Was ist Zufall Teil 2?

in #deutsch6 years ago

Um auf die Frage, welche wir in Teil 1 angerissen haben, eine befriedigendere Antwort zu bekommen, schauen wir doch an mal was die Wissenschaft dazu zu sagen hat. Tja und welche Wissenschaft könnte darauf eine Antwort geben? Richtig, die Mathematik weiß bestimmt Rat.
Auf steemit habe ich des Öfteren schon gelesen, dass man unter keinen Umständen sagen sollte, man ist nur des Geldes wegen hier. Das möchte ich natürlich an dieser Stelle nicht vertiefen. Mich beschäftigt eine andere Frage. Warum hat die Mathematik damit angefangen sich mit dem Zufall zu beschäftigen? Ganz genau, wegen des Geldes. ;)

Stochastik für Einsteiger

Ein für unsere Frage wichtiger Zweig der Mathematik ist die Stochastik. Stochastik ist ein Oberbegriff für Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Beides kann durchaus mit Geld zu tun haben, wenn es zum Beispiel um Versicherungsmathematik geht. Und beides beschäftigt sich mit dem Zufall oder den Versuch des Menschen dem Zufall auf die Schliche zu kommen1,5.
Falls ihr mal an die Schule zurück denkt, dann habt ihr bestimmt als Einsteigerbeispiele Würfel, Karten, Roulette, Münzen oder Lose gehabt. Die gleiche Idee haben auch Mathematiker gehabt. D.h. die ersten Versuche den Zufall zu berechnen waren glücksspielinspiriert. Ein Stochastikdozent meinte mal zu seinen Studenten, dass sie mit Würfeln und Bier gut bedient seien.
Für die Nerds habe ich jetzt noch eine Folie mit den wichtigsten mathematischen Inhalten dieses Abschnittes.

folie 1.pngFolie 1 1,6

Die ersten Gehversuche machte die Wahrscheinlichkeitsrechnung bereits in der Antike. Aber die eigentliche Geschichte spielt sich im 17. bis 19. Jahrhundert ab. Neben Glücksspielen gab es aber noch andere Triebfedern (Versicherungswesen, Bevölkerungsstatistik, Renten, Fehlerrechnung etc.), welche den Bedürfnissen der Zeit geschuldet waren.
Der Mathematiker Pascal wurde in den Fünfzigerjahren des 16. Jahrhunderts von einem Freund, der Spieler war, dazu inspiriert zusammen mit Fermat die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu etablieren. Auch Huygens war ein wichtiger Bestandteil dieser Entwicklung. Beide benutzten interessanterweise den Ausdruck "Wert der Hoffnung" für etwas das wir heute als Erwartungswert bezeichnen würde2.
Um diesen Ausdruck zu verstehen, brauchen wir einige Begriffe. Nach Kolmogorow brauchen wir erst mal die Ergebnismenge Omega und Ereignisse. Ereignisse sind mögliche Ausgänge. Zum Beispiel "eine 6 geworfen" oder eine gerade Augenzahl beim Würfeln. Diese möglichen Ausgänge sind alle Teilmengen der Ergebnismenge4.
Eine Wahrscheinlichkeit wiederum ist ein Maß, welches den Axiomen von Kolmogorow entspricht und jedem Ereignis eine Zahl zwischen 0 und 1 zuordnet4. Bei einem Münzwurf könnte man dem Ereignis Kopf den Wert 0.5 und dem Ereignis Zahl auch die 0.5 zuordnen. Ich erspare euch jetzt mal die Axiome an der Stelle. Kenner haben aber bestimmt genau wie ich noch Alpträume von Sigmaalgebren. :)
Eine Zufallsvariable ist eine reelle Zahl, die an ein Ereignis gekoppelt ist. Zum Beispiel der Gewinn oder Verlust bei einem Glückspiel. Ein anderes Beispiel wäre die Augensummer beim Wurf zweier Würfel (siehe Folie 1)1.
Der Erwartungswert ist dann so etwas wie der Mittelwert über die möglichen Werte einer Zufallsvariable. Beim Glückspiel mit einer Zufallsvariable, die Gewinn bzw. Verlust misst, würde mir der Erwartungswert sagen, ob ein Spiel rentable ist oder nicht. Ist der Erwartungswert negativ, würde man auf lange Sicht eher verlieren. Bei einem positiven Erwartungswert rentieret sich ein Spiel schon eher. Bei einem Erwartungswert von 0 spricht man auch von einem fairen Spiel (siehe Folie 1). Bei den nach Bernoulli benannten Bernoullie-Ketten ist beispielsweise E(X)=np1.
War also für Pascal und seine Zeitgenossen der Zufall etwas worauf man hoffen oder nicht hoffen kann? Immerhin war der Erwartungswert ein "Wert der Hoffnung".
Jakob Bernoulli gelang es Wahrscheinlichkeiten so zu definieren wie wir sie uns zum Beispiel bei einem Würfel oder einer Münze vorstellen würden. Außerdem geht auf ihn "das Gesetzt der Großen Zahlen" zurück (siehe Folie 1)2.
Ein anschauliches Beispiel hierfür wäre das Werfen einer Reiszwecke. Bei einer Münze ist bestimmt jeder der Auffassung, dass werfe ich die Münze 100 mal, man ca. 50 mal Kopf und ca. 50 mal Zahl erhalten würde. Dies würde dann zu den Wahrscheinlichkeiten 0,5 für Zahl und 0,5 für Kopf führen.

