Herbert nutzt die Zeit zwischen den Beziehungen auf seine Art und Weise

in #deutsch6 years ago

Herbert im Zwischentief


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Der Anruf überraschte mich inzwischen nicht mehr wirklich. Aber der Tonfall in Herberts Stimme hatte sich entscheidend gewandelt. Was ganz zu Anfang unsicher klang, dann nach einigen Wochen beinahe euphorisch rüber kam, hörte sich plötzlich wie der nahende Weltuntergang an der sich gewaltsam durch die Telefonleitung zu pressen versucht.

„Wolfram, hättscht du heit Zeit mit mir uff die Polzei se faahre? Isch misst nämlisch dort meij Audo abhoole.“

Noch bevor ich mit dieser veränderten Stimme klar kommen konnte, rauschten augenblicklich zig Fragen durch meinen Kopf, auf die ich auch nicht nur ansatzweise hätte eine passende Antwort konstruieren können. Ruckzuck rangierte ich die Arbeit an dem Artikel, an dem ich seit Tagen intensiv arbeitete, auf das Abstellgleis und meine volle Aufmerksamkeit galt ab sofort Herbert und den hoffentlich erhellenden Worte, die ich mir auf meine Nachfrage erwünschte.

„Wieso muss du dein Auto bei der Polizei abholen? Falsch geparkt oder hat sich jemand deinen Düsenjäger kurz ausgeliehen?“

Eigentlich hätte ich die Frage vollkommen anders bepacken müssen, da ich mir die Antwort auf den ersten Teil selbst geben konnte. Noch nie habe ich in meinem Heimatland erlebt, dass einem Verkehrsteilnehmer sein liebstes Spielzeug von der Polizei entwendet wurde, nur weil man falsch geparkt hatte. Um diese Fahrzeuge mit dem Hebekran auf den Plan zu rufen, bedarf es schon eines blutigen Gemetzels, beginnend mir heruntergelassener Seitenscheibe und einer gut bestückten Kalaschnikow im Anschlag. Danach kommen zuerst die mit dem blau-weißen Autos, dann die mit dem roten Kreuz, kurze Zeit später die mit dem ganz schwarzen Kombi und erst ganz zum Schluss das Monstrum mit dem Hebekran. Aber wegen solcher Lappalien wie dem Parken vor der Feuerwehrausfahrt, wird kein Hydraulikhebel in Bewegung gesetzt.


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„Nix von allem. Misch hat so e Bleedmann aangezeijt, isch hätt seij Audo demoliert. Awwer das iss e lang Geschischt. Die verzeehl isch ad spääder. Kommscht du dann? Kann isch mit da reschne?“

Mir war bereits einige Male das Vergnügen gegönnt neben Herbert zu sitzen, während der seinen Audi A6 über den Asphalt jagte. Daher fühle ich mich berechtigt zu behaupten, mich dabei nicht wirklich unwohl gefühlt zu haben. Was natürlich auch dem ausgeklügelten Sicherheitssystem des Autobauers aus Ingolstadt zu verdanken ist.
Es gab Situationen, da hätte der eine oder andere Verkehrsrichter ihm eine gewisse Rücksichtslosigkeit unterstellen können. Doch Herbert fand für sein Verhalten danach meist ganz erklärende Worte:
„Der Dummbeidel muss doch siihn, dass isch viiel schnella bin. Der Penner soll sisch besser in de Zuuch setze un mir net im Wääsch rum schteehn.“
Nach dieser logischen Erklärung fehlen dann auch dem gesprächigsten Beifahrer die Worte.

Was in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unerwähnt bleiben sollte, aber eher in den Aufgabenbereich eines Richters für Zivilrecht fällt, ist Herberts nonchalante Zuordnung von Vor- und Nachnamen für die Menschen, die es für notwendig empfinden just zur gleichen Zeit wie Herbert auf dem Asphalt zu sein. Vom Volldeppen bis zu Oberarsch (um nur die jugendfreien Bezeichnungen zu erwähnen) sind alle dabei. Und Vorfahrt hat selbstverständlich immer nur ein rüstiger Rentner aus Dudweiler in einem weißen Audi A6.

Illegale finanzielle Machenschaften innerhalb einer Landtagsfraktion oder Herberts Bericht zur Lage der Nation im Straßenverkehr. Da fiel es mir nicht schwer eine Entscheidung zu treffen. Mein Rechner verfiel in einen sofortigen Tiefschlaf und ich kündigte mein Kommen an.

Knapp eine Stunde später parkte ich mein Auto vor den Toren der Werkstatt des Landeskriminalamtes. Auf der Fahrt von Dudweiler bis in die Landeshauptstadt brachte mich mein Beifahrer mit einer kurzen Schilderung dessen, was sich am letzten Samstag zugetragen hatte, in die komfortable Lage nun auch nachvollziehen zu können, weshalb wir in Kürze hier einen Hauptkommissar Schneider treffen sollten.

