Zitate 111 - Prof. Werner Patzelt über den wahren Konservativen

in #deutsch5 years ago

11. Januar 2019

Dieser Beitrag soll kurz sein und ein wichtiges Zitat des bekannten Professors für Politikwissenschaft, Werner Patzelt (geboren 1953) [1], zum Thema haben, welches er in einer Grundlagenvorlesung dargelegt hat. Die Vorlesung Grundkurs Politische Systeme wird derzeit im Videoformat veröffentlicht, wobei mich spontan die Vorlesung 8/14 - Wandel und Scheitern politischer Systeme [2] - interessiert hat. Der YouTube Kanal MOOC PolSys enthält mittlerweile drei Vorlesungsreihen von Professor Patzelt.

Komplexe Prozesse und mechanistische Abläufe nachzuvollziehen und zu verstehen interessiert mich bekanntlich ganz besonders. Es ist mir wichtig Ursachen und Wirkungen zu erkennen und welche Handlungen und Anreize welche Konsequenzen auslösen. Um sich darin zu verbessern, ist es hilfreich, sich in ganz verschiedenen Bereichen über die stattfindenden Abläufe zu informieren. Viele Themen wurden wissenschaftlich untersucht und dabei wurden beispielsweise Kausalitäten [3] und Korrelationen [4] nahegelegt oder abschliessend bewiesen.

Um sich Grundlagenwissen zu erarbeiten, ist es hilfreich, Bücher zu lesen, nicht bloss Zeitungsartikel, die oft nicht vollständig genug sind und dazu neigen, viele Sachverhalte zu sehr vereinfacht darzustellen. Es müssen auch nicht ausschliesslich ganz neue Bücher sein. Das wichtigste in den Gebieten, auf die man nicht spezialisiert ist, aber dennoch etwas verstehen will, ist nicht, vereinzelt mit grossen Lücken den allerneuesten Stand mitzubekommen oder ganz neue Ausnahmefälle zu kennen, sondern die Grundlagen zu verstehen, um auf dieser Basis sinnvolle Gedankengänge und Handlungen generieren zu können.

Eine ganz wichtige Sache, die es zu erkennen gilt, ist die, dass Konflikte am besten auf niedrigen Eskalationsstufen aktiv gelöst werden. Die Lösung hinauszuschieben führt in der Regel zu einer Ausweitung des Problems. Denn, eine nicht gelöste Ursache von Problemen ist in der Regel in der Lage, nicht nur für einmalige, direkte Konsequenzen zu sorgen, sondern jede der Konsequenzen kann selbst wieder Ursache sein. Die Wahrscheinlichkeit ist erheblich, dass wenig erwartete Zwangslagen entstehen und man nicht mehr darum herum kommt, die Ursache(n) endlich aus dem Weg zu räumen. Ein zu langes Zuwarten bis zur Lösung, aus welchem Grund auch immer, lässt die Entscheidungsfreiheit leiden.

Vor dem Hintergrund des ethischen Imperativs, der verlangt, stets so zu handeln, dass die Anzahl Wahlmöglichkeiten steigt und damit auch die persönliche Freiheit zunimmt, wird deutlich, dass das Herbeiführen von Auswegslosigkeit spätestens dann unethisch ist, wenn noch andere Menschen davon betroffen sind. Der Begriff ethischer Imperativ [5] wurde von dem österreichischen Physiker Heinz von Förster (1911-2002) [6] geprägt.

Zitat Prof. Werner Patzelt (35:05-39:30 min) [2]:

Bewältigung von Wandel und
die Steuerungsmuster politischer Eliten

Auflistung in vier Stufen

1. Reformismus

Was die Steuerungsmuster der politischen Eliten betrifft, ist es so, dass man schön sehen kann, dass es abgestuften Nutzen gibt. Am nützlichsten, um mit Wandel fertig zu werden, ist der Reformismus [7]. Das ist der Wandel, der ein bestehendes System in den bewährten Teilen bewahrt. Dieses System aber und sei es auch durch durchaus drastischen Umbau auf neue Herausforderungen anpasst. Das ist der systematische Ort, an dem der folgende Satz noch einmal kommen muss: Der wahre Konservative, der wirklich etwas bewahren will, muss stets ein Reformer sein! Denn, was sich nicht biegen will, das wird in jedem Fall brechen.