tacks-949144__340.jpg
Quelle: pixabay

Wenn ich jetzt eine Reizwecke 100 mal werfe, könnte ich zum Beispiel 43 Kopf und 57 mal Kante werfen. Was wäre wenn ich diesen Versuch 1000 mal mache? Werfe ich dann 399 mal Kopf und 601 mal Kante. Das Gesetz geht davon aus, dass ich mich der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit immer mehr annähre. Würde ich diesen Versuch unendlich oft wiederholen, würde die Abweichung unendlich klein werden und man würde die "echte" Wahrscheinlichkeit erhalten. Dann könnte man zu der Erkenntnis gelangen die Wahrscheinlichkeit für Kante sei 0,6 und die Wahrscheinlichkeit für Kopf sei 0.4.
Außerdem geht die Formel von Bernoulli auf Jakob Bernoulli zurück (siehe Folie 1). Die Formel von Bernoulli wird zur Herleitung der Normalverteilung enutzen1.
Ein weiterer Meilenstein beim Bändigen des Zufalls gelang Bayes mit dem Satz von Bayes, aber dazu im nächsten Teil mehr2.
Laplace wurde dann von Fragen zu Ballistik und Astronomie angetrieben die Disziplin weiterzuentwickeln. Er erbrachte viele wichtige Leistungen und wir lernen heute noch an Baumdiagrammen wie Laplacewahrscheinlichkeiten funktionieren. Er beschäftige sich aber auch mit der Normalverteilung, der Methode der kleinsten Quadrate und Differentialgleichungen2.
Wer sich noch an den 10 DM Schein erinnern kann, dort war die gaußsche Glockenkurve (Normalverteilung) abgebildet und eine Bild vom Fürsten der Mathematik himself. XD

10_DM_Serie4_Vorderseite.jpgQuelle:3

Philosophische Betrachtung

Huygens, Fermat und Laplace könnte man heute als Deterministen bezeichnen.
Wir hatten im vorangegangen Teil den laplaceschen Dämon besprochen. Natürlich hat Laplace diesen nicht so genannt. Vielmehr setzte er die Existenz einer höheren Intelligenz voraus. Er postulierte sie. Diese fiktiv angenommene Intelligenz war für ihn nötig, um eine universelles Wissensmodell zu postulieren. Laut Laplace könnte der Mensch, wenn er ausreichend intelligent genug wäre, alle Gesetze der Welt zu kennen, in jedem erdenklichen Moment den Zustand sämtlicher Bestandteile bestimmen4.
Die Auffassung der Deterministen könnte man als subjektive Auffassung des Wahrscheinlichkeitsbegriffes verstehen. Diese beruht nur auf der Unkenntnis aller Bedingung, die auch Laplace anspricht. Der Gegenpol dazu wäre eine objektive Auffassung. Bei dieser Betrachtungsweise nimmt man an, dass ein Ereignis unabhängig vom eigenen Kenntnisstand eintritt. Man würde also einen "echten" Zufall postulieren4.
Nehmen wir das Beispiel einer vererbbaren Krankheit. Nehmen wir weiterhin an, dass diese Krankheit mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ausbrechen kann. Der Stochastiker könnte jetzt diese Wahrscheinlichkeit bestimmen. Aber die Interpretation gibt er uns nicht. In der subjektiven Auffassung wäre das Ausbrechen der Krankheit das Risiko, dass die Krankheit ausbrechen könnte, da wir zu wenig Informationen über die Bedingungen haben. Wir könnten sie aber im Determinismus theoretisch haben.
In der objektiven Auffassungen hingegen wäre die Wahrscheinlichkeit nicht das Risiko, sondern die tatsächlich bestehende Chance, dass die Krankheit eintreten könnte4.

Was erwartet uns im nächsten Teil

Neben den Stochastikern gibt es noch eine weitere Zunft, die für uns von Interesse ist. Das sind die Analytiker.
Ein ideologischer Kampf fand zur Zeit der französischen Revolution statt, der auch ein Meilenstein in Bezug auf die Bändigung des Zufalls ist.
Die beiden bedeutendsten Analytiker sind wahrscheinlich Newton und Leibniz. Allein deren Wirken auf die Philosophie und deren Vita ist eine beeindruckende Geschichte2.

Quellen und weiterführende Literatur:

1 Stochastik für Einsteiger, Norbert Henze, Vieweg Teubner
2 Vorlesung zur Geschichte der Mathematik, H. Wußling, Deutscher Verlag der Wissenschaften
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Gauß
4 Spektrum der Wissenschaft Spezial, Zufall und Chaos
5 Spektrum der Wissenschaft Spezial, Ist Mathematik die Sprache der Natur
6 Mit GeoGebra erzeugt, Tutorial

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Coole Einführung in die Stochastik, danke dafür.

Angeschaut und ein kleines Upvot in Höhe von ein paar Cent hinterlassen. Ist leider nicht mehr und ist eher symbolisch zu sehen :) Grüße aus Griechenland Holger

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