Mein Freund und Dauerpatient im Beziehungschaos und momentaner Single nutzte den vergangenen Samstag zu einem kurzen Kurztrip nach St. Wendel. Genauer gesagt, zum Globus-Handelshof, einem saarländischen Einzelhandelsunternehmen (vergleichbar mit SPAR oder REWE), weil dort an jenem Tag das Super-Benzin 2 Cent billiger als an vergleichbaren Tankstellen in Dudweiler angeboten wurde. Herberts Milchmädchenrechnung: Ein voller Tank, zwei gefüllte Reservekanister und noch 3 Ring Lyoner (Fleischwurst), dann machen sich die insgesamt 60 Kilometer Autofahrt auch bezahlt.

Mit einbeziehend, wo Herbert und ich in Saarbrücken parkten und warum wir uns mir einem uniformierten Herrn Schneider treffen sollten, allein diese zwei Komponenten machten es schwierig für mich, der Herbertschen Logik Folge zu leisten.
Mir kam es eher so vor, als hätte Herbert, der Sparfuchs, höchstwahrscheinlich ein Sonderangebot an der der Zapfsäule mit einem Wühltisch bei Karstadt verwechselt und seinen Anspruch auf Billigbenzin mit waghalsigen Manövern unterstreichen wollen. Darunter zu leiden hatte ein anderer Schnäppchenjäger, der wohl Herbert (gewollt oder ungewollt) in seinem Aktionsradius nachhaltig beeinträchtigte.


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Hauptkommissar Schneider entpuppte sich, ganz entgegen meinen gut gehüteten Vorurteile, als ein sehr freundlicher Zeitgenosse, der mir sogar (auch ohne Presseausweis) Einblick in das gewährte, was Herbert vorgeworfen wird. Während ich mich durch das angesammelte Papier arbeitete, hatte es den Anschein, als dass es den Mann, den es eigentlich am meisten interessieren sollte, vollkommen egal war, was bei der Begutachtung festgestellt wurde. Herbert schien mehr besorgt, dass seine Limousine im Polizeigewahrsam nicht schlecht behandelt wurde. So hatte es zumindest den Anschein, als ich ihn aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, wie er um sein Eigentum schlich und ständig mit der flachen Hand über das Plastik und Blech strich.

Aus den Unterlagen war zu entnehmen, dass am Audi keine Spuren nachzuweisen waren, die auf eine Kollision mit einem anderen Fahrzeug hinweisen. Das hörte sich doch ganz gut an. Ich blätterte weiter und mir fiel ein handgeschriebener Bericht auf, bei dem ich mir hundertprozentig sicher war, mit einem solchen Gekritzel vorher schon mal konfrontiert worden zu sein.
Und tatsächlich handelte es sich um Herberts Schilderung über den Vorfall an der ominösen Tanksäule. Ich bat Herrn Schneider mir eine Kopie des Schreibens machen zu dürfen.
Nachdem auch Herbert sich einverstanden erklärte, scannte ich das Schriftstück auf mein Handy.

Hier kommt nun ungeschnitten und ungeschönt Herberts Erinnerungen an einen unerfreulichen Vormittag in St. Wendel an der Tanksäule.

Gedächtnisprotokoll


Ich fuhr zum Tanken an die linke Seite der 2. Tanksäule. Als das Display der Säule ‚Karte eingeben‘ anzeigte, tat ich dies. Doch leider ohne Erfolg. Als dann kurze Zeit später ‚Entnehmen‘ angezeigt wurde, entnahm ich meine Karte und entschloss mich, mein Glück an einer anderen Säule zu versuchen.
Nun machte ich der Fahrerin des hinter mir stehenden Wagens deutlich, dass ich die Tanksäule 2 verlassen möchte. Nun fuhr ich im Schritttempo etwa 5 bis 6 Meter rückwärts, um dann nach rechts an eine andere Säule zu wechseln. Als ich bemerkte, dass mir der Raum neben mir noch nicht reichte, fuhr ich im gleichen Tempo nach rückwärts rechts. Bis zu diesem Zeitpunkt befand sich kein Fahrzeug in meinem Rückspiegel. Doch nach etwa 2 Metern Rückwärtsfahrt hörte ich die Hupe eines Fahrzeugs, das jetzt plötzlich hinter mir stand. Gleichzeitig bemerkte ich, dass ich das Fahrzeug berührte.
Ich stoppte das Fahrzeug sofort und stieg aus, um mir ein Bild vom Geschehen zu machen. Ich sah, dass die mir zugewandte Seite des Fahrzeugs an der hinteren Tür 2 Flecken aufwies, wovon einer nicht neu war. Der 2. Fleck (etwa 3 bis 5 cm groß) war frisch abgewischt. Weder die beiden Flecken, noch die Stoßfänger auf dieser Seite wiesen irgendwelche Unfallspuren auf.
Da auch mein Fahrzeug völlig unbeschädigt war, wollte ich weiterfahren, wurde aber vom Fahrer des anderen Fahrzeugs mit großem Stimmenaufwand aufgehalten. Er wollte mir eine angebliche Beule, die ich verursacht haben sollte, zeigen. Als ich dies für unglaubhaft erklärte, behauptete er, ich hätte die hintere Tür insgesamt verbeult und nach innen gedrückt. Dann kam auch noch die Behauptung, ich habe das ganze Fahrzeug zur Seite verschoben. Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass beide Türen nicht aus der normalen Stellung verschoben waren.
Nun fuhr ich zum Tanken.
Danach hielt mich der Fahrer wieder an und wiederholte seine Behauptungen.
Da ich die Diskussion für unfruchtbar hielt und zu erkennen war, dass die Gegenseite nicht an einer gütlichen Einigung interessiert war, fuhr ich weg.

