Zitate 097 - Friedrich Nietzsche II - Über Jünglinge

in #deutsch6 years ago

07. August 2018

Vor ein Paar Tagen ist mir das folgende Zitat [1] des grossen deutschen Philosophen Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) [2] begegnet. Nietzsche selbst stelle ich hier nicht näher vor, er war schon einmal Protagonist in einem Zitate-Artikel [3].

Man verdirbt einen Jüngling am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.

Das Zitat stammt aus einem der philosophischen Werke Nietzsches, nämlich aus Morgenröthe - Gedanken über die menschlichen Vorurteile [4] von 1881. Dieses ist ein Werk, welches aus 575 Aphorismen, also Sinnsprüchen besteht.

2017-10 - Friedrich Nietzsche.jpg
Friedrich Nietzsche in einer Aufnahme aus dem Jahr 1875 [5].

Das erwähnte Zitat steht unter der Überschrift Verderblich. Ich habe keine sozusagen offizielle Interpretation zur Hand und versuche mich deswegen in eigenen Gedankengängen an einer solchen. Die Aussage zeigt einen Weg, mit dem man nach Nietzsche mit grosser Sicherheit einen jungen Mann in seinen Worten verderben kann. Konkret bedeutet das wohl ein Absinken im charakterlichen Niveau, der Intelligenz, Vernunft und geistigen Offenheit. Zu all diesen Dingen kommt es also, wenn man den Gleichdenkenden mehr Achtung schenkt als dem Andersdenkenden. Das Gleiche höher zu achten als das Andere bedeutet, nach Harmonie zu streben, der Herausforderung und Konfrontation durch andere zu entgehen oder sich in einen sicheren Raum zurückzuziehen. Es ist nicht nur ein Vorgang des Rückzugs, sondern auch einer der Abtrennung mindestens von Teilen der Aussenwelt.

Es kann sein, dass man so ein angenehmes Leben führen kann, geht allerdings der Rückzugsraum verloren, muss es unweigerlich zu einem bösen Erwachen kommen. Warum? Weil die Gefahr gross ist, dass man an Wachsamkeit und Fähigkeit zur geistigen Aktivität verliert und einschläft, wenn alles um einen herum nur noch gleich erscheint.

Die wirkliche Herausforderung im Leben ist es, auf den (geistigen) Rückzugsraum verzichten zu können und sich eine entsprechende Charakterstärke zuzulegen, dass man Begegnungen mit den Andersdenkenden nicht ausweichen muss. Es ist aus meiner Sicht und durchaus vorhandenen Erfahrung nie so, dass man mit einem anderen Menschen gänzlich übereinstimmt. So etwas wird vielleicht da und dort mittels egalitärer und kollektivistischer Theorien [6] nahegelegt, widerspricht aber eindeutig meiner Erfahrung. Damit die Vielfalt nicht bedrohlich zu wirken beginnt, ist es wohl am besten, wenn man ganz persönlich und entschieden beginnt, diese Vielfalt positiv und als segensreich wahrzunehmen.

Selbstverständlich muss von den anderen das mindestens soweit auch gelebt werden, dass sie ihre Ansichten nicht mit Gewalt verbreiten und selbst auch für Anderes offen sind. Auf dieser Basis kann man aus einem anderen Gedankengang neue Perspektiven und eine Öffnung und Erweiterung des eigenen Horizonts erfahren, zu der es nicht kommen würde, wenn man vor allem nach Harmonie strebt und das Gleiche höher achtet als das Andere.


Damit der Artikel nicht zu kurz ausfällt, gibt es noch ein zweites Zitat [7]. Mit dem ersten verbindet es die Tatsache, dass auch in ihm das Wort Jüngling vorkommt.

Der gute Erzieher kennt Fälle, wo er stolz darauf ist, dass sein Zögling wider ihn sich selber treu bleibt: da nämlich, wo der Jüngling den Mann nicht verstehen darf oder zu seinem Schaden verstehen würde.

Es stammt aus dem Werk Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister von 1878-1880 und steht unter der Überschrift Freude am Widerspänstigen. Das Werk Menschliches, Allzumenschliches entstand unmittelbar vor Morgenröthe.

