Ideologie 101 - Vertrauen lässt sich nicht verordnen

in #deutsch5 years ago

04. Dezember 2018

Mir ist wenigstens gefühlt schon oft die Aussage begegnet, dass nach begangenen Fehlern oder dem Zulassen unerwünschter Entwicklungen und Ereignisse das Vertrauen [1] wiederhergestellt werden müsse. Wenn ich mit Äusserungen, die in diese Richtung gehen, konfrontiert werde, fühle ich mich meist eher angewidert. Denn, ich erlebe das Vertrauen als eine Grösse, die ausgesprochen langfristig angelegt ist und sich aus bestätigenden Erfahrungen speist. Hat man mit Menschen neu zu tun, gewährt man diesen in der Regel einen Vertrauensvorschuss, der sich in der Folge hoffentlich als gerechtfertigt erweist.

Das Vertrauen [1] ist die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit und Wahrheit von Gedankengängen, Einsichten, Aussagen und Handlungen. Es ist unausweichlich so, dass es das eigene Denken und Handeln massgeblich prägen muss. Deswegen ist es auch sehr wichtig, dass es sich nahe an der Realität orientiert. Früher, in Zeiten grösserer Armut, wurde eine Entfernung von der Realität, eine Hingabe zu Illusionen sehr wahrscheinlich lebensbedrohlich. Das ist heute weniger der Fall, die Eintrittsschwelle und der bestehende Preis der Konsequenz sind geringer geworden und das Abdriften in Traumwelten damit reizvoller.

Ich selbst spreche besonders bezüglich einer Ausprägung des Vertrauens aus Erfahrung. Denn ich musste es in meinem Studium leider erleben, dass mein Selbstvertrauen regelrecht erodierte und zum Ende hin kaum mehr vorhanden war. Grund dafür war vor allem, dass ich wohl nicht das auf meine Talente passende Bildungsinstitut gefunden habe und die meisten Prüfungen als hinterhältig und nicht zielführend erlebte, wohlwissend, dass ich in dem Fach nicht über ein unermesslich grosses Talent verfügte. Sich dann dazu zu überreden, endlich eine Auslegeordnung zu machen, sich an die noch vorhandenen Strohhalme zu klammern, um damit den Rahmen zu schaffen, neue zarte Pflänzchen heranwachsen zu lassen, hat Überwindung gebraucht und Zeit, viel mehr Zeit als einem heute von dem sich als allgütig begreifenden System.

2018-12 - Bibel Gutenberg.jpg
Die Gutenberg-Bibel, erste gedruckte Bibel, Druck um etwa 1455 [6]. Noch immer ist die Bibel das am häufigsten gedruckte Buch und hunderte von Millionen Menschen nutzten heute und in der Vergangenheit die darin gesammelten Texte, um Lebensanleitung zu gewinnen und das Vertrauen in das Wirken der darin beschriebenen Göttlichen Trinität aus Schöpfer, Erlöser und Heiligem Geist zu gewinnen.

Deswegen, wenn ich heute Politiker, Journalisten oder Firmensprecher sehe, wie sie von einer Wiederherstellung des Vertrauens sprechen, dann ist die Reaktion, die sich in mir regt die, dass ich denke macht mal, ob ihr damit ankommt, werdet ihr dann sehen. Vielleicht wünsche ich ihnen für den bevorstehenden Berg an Arbeit vielleicht sogar gutes Gelingen.

Wichtig ist, dass erkannt wird, dass ein verlorenes Vertrauen nicht durch Verordnung oder gar Androhung von Repression hergestellt werden kann, sondern nur durch viele Taten, die als positiv empfunden werden und sich dadurch ein stimmiges, zusammenhängendes Bild ergibt, welches unzweifelhaft zeigt, dass das Vertrauen gerechtfertigt ist.

