Der russische Kaukasus

in #deutsch6 years ago

enter image description hereIch bin jetzt das fünfte Mal in Russland gewesen, Jan das vierte Mal. Und wir haben ein Russland kennen gelernt, das wir nicht so erwartet hatten.
Nachdem wir in Rostov am Don und Sotchi zur Fußball WM waren, wollten wir unsere dank der FIFA Fan ID visafreie Einreise noch nutzen, um etwas mehr als Großstädte und „Weizenfeld links, Maisfeld rechts“ sowie „Straßen geradeaus“ zu sehen. Um ehrlich zu sein: wir waren genervt von der eintönigen Landschaft, genervt vom tagelangen geradeausfahren, genervt von der Hitze, genervt vom Gegenwind, der über die Weiten bläst. Wir wollten Natur, Kurven, Berge und Erholung für unsere durch Großstädte, Hitze und langweiliges Fahren ermüdete Sinne.
Aus Sotchi heraus quälten wir uns noch im ersten, manchmal auch zweiten Gang die Küstenstraße entlang, über die ja jeder Verkehr rollt, der nach Sotchi oder Abchasien muss. Einspurig, enge steile Kurven, in denen LKWs mit durchdrehenden Reifen hängen bleiben, uns rußige Abgase in die Helme pusten, Gegenverkehr, der auf der engen Straße ein Überholen unmöglich macht und dazu Hitze ohne kühlenden Fahrtwind.
enter image description hereNach nur 80km waren wir reif für den Strand und fuhren wieder zu der Strandbude, an der wir schon auf der Herfahrt gesessen hatten. Der Strand aus Kieseln in einer Flussmündung war zwar nicht schöner geworden, doch das Angebot der Bude war um „Endloskartoffeln“ erweitert: eine Kartoffel wird mit einem Spiralschneider (wir nutzen das in Deutschland für Rettich) in eine Endlosspirale geschnitten, dann frittiert und gewürzt. Sehr lecker!
enter image description hereEndlich bogen wir von der großen Straße ab auf die Straße, die Jans GPS ja schon auf dem Hinweg verweigert hatte: schönste Kurven durch kleine Dörfer im Küstengebirge, einem Ausläufer des Kaukasus. Dann der Schotterpass, wegen dem das GPS das Routing verweigerte als allerschönster Spaßfaktor. Wir überholten ein Auto nach dem anderen, jagten Pet und Oskar den Berg hoch und wieder runter – und sahen danach aus wie Staubfänger. Aber Dreck macht ja bekanntlich glücklich – und wie!
enter image description hereWir stellten fest, dass wir nach einer Woche Russland immer noch keine Pelmeni und Vareniki gegessen hatten und fanden in einer Kleinstadt ein niedliches Restaurant, wo es diese handgemacht gab und die um ein Vielfaches leckerer schmeckten, als diese Industrie-Tiefkühlware, die man sonst so bekommt.
enter image description hereAuf der Suche nach einem Übernachtungsplatz fanden wir eine deutsche Kriegsgräberstätte: 30.000 deutsche Soldaten liegen dort, die im zweiten Weltkrieg rund um Maikop gefallen waren. Die dortigen Raffinerien und Ölfelder waren für die Deutschen wichtig, sodass hart gekämpft wurde, um weiter Richtung Baku zu ziehen.
enter image description hereWir stellten unser Zelt auf dem abends verwaisten Parkplatz ab und verbrachten eine ruhige Nacht. Nur die Frösche aus dem nahegelegenen Tümpel störten die buchstäbliche Totenstille. Beim Frühstück beschlossen wir spontan, zum Elbrus zu fahren, mit Zwischenstopp in Pjatigorsk. In Pjatigorsk wurde Jan ja bei der Herfahrt Sprit aus dem Tank geklaut, sodass wir diesmal eine Unterkunft fanden, in der die Motorräder im Hof parken konnten.
Unsere Gastgeber waren Armenier und hatten keinerlei Fremdsprachenkenntnisse außer russisch. Aber wir kamen miteinander klar und es war die wohl sauberste Unterkunft, in der wir je waren! Unser Zimmer befand sich im Souterrain eines Privathauses mit einem gemeinschaftlich genutzten Badezimmer im Erdgeschoss und Küche. Immer dann, wenn ein Gast Bad oder Küche benutzt hat, kam ein netter Helferling und putzte hinterher. Sauberer geht nicht!
enter image description hereUnd dann ging es los Richtung russischen Kaukasus. Kaum, dass wir von der Hauptstraße Richtung Berge abgebogen waren, kamen schneebedeckte Gipfel in Sicht. Und zum ersten Mal in Russland kam uns ein „Wow“ über die Lippen. Bisher dachte ich, der Altai sei die schönste Region Russlands, aber ich korrigiere: der Altai ist auch wunderschön, aber der Kaukasus ist viel schöner!
Und unsere Unterkunft war auch schön. Als wir sie endlich gefunden hatten. Das Gästehaus liegt versteckt im Wald, und wurde 2017 so eng zwischen die Bäume gebaut, dass das Dach für ein paar Bäume Aussparungen bekommen hat. Wir wollen nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn es Sturm gibt! Wir lechzten danach, ein par Tage Auszeit in der Natur zu nehmen, Bergluft zu schnuppern und die Seele baumeln zu lassen. Dazu war die Unterkunft mit Blick auf schneebedeckte Berge zwischen den Bäumen hindurch perfekt! Da die anderen Gäste nur zum Schlafen kamen, hatten wir für 16€ das komplette Haus für uns, inklusive Küche und Waschmaschine!