In dem Zitat sehe ich, dass alles im Leben seine Zeit hat und man dem Alter entsprechend sich zu verhalten hat. Wenn ein Erzieher 40, 50 oder 60 Jahre alt ist, wäre es seltsam, wenn ihm ein jugendlicher oder junger Erwachsener als Zögling oder Auszubildender in allen Dingen zustimmen oder auf eine sehr ähnlichen Weise denken, sprechen und handeln würde. Viele Erfahrungen, die der ältere gemacht haben sollte, stehen dem jüngeren erst bevor. Anleitung zu geben, als Mentor aufzutreten bei schwierigen Entscheidungen, junge Leute fördern und ihnen positive Perspektiven eröffnen, all das ist wichtig und äusserst wertvoll.

Das tut man sinnvollerweise aber als Hilfeleistung, nicht in Form von Vorschriften oder mittels Zwang, sich wie der Mentor zu verhalten. Der Jugendliche oder junge Erwachsene ist ein eigenes Wesen, welches selbst lernen muss, Entscheidungen so zu treffen, dass positive Ergebnisse resultieren und seine Interessen in der Welt der Erwachsenen zu vertreten. Da braucht es Unterstützung und Respektbekundungen, wenn Entscheidungen dem Alter entsprechend gefällt werden, aber trotzdem verhältnismässig vernünftig zustande kommen. Ich habe immer wieder erlebt, dass man für viele Entscheidungen einfach kritisiert wird, ohne dass man eine vernünftige Begründung erhält und Alternativen aufgezeigt bekommt, die die eigene Sicht massgeblich erweitern oder / und sogar einen wirklich weiterbringen, insbesondere auch finanziell. Solches braucht ein junger Mensch überhaupt nicht, im Gegenteil verunsichert und schwächt es ihn, das nehme ich aus diesem Zitat.


[1] https://www.aphorismen.de/zitat/30684
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche
https://en.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche
[3] Zitate 048 - Friedrich Nietzsche. @saamychristen, 10. Oktober 2017 https://steemit.com/deutsch/@saamychristen/zitate-048-friedrich-nietzsche
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Morgenröte_Gedanken_über_die_moralischen_Vorurteile
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Dawn_of_Day
Die Morgenröthe. Friedrich Nietzsche, 1881. Kapitel 5, Nr. 297 http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3254/5
[5] Photographie von Friedrich Hartmann (1822-1902) in Basel. Das Werk ist gemeinfrei und wurde unter [2] gefunden.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Egalitäre_Gesellschaft
[7] https://www.aphorismen.de/zitat/173379
[8] Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Friedrich Nietzsche, 1878-1880. Zweiter Band. Kapitel 4, Erste Abtheilung: Vermischte Meinungen und Sprüche., Nr. 268. http://gutenberg.spiegel.de/buch/menschliches-allzumenschliches-ii-7344/4


Bisherige Posts in der Rubrik «Zitate».
Übersicht über alle Rubriken.

Sort:  

Ein sehr schöner Artikel, nur an einer Stelle ist meiner Ansicht nach eine Frage entstanden, die noch nicht ausreichend erklärt wurde, nämlich "was" denn Vielfalt eigentlich ist.

Zitat:"Damit die Vielfalt nicht bedrohlich zu wirken beginnt, ist es wohl am besten, wenn man ganz persönlich und entschieden beginnt, diese Vielfalt positiv und als segensreich wahrzunehmen".

Ich möchte an dieser Stelle ein Beispiel anführen, um zu erläutern, was ich meine.Nehmen wir mal an, ich habe mehrere Eimer mit verschiedenen Farben, in jedem Eimer eine andere, dann verfüge ich ja über eine "Vielfalt" an Farben.Hole ich aber neue Eimer dazu und gieße in jedem von ihnen etwas Farbe aus den anderen Eimern, so erhalte ich dort ein "Farbengemisch".Mache ich nun das selbe in jedem weiteren Eimer, dann geht die Vielfalt verloren und aus der Vielfalt an Farben wurde lediglich ein Haufen Eimer, die nun alle das selbe und überhaupt nicht vielfältige Gemisch an Farben erhalten.

