kann man auch die Spreu vom Weizen trennen.
Und auch dann hätte man erst das akute Problem gelöst. Das chronische ist wieder eine andere Baustelle.
Ich gebe dir ein gutes Beispiel was ich meine. Österreich 1956, Ungarnkrise.
Als die Sowjets den ungarischen Aufstand niedergeworfen hatten, flohen rund 200.000 Ungarn innerhalb weniger Tage und Wochen nach Österreich. 2015 kamen 100.000 Flüchtlinge das ganze Jahr über an.
Was hat man also gemacht? Man hat Lager gebaut und alle Flüchtlinge dorthin gebracht, weil man sie so leicht versorgen konnte. Und nach und nach hat man sie dann aus dem Lager gelassen, sie konnten ein neues Leben beginnen und haben sich schließlich integriert. War eine schwierigere Situation als heute und sie wurde gemeistert!
Das Problem liegt ja nur darin, dass die einen wie die anderen zu faul sind das zu tun. Die einen, weil sie vor lauter "ich muss die Sünden der Vergangenheit rein waschen" nicht sehen das sie die Fehler der Vergangenheit gerade wiederholen. Die anderen, weil sie vor lauter Selbstgerechtigkeit und Pseudovernunft ebenfalls dabei sind die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.
Und ich behaupte das tun sie mit Absicht, weil so blöd sind die Politiker nicht. Moralisch korrupt ja, aber nicht dumm!

Man kann nicht alle retten. Man kann nicht allen helfen.
Das ist übrigens DER Grundgedanke der Nächstenliebe. Denn wer ist den dein Nächster? Ein Syrer, ein Schwarzer, ein Amerikaner? Oder deine Frau, deine Nachbarn, deine Familie und Freunde?
Das Problem mit Nichtchristen, und auch vielen Christen selbst, wenn sie von Nächstenliebe reden, ist das sie nie darüber nachgedacht haben wer das eigentlich ist, der Nächste. Das ist nämlich jeder!
Und Nächstenliebe kann man nur dann vergeben wenn man sich zuallererst SELBST liebt. Sich selbst zu lieben bedeutet allerdings nicht nur an sich zu denken, sondern es bedeutet sich anzunehmen mit allen seinen Stärken und Schwächen. Denn erst wenn du weißt wer du bist, was du kannst und was nicht, kannst du dich selbst, und damit ein Stück der Welt, zum besseren verändern.
Und ja, Christus hat die Nächstenliebe "erfunden". Nicht Buddha, nicht Mohammed, Krishna, Odin, nicht Konfuzius, Sokrates, Aristoteles, Kant, Marx, oder Merkel, sondern Christus!

Was der Verein tut? Er versorgt die Hungernden. Er pflegt die Kranken und besucht und begleitet die Gefangenen. Er bereitet den Obdachlosen ein Dach über dem Kopf. Er kümmert sich um die Weisen, unterrichtet die Kinder. Lebt im Einklang mit der Natur und lehrt die Achtung vor der Schöpfung. Das alles, und noch mehr tut dieser Verein schon seit es ihn gibt.

Gruß
Reinhard

Es läuft wieder wie geschmiert!

Du weißt selbst, dass in den Momenten, in denen Menschlichkeit gefragt ist, du und ich gleich entscheiden würden.
Ich lege lediglich einen Scheit Holz ins Feuer, damit ein so guter Beitrag nicht bereits nach 24 Stunden vergessen ist.
Was den Verein betrifft: Ich gehöre der schreibenden Zunft an und habe leider meine Nase und meine Augen an Stellen und Plätzen gehabt, an denen das Wort Lebenserwartung nicht mit einer Jahreszahl in Verbindung gebracht werden konnte. Die Recherchen über die Rolle der Kirche vor Ort und ihrer Subunternehmen füllen Ordner und die Betroffenen hat es am Glauben zweifeln lassen.
Das ist leider die Realität.

Gruß
Wolfram

Ist das nicht eigentlich schade?

Ich denke mir sowas auch oft.
Ich frage mich immer selbst was hat die Kirche mit dem Glauben zu tun? Warum soll ich an Gott verzweifeln, wenn es nicht er ist der da etwas verwerfliches tut, sondern Menschen. Und auch ein Priester ist letztlich "nur" ein Mensch. Und das bedeutet er kann Fehler begehen, unwissentlich genauso wie wissentlich. Nur wiegen ihre Fehler schwere, das ist gewiss, denn von ihnen kann man zurecht erwarten, dass sie es besser wissen sollten!
Jedenfalls habe ich irgendwann beschlossen mir meinen Glauben nicht madig machen zu lassen. Glaube und Kirche sind für mich zwei Paar Schuhe. Und ich denke es tut dem Blutdruck ganz gut hier eine Unterscheidung vorzunehmen.
Deswegen gehe ich auch vor dem Gottesdienst in die Kirche. Ich bevorzuge nämlich eine stille Kirche zum Zwiegespräch :)

Gruß
Reinhard

Jedenfalls habe ich irgendwann beschlossen mir meinen Glauben nicht madig machen zu lassen.

In der Richtung hast du von mir sicherlich nichts zu befürchten. Und was Gott betrifft, sowieso nicht.
Der ganze Rest ist nichts anderes, als ein knallhartes Geschäft.

Gut dann belassen wirs dabei :)

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