enter image description hereNach dem ersten Nachmittag auf dem Sofa fuhren wir am nächsten Tag zur alten Kabinenbahn, die auf den Elbrus hoch führt. Die rote Gondel sieht aus wie auf einer alten Postkarte meiner Oma aus den Alpen. Aber sie funktioniert tadellos und bringt einen zum exakt halben Preis der neumodischen Gondelbahn schneller auf den Berg! Die Endstation der alten Gondel ist „Mir“ auf 3200m und von dort konnten wir beobachten, wie Bergsteiger vom Doppelgipfel abstiegen.
enter image description hereDazu gab es eine herrliche Aussicht auf den georgisch-russischen Grenzkamm des Kaukasuses, hausgemachte Nussecken und Sanddorntee. Wir verbrachten einen herrlich entspannten Tag auf dem Berg!
enter image description hereEs gibt an der Station „Mir“ ach ein kleines Museum über den Kampf der deutschen Wehrmacht um den Elbrus und die Geschichte der deutschen Flagge, die dort länger oben wehte, als der Berg deutsch war. Das Wetter war einfach zu schlecht, um die deutsche Flagge durch eine russische zu ersetzen. Leider läuft Tauwasser in das Museum rein, sodass überall Eimer stehen und es ziemlich klamm feucht darin ist…
enter image description hereDer Elbrus sieht eigentlich gar nicht so schwer aus, seine Hänge sind nicht sehr steil, es gibt keine Eisfälle zu überwinden oder Eisspalten zu queren. Wir lasen, dass der Elbrus für Menschen mit guter Kondition und Trittfestigkeit sowie Bergerfahrung durchaus machbar ist, jedoch jedes Jahr bis zu 20 Menschen bei dem Versuch, ihn zu besteigen, umkommen, weil sie sich überschätzen oder das Wetter umschlägt. In der Seilbahn ins Tal saßen drei Gipfelstürmer, die sehr, sehr müde und k.o. aussahen.
enter image description hereDer Folgetag war wolkig, also nicht gut für weitere Berge, sodass wir in der Unterkunft blieben, Wäsche waschen, lesen, etwas arbeiten, faulenzen. Internet gab es eh kaum, sodass sich unser Tag in zwei Highlights gliederte: Frühstück und Abendessen bei „Oma“. „Oma“ ist eine ältere Frau in Küchenkittel und Kopftuch, die ein kleines Kaffee betreibt, in dem sie lecker hausgemachte Sachen anbietet. Sogar das Brot dort ist hausgebacken! Zum Frühstück haben wir uns „Sirniki“ gegönnt, in der Pfanne gebratene Quarkkäulchen mit einem großen Klecks Smetana drauf.
enter image description hereAbends gabs „Manti“ (Maultaschen russischer Art) oder Suppen, dazu diverse Kräutertees mit Bergkräutern und Früchten wie Sanddorn und Berberitze. Alles lecker, aber lange nicht so spektakulär wie die georgische Küche auf der anderen Seite des Berges…
enter image description hereNach der dritten Nacht mussten wir leider aus unserer Unterkunft raus weil der Bruder unserer Gastgeberin Geburtstag hatte und die gesamte Family dort untergebracht wurde. Bevor wir abreisten, wollten wir aber noch auf den Cheget hoch, ein Berg, der gegenüber des Elbrus liegt und von dem aus man einen herrlichen Blick auf den Elbrus und die schneebedeckten Berge Georgiens hat. Auf 3050m gibt es natürlich auch Tee (Berberitze) und hausgemachtes Gebäck (undefinierbare Würmer mit Honig) und viel weniger Leute als auf dem Elbrus. Die ganze Region wirkt, zumindest jetzt Ende Juni, etwas verschlafen, herrlich!
enter image description hereZurück in der Unterkunft stand unsere Gastgeberin in der Küche und kochte mit einer Freundin für die große Geburtstagsparty ihres Bruders. Es gab typisch kabardino-balkarische Spezialitäten, wie zum Beispiel Kartoffelfladen. Sie erklärte mir, dass man dazu einen Kartoffelteig (Kloßteig aus gekochten Kartoffeln) herstellt, ihn mit Käse mischt, dann zu Kugeln formt und diese dann zu Fladen auswellt und in Butter brät. Man kann auch zwei „Klöße“ zu Fladen auswellen, mit Hackfleisch füllen und dann braten. Dass wir die „Kartoffelkugeln“ als Klöße in Wasser garen, sorgte für Erstaunen unter den Damen. Und dass man Klöße auch mit Obst füllen und süß servieren kann, konnten sie sich gar nicht vorstellen. Jede Variante ist lecker! Wir bekamen als Reiseproviant noch drei Dosen Rindfleisch mit auf den Weg, so herzlich war der Abschied!
Kabardino Balkarien ist eine eigenständige Republik mit eigener Volksgruppen, den Kabardinern und den Balkaren und eigenen Sprachen. Dass sich die Republik selbst verwaltet, zeigt sich darin, dass es dort „reicher“ und „ordentlicher“ aussieht als in anderen Regionen des Landes. Die eigene Kultur zeigt sich in den reich verzierten Metalldächern der Häuser und der vielen kleinen Hinweise darauf, dass der Islam dort Alltag ist.
enter image description hereWir wollten noch Nordossetien kennen lernen, doch da es keine Querverbindung über die 3000er Bergkette gibt, mussten wir „außenrum“ durch die Ebene, die uns wieder mit unsäglicher Hitze und „geradeaus“ empfing. So ätzend! Wir kennen so viele Motorradfahrer, die durch Russland rasen und können das einfach nicht nachvollziehen, was man daran finden kann, tage- und wochenlang geradeaus zu fahren bei Tagesetappen von über 500km. Ich habe das 2014 tun müssen, weil der Rückweg durch Kasachstan, Ukraine & Co dank politischem Unwesen verbaut war und leide bis heute unter dem „Trauma Russland geradeaus“…