FAZIT:Erst durch das separieren der Farben voneinander wurde eine Vielfalt an Farben garantiert, während die Vermischung eben jene Vielfalt vernichtet hat.Nun versuchen einige Menschen z.B. in Religion (Ökumene), Politik (Erschaffung von Einwanderungsländern), aber auch in anderen Bereichen durch die selbe Art von Vermischung eine Form von Vielfalt zu kreieren, die durch genau solche Versuche erst vernichtet wird (Gleichmacherei, aus unterschiedlichen Meinungen soll beispielsweise eine gemeinsame Einheitsmeinung entstehen, selbiges gilt für ganz unterschiedliche Glaubensrichtungen, die angeglichen werden sollen usw.), ohne das diese Leute erkennen, dass das, was sie als Segen sehen durch sie erst zum Fluch gemacht wird, während sie es anderen weiterhin als Segen verkaufen.

Wie gesagt, ich wollte nur kurz auf diese Thematik hinweisen, die für meinen Geschmack in diesem sonst sehr ausführlichen Artikel leicht verlorengehen könnte, dem ich ansonsten in seinen Aussagen zur Vielfalt (auch was das erwähnte Zitat angeht) vollkommen zustimme.

Danke für den Kommentar!

Hier geht es, wenn ich das Zitat richtig verstanden habe, vor allem um die geistige Vielfalt, um genuines Denken sozusagen und die Offenheit, dass jeder sein genuines (nicht zurechtmanipuliertes, indoktriniertes und verfälschtes, wohlgemerkt) Denken auch verbreiten darf. Damit das funktionieren kann, muss jeder offen sein und es auch hinnehmen können, wenn der Gedankengang eines anderen ein besseres Konzept zu formulieren imstande ist. Für Dogmatik und Fanatismus wäre in dieser idealisierten Vorstellung kein Platz.

Und was noch dazukommt, das Verständnis jedes Einzelnen ist beschränkt. Wenn Nietzsche dazu aufruft, den Andersdenkenden höher zu achten als den Gleichdenkenden, muss man selbst auch erst einmal erfasst haben, wie man selbst denkt und funktioniert. Nur so kann man gleich, ähnlich und anders denkende Menschen identifizieren.

Deswegen hat aus meiner Sicht das Zitat auch nichts mit gesteuerter Gleichmacherei oder Indoktrinierung zu tun, kein Wort zeugt von einem Zwang, sondern es geht um die Originalität und damit Freiheit des Einzelnen.

Wenn ich die Welt heute betrachte, ist sie leider in meiner Wahrnehmung voll von Dogmatik, sogar unter angeblich intelligenten Menschen sieht man es oft nicht gerne, wenn eine andersdenkende Konkurrenz im Entstehen begriffen ist. Es wird sogar viel mehr zur Abgrenzung und Trennung von Andersdenkenden aufgerufen und zwar nicht entlang ethnischer oder regionaler Grenzen, sondern entlang der politischen Ausrichtungen.

Politik und Religion werden auch wieder zunehmend vermischt. Wenn eine genehme Religion gegen Gesetze verstösst wird, lässt man sie mit Verweis auf die verfassungsmässige Religionsfreiheit gewähren. Tut dies eine weniger genehme Religion, wird sie zur Kooperation gezwungen. Das hat nichts mit einer konstruktiven Pflege von Vielfalt zu tun. Gerade wenn ganz verschiedene Menschen zusammenkommen ist nichts wichtiger als eine kurze Liste von verbindlich einzuhaltenden Rahmenregeln, die in jedem Fall gelten.

Guten Tag,

Ich bin der Germanbot und du hast von mir ein Upvote erhalten! Als Upvote-Bot möchte ich, hochwertigen deutschen Content fördern. Noch bin ich ein kleiner Bot, aber ich werde wachsen.

Jeden Tag erscheint ein Voting Report, in dem dein Beitrag mit aufgelistet wird. Auch werden meine Unterstützer mit erwähnt. Mach weiter so, denn ich schaue öfter bei dir vorbei.

Gruß

GermanBot

Coin Marketplace

STEEM 0.35
TRX 0.12
JST 0.040
BTC 70638.80
ETH 3565.34
USDT 1.00
SBD 4.73