Eine Möglichkeit, die sich bieten kann, wenn man über entsprechende Mittel verfügt, ist das zeitweilige Kaufen von Vertrauen. Wer etwas bezahlt, schafft damit wenigstens zeitlich begrenzt Vertrauen. Ob das langfristig nachhaltig ist, muss stets die Zukunft zeigen, aber ein Bestechungsangebot ist besser als eines, das einem bei Konformität nur die Abwesenheit von Sanktionen anbietet.

Sehr schmerzlich ist es dann, wenn man mitansehen muss, wenn vorhandenes, gewachsenes Vertrauen leichtsinnig verspielt wird. Die Geschehnisse im Nachgang zu dem Mord von Chemnitz am letzten Wochenende des August 2018 waren ein solches Beispiel, über welches ich mehrfach berichtet habe. Ein kurzes Video, welches unzweifelhaft authentisch war, aber kein echtes Ereignis nachvollziehbar zeigte, wurde von der Deutschen Bundesregierung zum Anlass genommen, von Hetzjagden als rechtsextremistisch bezeichneter normaler Einheimischer gegen Ausländer zu sprechen. Nicht besser machten es Angestellte von Behörden, die nicht den sehr dürftigen Inhalt des Videos beklagten, sondern die Authentizität anzweifelten. Wer eine Anleitung zum Verspielen von Vertrauen braucht, kann darin eine sehr wirksame finden.

Aktuell wurde nämlich bei Focus online berichtet [2], dass ein interner Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz besagt, dass das Misstrauen wesentlicher Teile der Bevölkerung in Politik und Staat ein beängstigendes Mass erreicht hat. Der Bericht war als vertraulich eingestuft und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Vertraulich ist wenigstens in der Schweiz die niedrigste Stufe der Geheimhaltung, eine Veröffentlichung ist zwar nicht erwünscht, aber durchaus hinnehmbar.

Nahezu gleichzeitig wurde von einem Verein, der sich politisch-kultureller Schönheit verpflichtet sieht, eine Aktion ins Leben gerufen [3], deren Inhalt ist, die Identitäten der Menschen preiszugeben, die in Chemnitz an den als rechtsextremistisch bezeichneten Kundgebungen teilgenommen haben. Es wurde bedenkenlos zur Denunziation aufgerufen, was wenigstens mir einmal mehr zeigt, dass es Leute gibt, die sich in einem Masse für moralisch überlegen und im Recht halten, das sie alle möglichen Konsequenzen vergessen lässt.

Diesen Menschen scheint es egal zu sein, einen wesentlichen Teil der Bevölkerung pausenlos zu beschimpfen, zu denunzieren und so zu tun, als gehörten diese gar nicht zur Gesellschaft. Obwohl es nicht selten der Fall ist, dass gerade die kritisch eingestellten Menschen substantiell zum Wohlergehen des Landes beitragen und das Gemeinwesen nicht weniger intensiv mitfinanzieren. Diese zur Schau gestellte Intoleranz und Nicht-Kooperation muss Konsequenzen haben.

In erster Linie hat es die Konsequenz, dass sich bei den lustvoll und aus Überzeugung Ausgegrenzten eine Parallelgesellschaft bildet, auf die man keinen positiven Zugriff hat. Repression und Gängelei sind in einem gewissen Mass möglich, aber nicht unbeschränkt. Denn, zu einfach ist es heute, von überall her in der Welt weiter zu publizieren, als dass in einer Gesellschaft, die sich offen nennt, wirkungsvolle Unterdrückung betrieben werden könnte.

Mir, der ich an positiven und integrativen Lösungen interessiert bin, ist aber nicht daran gelegen, von und über neue Methoden der Unterdrückung zu lesen und zu hören. Wichtig ist mir, zu hören, mit welchen Massnahmen und Angeboten das Vertrauen wiederhergestellt werden soll und ob es überhaupt jemanden gibt, der Willens ist, diese riesige Arbeit auf sich zu nehmen.