enter image description hereUnser Übernachtungsplatz an einem Bach war zwar nicht schlecht, aber die brütende Hitze in der Ebene ließ uns stumpf im Schatten glühen, in der Hoffnung, dass es irgendwann kühl genug sein würde, um etwas zu kochen. Als es etwas kühler wurde, kamen sofort die Mücken, sodass wir unser Reisgericht mit Rindfleisch im Zelt essen mussten, um nicht selbst zum Abendessen zu werden…
Das Frühstück fiel aus, weil es um 7 Uhr morgens nach dem Zeltabbau im Schatten schon wieder 30°C heiß war. Wir fuhren bis zur nächsten Tankstelle geradeaus und frühstückten dort Kekse und Cola. Schnell ab in die Berge! Unser Kabinengenosse vom Schiff übers Schwarze Meer hatte uns von einer Totenstadt in den Bergen erzählt. Dort wollten wir hin.
enter image description hereDas Tal, durch das wir immer tiefer nach Nordossetien hinein fuhren, war wunderschön und über eine toll zu fahrende Schotterpiste ging es durch herrlichste Landschaft, die wir ganz für uns alleine hatten.
enter image description hereAuch an der Nekropole angekommen, war keiner da. Gespenstisch schwebten Krähen über der Totenstadt, der Wind blies kräftig, es war schaurig schön! Ursprünglich wurden die Toten dort in Totenhäusern bestattet, doch als die Pest ausbrach, zogen die Pestkranken in die Häuser. Überlebten sie die Krankheit, durften sie zurück, doch es heißt, wer die Nekropole 1x betreten hat, kam nie wieder heraus. Vorsichtshalber sind wir auch auf Abstand geblieben…
enter image description hereDie Schotterpiste fiel dann extrem steil ab in eine Schlucht, es ging fast senkrecht die Wand hinunter, der Blick in die Tiefe war atemberaubend – und bei mir gashandregulierend. Himmel! Ging es da steil runter! Spektakulär, wirklich! Der tosende Bergfluss wurde zu einem breiteren Fluss, an dem es alle 100m Grillhütten zu mieten gibt. Weil Sonntag war, rauchte es überall und es roch herrlich nach Lagerfeuer.
enter image description hereIn der nächsten Stadt, Vladikavkas, angekommen, wollten wir unsere letzten Rubel auch für Grillfleisch ausgeben. Doch weil Schaschlik nach Gewicht berechnet wird, ist es schwer, wenn man nur noch einen Restbetrag über hat. Meine Idee: wir zeigen der Bedienung, wie viel wir haben und sie soll uns bringen, was drin ist. Und es war so viel im Budget! Wir schlemmten Schaschlik mit Salat, Brot, hausgemachter Sauce und Birnenlimo – und hatten am Ende immer noch Geld übrig!
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Kurz vor der Grenze hielten wir an einem kleinen Tante Emma Laden, um unsere verbliebenen Rubel (1,25€) noch los zu werden. Wir bekamen dafür 1 Liter Birnenlimo, zwei Eis in der Waffel und zwei Täfelchen Schokolade. Die „Tante Emma“ half uns beim Rechnen, weil in ihrem Laden keine Preise ausgezeichnet waren und wir hatten alle Spaß dabei.
enter image description hereWeniger spaßig war unsere letzte Tankfüllung in Russland. Der Sprit in Russland ist mit etwas unter 60cent/Liter deutlich günstiger als anderswo, sodass wir die leeren Tanks nochmal überfüllt haben. Da man ja in Russland vor dem Tanken die benötigte Menge schätzen und im Voraus bezahlen muss, haben wir uns angewöhnt, immer lieber etwas mehr zu nehmen, als in die Tanks passt und den Rest in den Benzinsack zu füllen. Bisher ohne Probleme. Doch diesmal roch der Sprit schon ganz anders und das, was der Tankwart überschwappen ließ, sah aus wie Wasser. Der eigentlich 12l fassende Benzinsack war nach etwa 30km Fahrt schon zum Bersten gebläht, aus der Tankentlüftung unserer Tanks pfiff es. Der Tankdeckel öffnete sich fast mit einer Gasexplosion, alle halbe Stunde war der Benzinsack wieder kurz vorm Platzen. Das Ende vom Lied: mein Acerbis Plastiktank ist nun durch die extremen „Blähungen“ verformt und gelb verfärbt. Internetrecherche ergab: wahrscheinlich war da mehr Benzol als Benzin im Sprit!
An der Grenze herrschte Chaos. Der Grenzübergang ist der Einzige zwischen Russland und Georgien und somit auch für alle Fahrzeuge auf dem Weg nach Armenien oder weiter. Und die Russen hatten das Tor zu und ließen nur nach „persönlicher Einladung“ jeweils drei Fahrzeuge zur Abfertigung. Wir trafen einen LKW Fahrer, der schon drei Tage anstand, aber meinte, man könne auch eine Woche warten. Mit uns Motorradfahrern hatte jeder LKW Fahrer Mitleid und so zeigten sie uns, wie wir uns an der Schlange vorbei fädeln und durch die Absperrung schlüpfen konnten. Danke! Was der ganze Zauber an der Grenze sollte, verstehen wir nicht.
enter image description hereEtwas Wehmut war dabei, als wir Russland verließen. Russland ist ein entspanntes Reiseland, alles ist fast wie daheim, wir können alles lesen, einiges verstehen und da wir so oft da waren, ist uns das Land fast etwas „heimisch“ geworden. Und wenn man davon absieht, die „geradeaus, schnell durch“ Straßen zu fahren und den Asphalt verlässt, weil man auf die Papierkarte schaut und nicht dem GPS blöd hinterher fährt, dann entdeckt man ein Land, das so viele schöne Überraschungen bereit hält!
Mehr Fotos gibt es in unserem Facebook-Account unter: Hier unser ganzes Fotoalbum!
Mehr über uns: www.travelove.org