2. Einbindung der Führer von Protestgruppen

Eine zweite Strategie, in Krisen sehr nützlich, ist die Einbindung der Führer von Protestgruppen in die herrschende Elite. Einen Teil kann man auf diese Weise die Responsivität des Systems zielgerichtet steigern. All jene, die sagen, dass dieses und jenes falsch sei und dass diese und jene Reformen durchgeführt werden müssen, können einbezogen werden. Man kann sagen: "Dann macht mal! Wir haben gesehen, dass wir Reformen brauchen, versuche du mal dein Glück. Bringe deine ganzen Netzwerke und Unterstützer ein, damit wir als Land aus dieser Krise herauskommen."

Man kann aber auch auf solche Ehrlichkeit und guten Willen verzichten. Dann bindet man die Führer von Protestgruppen bloss aus symbolischen Gründen ein. Die Hoffnung ist, dass jene, die früher glaubwürdig den Systemprotest ihrer Anhänger verkörpert haben, nach kurzer Zeit als vom System vereinnahmt und korrupt gelten. Dann werden die oppositionellen Gruppen schleichend ihrer Führer beraubt. Ohne tatkräftige Anführerschaft ist auch eine noch so grosse, oppositionelle Gruppe politisch nicht sonderlich effektiv. Man korrumpiert durch das Teilhabenlassen an der Macht und an den Reichtümern, zu denen die Macht Zugang verleiht.

In der Frühphase hat das eine schöne, symbolisch-befriedende Wirkung. Die Leute, die am Vortag noch demonstriert haben, die sagen dann zwei Tage später: "Ja, unser Demonstrieren hat Erfolge gezeitigt, unsere Anführer sitzen jetzt in der Regierung und ganz gewiss werden sie die Dinge zum Besseren wenden." Auf diese Weise kann man sich als sozusagen untergehende politische Klasse Zeit verschaffen, um sich neu aufzustellen. Wenn man diese Chance noch hat.

3. Durchwursteln

Die dritte Strategie heisst auf Edeldeutsch "muddling through", auf Normaldeutsch "durchwursteln". Auch auf Edeldeutsch heisst die Strategie auch "Politik der pragmatischen Aushilfen". Man stopft ein Loch wo eines aufreisst, reisst natürlich ein anderes dabei auf. Man löst ein Problem, verursacht über die Nebenwirkungen weitere und ist deshalb mit durchwursteln beschäftigt. In unübersichtlichen Lagen ist das eine der üblichen politischen Steuerungsweisen. In Deutschland heisst es, glaube ich, seit einiger Zeit auch "Fahren auf Sicht".

4. Die Harte Linie

Die vierte Strategie, die man anwenden kann, ist die Anwendung der harten Linie: "Wir lassen nicht zu, dass das Pack, der Mob, die Proletarier, die Ungebildeten bei uns den Diskurs beherrschen oder gar die Macht ergreifen! Wir halten sie draussen und nieder! Anführer ins Gefängnis oder ins Exil!" Das kann man versuchen. Es kann auch gut gehen, es muss aber nicht gutgehen. Und langfristig betrachtet geht es sehr selten gut.

Deswegen auch der Pfeil (von oben nach unten abnehmender Nutzen). Diese Steuerungsmuster politischer Eliten haben einen abnehmenden Nutzen von oben nach unten. Sollten Sie einmal politische Verantwortung übernommen haben, halten Sie sich immer an die Regel: Am besten ist es, durch Reformen auf Wandel zu reagieren! Reformismus ist immer das beste Mittel. Wenn man Unterstützung braucht oder dem Gegner Unterstützung nehmen will, dann ist es klug, die Anführer der Gegner einzubinden. Die harte Linie sollte man nach Möglichkeit nie versuchen. Ausser wenn es wirklich nicht anders geht, wofür man sich strenge Kriterien auferlegen sollte.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_J_Patzelt
[2] TECHNISCHE UNIVERSITÄT DRESDEN - Grundkurs Politische Systeme - 8/14 - Wandel und Scheitern politischer Systeme - Prof. Patzelt. MOOC PolSys, 20. Dezember 2018 (gehalten am 05. Dezember 2017)
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kausalität
https://en.wikipedia.org/wiki/Causality
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Korrelation
https://en.wikipedia.org/wiki/Correlation_and_dependence
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Ethischer_Imperativ
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_von_Foerster
https://en.wikipedia.org/wiki/Heinz_von_Foerster
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Reformismus
https://en.wikipedia.org/wiki/Reformism


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