Der älteste Atomreaktor der Welt

in #deutsch5 years ago

Hi Steemianer,
wenn man jemanden fragt, wann zum ersten Mal ein Atomreaktor in Betrieb ging, tippen die meisten auf einen Zeitraum zwischen 1940 und 1950. Der erste menschengebaute Atomreaktor entstand tatsächlich 1942 in den USA, als Teil des Manhatten-Projekts.

Was aber viele nicht wissen ist, dass die erste Kettenreaktion auf der Erde bereits vor rund 2 Mrd. Jahren stattgefunden hat! In Oklo in Gabun (Westafrika) fand man die bislang einzig bekannten natürliche Kernreaktoren, die mehrere hunderttausend Jahre lang eine Kettenreaktion in Gang gehalten hatten. Inzwischen fand man 14 einzelne Reaktoren in Oklo und einen weiteren ein paar Kilometer entfernt davon. Der größte davon ist 12 m lang, 18 m tief und 20 bis 50 cm dick (1).

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Thermonuklear geschmolzenes Gestein (dunkler) in Oklo Quelle, Photo credit: International Atomic Energy Agency

1972 wurde erstmals entdeckt, dass Gestein aus der Oklo-Uranlagerstätte einen anormal niedrigen Uran-235 Isotopenanteil hatte. Statt des üblichen Anteils von 0,7204% wurde nur ein Anteil von 0,7171% (0,0031 Prozentpunkte weniger) gemessen (1). Diese Differenz erscheint gering, aber in jedem anderen Urangestein, sogar in solchem vom Mond und von gefundenen Meteoriten, sind es genau 0,7204%. Uran-235 ist das einzig natürlich vorkommende spaltbare Isotop. Da die Halbwertszeit von U-235 mit ca. 704 Mio. Jahren deutlich kürzer ist als die von U-238, nimmt der Anteil an U-235 kontinuierlich ab. Bei der Entstehung des Urans unserer Sonnensystems in einer Supernova-Explosion waren es vermutlich 17%. Als der Reaktor vor ca. zwei Milliarden Jahren aktiv war, betrug sein U-235-Anteil noch ca. 3,6% - ähnlich wie das Uran, das in modernen Kernkraftwerken verwendet wird und das zu diesem Zweck "angereichert" werden muss, um aus Natururan mit 0,72% U-235 ein spaltfähiges (3-5%) zu erzeugen (zumindest bei den verbreiteteren Leichtwasserreaktoren).
Der endgültige Beweis wurde erbracht, als man auch die Isotopenanteile anderer Elemente in genau dem Verhältnis fand, wie man es in verbrauchtem Reaktorbrennstoff erwartet. Z.B. unterscheidet sich das Isotopenverhältnis bei Neodym im Oklo-Erz deutlich vom Weltdurchschnitt: nur 6 % Nd-142 statt der üblichen 27%.
Zunächst schien es aber völlig rätselhaft, wie eine kontrollierte Kettenreaktion ohne jegliche Hilfsmittel aufrechterhalten werden konnte.
Als Schlüssel stellte sich gewöhnliches Wasser heraus! Wasser, das in Spalten in dem Uranerz stand, bremste die Neutronen auf "Spaltgeschwindigkeit" ab (zu schnelle Neutronen würden das Gestein durchfliegen, aber nicht mit den Uranatomen interagieren). Bei der Spaltung von Uranatomen werden selbst Neutronen freigesetzt. Diese können, falls sie auf benachbarte Urankerne treffen, deren Spaltung auslösen, so dass noch mehr Neutronen freigesetzt werden, die noch mehr Atome spalten. Die Spaltungsneutronen sind aber "schnell", d.h. sie müssen in Kernreaktoren abgebremst ("moderiert") werden, um weitere Kerne zu spalten. In modernen Reaktoren übernimmt Graphit, Wasserstoff oder Deuterium die Aufgabe des Moderators, in Oklo war es Wasser. Die Kettenreaktion setzte ein, wenn in der Sandsteinmatrix der Urananteil mindestens 10% betrug und es wurde folglich immer wärmer im Gestein (bis zu 400 Grad), auch der Druck stieg auf mehrere 100 bar an, sodaß schließlich alles Wasser verdampfte und währenddessen das umgebende Silikatgestein löste und abtransportierte, sodass sich weiteres Uran anlagern konnte. Dadurch fehlte das Wasser aber als Neutronenbremse, und die Kernreaktion schlief ein (2). Erst nachdem die Temperatur wieder gesunken war und Wasser nachfließen konnte, startete die Kettenreaktion erneut. Man nimmt an, dass jeder Phase der Kettenreaktion 30 Minuten und die Phase des Wassernachfliessens ca. 2,5 Stunden dauerte. Diese Phasen wechselten sich immer wieder ab, über ca. 300.000 Jahre.