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Wunderschöne Beschreibung, wunderschöne Bilder!

Danke! Da sieht man Mal, was ein iPhone so kann. Bis auf 2 Fotos sind alle vom Handy :-)

Ein sehr schöner Beitrag.
Und vor allem extrem ausführlich. Ich splitte meine Reiseberichte immer weil ich ehrlich gesagt keine Lust habe so lange Texte zu schreiben und immer sehr ausführlich auf ein Thema eingehe.

Ich finde es sehr schön das du / ihr dir / euch solche mühe gemacht habt den Beitrag zu verfassen.
Den upvote habt ihr sicher.

Vielleicht lässt ihr euch ja auch mal von meinen Reisezielen inspirieren insofern ihr noch nicht da wart.

MfG Jonas

DANKE! Deine REiseziele sind meine alte Heimat :-) Ich habe im Elsass gewohnt, bin an der Nahe zur Schule gegangen, habe in Mannheim und Heidelberg studiert. Kenn ich alles von Kindesbeinen an! :-) Liebe Grüße in die alte Heimat aus Tiflis!

Vielen dank für dein Kommentar.
All das sind kleine Reiseziele von mir.
Überall war ich schon zum Tagesausflug.
Das ist eine wirklich schöne Gegend und ich besuche sie immer wieder gerne.

MfG Jonas

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