Aus Frankreich, welches gerade umfangreiche Protesten von gelbe Westen tragenden Menschen erlebt, kam aktuell die Information, dass es wohl zu Gesprächen zwischen der Regierung und den Protestierenden kommen wird [4]. Die vorgesehene Steuererhöhung auf Treibstoffe, die zu den Protesten geführt hat, wurde ganz aktuell verschoben [5]. Wie das Ergebnis aussehen wird, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist, dass die Kassen der Regierung mehr oder weniger leer sind und ihre Fähigkeiten, gute Angebote zu machen, sehr beschränkt. Es sieht also auch nicht danach aus, dass das Vertrauen kurzfristig gekauft werden könnte.



[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen
https://en.wikipedia.org/wiki/Trust_emotion
[2] Vertrauliche Analyse zur Inneren SicherheitVerfassungsschutz warnt: Viele Menschen haben „Wut und Hass“ auf die Politik. Focus.de, 03. Dezember 2018, von Göran Schattauer https://www.focus.de/politik/deutschland/vertrauliche-analyse-zur-inneren-sicherheit-verfassungsschutz-warnt-viele-menschen-haben-wut-und-hass-auf-die-politik_id_9973555.html
[3] "Zentrum für politische Schönheit"Nach umstrittener Internetaktion schreitet Polizei in Chemnitz ein. Focus.de, 03. Dezember 2018 https://www.focus.de/politik/deutschland/zentrum-fuer-politische-schoenheit-nach-umstrittener-internetaktion-schreitet-polizei-in-chemnitz-ein_id_10013708.html
[4] Nach Eskalation in Paris - Französische Regierung bemüht sich in Konflikt mit "Gelbwesten" um Entspannung. Focus.de, 04. Dezember 2018 https://www.focus.de/politik/ausland/nach-eskalation-in-paris-franzoesische-regierung-bemueht-sich-in-konflikt-mit-gelbwesten-um-entspannung_id_10017359.html
[5] Erhöhung der Ökosteuer verschoben - Macron knickt vor "Gelbwesten"-Bewegung ein. Focus.de, 04. Dezember 2018 https://www.focus.de/politik/ausland/erhoehung-der-oekosteuer-auf-eis-gelegt-macron-knickt-vor-gelbwesten-bewegung-ein_id_10018004.html
[6] Die Bilddatei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert. Urheber ist NYC Wanderer (Kevin Eng). Gefunden wurde das Bild unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Bibel


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Vertrauen ist auch so ein Thema, über das ich mir in Bezug auf Gesellschaft viele Gedanken machen kann. Die UdSSR als eine vertrauenslose Gesellschaft zu verstehen (Michael Malice) oder
auch zu sehen, dass Sozialismus auch deswegen nicht funktioniert, weil das Vertrauen über sehr enge menschliche Beziehungen (aka Familie) hinausgehend zu gering ist.
Vertrauen auf dem Land
vs. geringer in der (Groß-)Stadt (Stichworte: Anonymität und Vereinzelung; Tourismus und Bettelei).

Danke für den Kommentar!

Das Problem bezüglich des Vertrauens im realen Sozialismus sehe ich darin, dass er es kaum rechtfertigen kann. In Stalins Schreckensherrschaft konnte man vielleicht darauf vertrauen, dass man plötzlich und ohne nähere Angaben von Gründen inhaftiert, gefoltert, zu Zwangsarbeit gezwungen oder gleich getötet werden konnte. Auch vom selben Staat erhaltene Ehrungen schützten einen vor dem Terror nicht wirklich.

Was sollte man also tun, ausser sich rauszuhalten versuchen und stets Angst zu haben? Was soll auf einer solchen Basis entstehen? Grenzenloses Misstrauen gegenüber allen, von denen man nicht zu 100 % weiss, dass man sich auf sie verlassen kann.

Wenn ich lebe und überwiegend hilfsbereite, kooperative und wohlwollende Menschen um mich herum habe, dann merke ich aus Erfahrung, dass es sich lohnt, Vertrauen in die anderen zu haben und auch mal einen Vertrauensvorschuss zu geben.

Lohnt es sich nicht, kommt es automatisch dazu, dass man den Vorbehalten und dem Misstrauen den Vorzug gibt.

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