Ende


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Dann standen wir da in Saarbrücken vor der Polizeiwerkstatt, nachdem Herr Schneider Herbert seinen Autoschlüssel überreicht hatte und wussten nicht so recht, was jetzt passieren sollte. Obwohl das nur auf mich zutraf, da Herber sehr wohl wusste, wie dieser Teilerfolg gefeiert werden musste.

„Do druff trinke ma ääner in de Grill-Schtubb.“

Ich musste das großzügige Angebot schweren Herzens ausschlagen. Ich hatte mich nämlich noch immer nicht informiert, wann eine Fritteusen-Räucherung lebensverlängernd wirkt, ab wann sie das Gegenteil herauf beschwört und ab wann nur noch konserviert wird.
Ohne dieses Grundwissen erschien mir die Rückkehr an den eigenen Schreibtisch für erstrebenswerter. Doch brannten mir noch Fragen auf der Zunge.

„Danke für die Einladung, aber heute geht es beim besten Willen nicht. Erzähle mir nur mal in aller Kürze was dir in den Kopf gekommen ist, einfach so die Unfallstelle zu verlassen?“

So wie Herbert mich anschaute, nervös mit seinem Zündschlüssel hantierte und mit Bewegungen begann, wie sie normalerweise nur getätigt werden, wenn du dringend auf die Toilette musst, war mir klar, dass für ihn der Fall bereits abgeschlossen war.

„De hascht doch selbscht gelääs, dass isch nimmand gerammt hann. Warum soll isch misch dann noch mit so äänem Dummkopp schtunnelang unnerhalle und uff die Polizei waarde?“

„Ganz einfach, weil die hier nur festgestellt haben, dass an deinem Auto kein Hinweis auf eine Kollision gefunden wurde. Dass heißt ja noch lange nicht, dass du dem Dummkopf nicht doch in die Seite gefahren bist.“

„Wem glaabscht du jetz meeh? Dem Aarschloch mit dem fräsche Maul odder mir?“

Spätestens hier wurde mir klar, dass ich meinen Freund vor Ort noch schnell beruhigen musste, aber ihn auf jeden Fall am nächsten Tag anrufen sollte, um ihn zu fragen, ob er überhaupt schon mal einen Rechtsbeistand konsultiert hat. Außerdem wurde ich bereits seit mehr als 14 Tagen nicht mehr über eventuelle Fortschritte in Sachen Partnersuche auf dem Laufenden gehalten.


Gedanken in der Feder.png

Sort:  

Oje, ich fürchte, du musst bald wieder in die Tasten hauen, lieber Wolfram. Der durch und durch selbstbewusste Herbert hat in seiner Protzkarosse auf dem Heimweg doch bestimmt eine schnuckelige Anhalterin mitgenommen...

Dass Herbert eine Anhalterin am Straßenrand bemerken würde halte ich für unwahrscheinlich, da sein Blick ganz und gar der Überholspur gilt.
Trotzdem versuche ich mit ihm Schritt zu halten und bei passender Gelegenheit ihm mit einem kleinen Schubser den richtigen Weg aufzuzeigen. Ob Wunsch und Wirklichkeit sich je treffen werden? - Ich weiß es nicht!!!
Drücke Herbert und mir die Daumen,
denn es ist notwendiger denn je.

Wolfram

Ich freu mich immer so, wenn mir Herbert und seine Erlebnisse den Tag versüßen - vielen Dank! :)

Zwei interne Informationen für dich.
Herbert findet den Weg aus dem Zwischentief zurück in die Zweisamkeit - und frag' nicht wie!!!
Aber alles ist endlich. Nur wann, das weiß zum Glück auch ich noch nicht.
Gruß
Wolfram

Sehr schon, das freut mich für Herbert!
Ich hoffe er hat diesmal mehr Glück ;)

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Super! Neues von Herbert :-)
Aber sag mal: Mit so nem Schlitten sollte die Partnersuche doch kein Problem sein..^^

Das glaubst aber nur du!
Als Beifahrer bist du froh, wenn nicht der Notarzt für dich den Sicherheitsgurt lösen muss.

Aber lass dich überraschen ...

Gruß
Wolfram

Also dann bist Du der (heimliche) Ernie in der Show!?

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