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  1. Reaktorzonen 2. Sandstein 3. Erzflöz 4. Granitstock Quelle, Multi-license with GFDL and Creative Commons

Das System arbeite nicht nur stabil, sondern bewahrte auch den Abfall sicher auf. Rund um Oklo gibt es keine radioaktiven Kontaminationen, weder an der Oberfläche, noch im Wasser. Kurzlebige Isotope wären in den 1,5 Mrd. Jahren natürlich längst abgeklungen, doch auch langlebige stellen dort kein Problem für die Umwelt dar. Durch das periodische Abkühlen wurde etwa Xenon, ein Spaltprodukt, das in modernen Reaktoren mangels funktionierender Auffangtechniken in die Atmosphäre gelangt (!), in Oklo in Mineralien eingeschlossen (eine ungewöhnlich hohe Xenon-Konzentration in einem Steinbrocken hatte auch geholfen, die Wirkungsweise des Oklo-Reaktors herauszufinden). Alex Meshik, dessen Arbeitsgruppe das Rätsel 2004 gelöst hatte (3): "Die Natur ist viel schlauer als wir. Wir haben alle möglichen Probleme mit unseren hochmodernen Kraftwerken. Dieser Reaktor arbeitete unabhängig und ohne Elektronik." Könnte Oklo als Vorbild dienen für "nachhaltige" Kernreaktoren? Wohl kaum. Aber neue Wege der Spaltproduktebeseitigung und was Endlagerstätten betrifft, könnten durchaus von der Natur abgeschaut werden.

Die Leistung des Naturmeilers lag nur bei max. 100 Kilowatt. Hochgerechnet auf die lange Betriebsdauer ergab sich immerhin eine Gesamtleistung, die ein herkömmliches Kernkraftwerk in 4 Jahren erbringt. Dabei wurden insgesamt etwa zehn Tonnen Uran-235 nuklear gespalten und aus Uran-238 etwa vier Tonnen Plutonium-239 erbrütet (falls ein Neutron nicht ein U-235 trifft, sondern ein U-238, wird es zu U-239 und in Folge zu Pu-239). Die Kettenreaktion kam vor ca. 1,5 Mrd. Jahren zum endgültigen Erliegen, da nicht genug spaltbares Uran-235 mehr vorhanden war.

Was kann man daraus lernen?
Erstens ermöglichen die Oklo-Erkenntnisse zumindest Rückschlüsse darauf, wie sich radioaktive Stoffe in der Natur innerhalb extrem langer Zeiträume ausbreiten, was für die Planung atomarer Endlager wichtig ist. Ausserdem zeigt das vorgefundene Verhältnis der Nuklide, dass vor zwei Milliarden Jahren die Kernreaktionen genauso abliefen wie heute, und schwächt damit die These einer möglichen Veränderung von Naturkonstanten (insbesondere der Feinstrukturkonstanten).

Quellen:
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Naturreaktor_Oklo
(2) http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/urzeit-kernspaltung-wasser-hielt-naturreaktor-unter-kontrolle-a-326084.html
(3) https://www.scientificamerican.com/article/ancient-nuclear-reactor/

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Wusste ich zwar schon, aber trotzdem danke für den schönen Artikel.
Kernkraft ist eines meiner Hobbies.
Schade, dass wir uns mittlerweile wieder mit Windmühlen beschäftigen und auch schade, dass man weltweit immer noch mit der Uralttechnik des Druckwasserreaktors operiert.

Gerne. Erzähl doch mal was über die Reaktortypen und ihre Vor- und Nachteile! Das Thema finde ich auch sehr interessant!

Der Kugelhaufen war auf jeden Fall sehr reizvoll, schade, dass wir ihn aufgegeben haben.
Man sollte auf jeden Fall am Thorium-Flüssigsalzreaktor dranbleiben (wird ja auch von uns über die EU mitgefördert).
Überhaupt sollte man sich sehr viel mehr auf Thorium als Brennstoff konzentrieren. Zu mehr fehlt mit heute die Zeit und Lust. Nach 9 h Stunden Arbeit (ich muss nächstes Wochenende einen Vortrag in Chicago über mein Buch halten) ist es langsam an der Zeit den Computer auszuschalten.

Resteem.

Wasser, das in Spalten in dem Uranerz stand, bremste die Neutronen auf "Spaltgeschwindigkeit" ab (zu schnelle Neutronen würden das Gestein durchfliegen, aber nicht mit den Uranatomen interagieren).

Man kann auch sagen, daß erst langsame Neutronen Atomkerne "sehen".

Krasse Sache!

Wodurch wurde diese Reaktion denn angestoßen? Hat man dazu eine Theorie?

Vielen Dank für den Beitrag

Bis bald

Chapper

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Die theorethische Möglichkeit dazu wurde schon Jahrzehnte davor postuliert, kurz nach Entdeckung der Kernspaltung. Es müssen nur die richtigen Umstände zusammenkommen:

  1. Genug spaltbares Material in ausreichender Konzentration (war vor 2Mrd. Jahren noch gegeben, heute gibt es das nirgends mehr natürlich vorkommend)
  2. Es muss ein Moderator vorhanden sein - in dem Fall war das simples Wasser
  3. Es durften in der Nähe keine Neutronenabsorber (Silber oder Bor) vorhanden sein

Ok, also war die sprichwörtliche kritische Masse. Sehr interessant ist, dass die Natur das so elegant geregelt hat.

Bionik in einer anderen Form.

Schon witzig.

Gruß

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Ein äußerst spannender Beitrag von dir!
Ich danke dir für deine Mühen und freue mich noch mehr von dir zu lesen!
Beste Grüße
Sarah

Super Artikel!
Schön interessant und vorallem toll erzählt ohne zu grob zu werden.
Gerne mehr davon! :)

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Weiß zwar nicht genau, was Du mit "grob" meinst (ungenau?), aber Danke!

Alles klar. Ist eher so, dass ich mich zurückhalten muss, noch mehr in die Tiefe zu gehen :)

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Hey, ein sehr interessanter Artikel, hat Spaß gemacht ihn zu lesen :)

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