Ein Christenmensch in Westeuropa

in #deutsch5 years ago

https://younggerman.com/2019/01/13/ein-christenmensch-in-westeuropa/



 von Ignatius

Nach  meiner langen Wanderschaft über den Jakobsweg, kurz bevor ich Lourdes  erreichte, machte ich einen Abstecher zum Geburtsort meines Vaters, dem  Heimatdorf meiner Großeltern in der Occitanie.  Das Dorf an sich existiert so nicht mehr. Es hat sich in Richtung der  Ballungszentren bewegt und nur wenige Häuser wurden 2017 noch von alten  Pärchen, den einheimischen Franzosen, bewohnt. Ich fragte mich also  durch, um in Erfahrung zu bringen wo denn die alte Kirche zu finden sei.  Nur noch das Fundament könnte man sehen, erzählte mir eine Herr am  Gartenzaun und wies mir den Weg freundlicherweise. Umringt von jungen  Bäumen und zugewachsen mit Efeu fand ich sie dann. Ein paar weißgraue  Steine, die vom Zahn der Zeit angefressen waren und versteckt im  Gestrüpp lagen. Nicht einmal die Grabsteine hatten man stehen lassen.  Nichts war geblieben. Tausende von Kirchen sollen in den letzten Jahren  in Frankreich aufgrund der schwindenden Anzahl der Christen abgerissen  worden sein. Beim über die Schulter schauen beantwortete sich die Frage  nach dem Wahrheitsgehalt dieser Kunde. Wer außer ein paar alten  Menschen, die aus der Zeit gefallen sind, würde diese Kirche noch  besuchen?Am Fundament stehend suchte ich vergeblich eine halbe  Stunde lang nach einem Hinweus auf meine Familie, fand aber nichts außer  Gras und Gerümpel. Wie eine Müllhalde bot sich der Platz da, wo meine  Großeltern geheiratet hatten, wo mein Vater getauft worden war. Wo viele  Generationen meines Vaters Familie gelebt und geliebt hatten. In dem  Moment, wo ich nichts mehr fand außer Schutt und feuchtes Gras, wurde  mir die Schwere dieses Moments und unsere Lage in Westeuropa wirklich  erst klar. Und ich fiel nieder auf die Knie, um in Tränen auszubrechen.  Ich kann von mir behaupten viele schlimme Dinge im Auslandseinsatz  gesehen zu haben, die einen Mann zu Tränen hätten rühren müssen. Stets  hatte ich mich dieser Schwäche verweigert. Aber als ich erblickte, was  von uns, meinen Vorfahren und unserer Kirche übrig war, gab es kein  Halten mehr.

 Ich fühlte mich in diesem Augenblick wie der letzte  Christenmensch in Westeuropa, der wie nach der Apokalypse über die mit  Schwefel beladene Erde wandert.Vor einigen Tagen sprach der deutsche Kardinal Marx davon, dass wir Christen, wir Katholiken, Abstand nehmen müssten vom Begriff des «christlichen Abendlandes».  Seine Worte riefen mir in Erinnerung, dass ich auf dem Rückweg vom  Heimatdorf meiner Vorfahren am nächsten Ballungszentrum, keine fünfzehn  Kilometer gentfernt, vorbeikam. Dort bot sich mir der Anblick der  glücklich verzückten Gesichter unzählbar vieler Muslime, die auf dem Weg  in die im weißen Beton errichtete Moschee waren. Mit ihren Kutten und  alabasterfarbenen Takken, die mit orientalischen Mustern bestickt waren,  wirkten sie wie eine Heerschar auf dem Marsch. Ich stand hilflos an der  Straße und blickte auf ihre Anzahl. Sie waren viele. Ihre Zahl war Legion. 


 Bild: Roland Darré / CC BY 2.0 

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