Deutsch-Dienstag: melunis Ausflug in die wunderbare Welt der Sprache #35 – Rotkäppchen die Erste

in #deutschdienstag5 years ago (edited)

Guten Abend allerseits oder besser: Bonsoir tout le monde! Doch wieso ist das jetzt besser, fragt ihr euch? 📚📖


Ich will es euch verraten! Winterzeit ist Märchenzeit, zumindest für mich. Spätestens seit einem lehrreichen und interessanten Seminar im Laufe meines Studiums habe ich ein Faible für Märchen. Daher habe ich mir für die kommenden Wochen bis zum Weihnachtsfest etwas Besonderes überlegt: Ich werde den Deutsch-Dienstag nutzen, um euch anhand eines bestimmten Märchens auf eine Reise durch die Zeit, die Sprachen sowie ihre Kulturen mitzunehmen. Mehr verrate ich nicht, seid neugierig und lest selbst!


Einleitung

Es gibt viele Möglichkeiten, jemandem etwas zu erzählen. Eine der wohl ältesten und traditionsreichsten Möglichkeiten ist das Märchen. Ursprünglich lebten Märchen von ihrer mündlichen Weitergabe. Und so kam es, dass oftmals sehr verschiedene Versionen derselben Geschichte entstanden.

Ein Beispiel dafür ist das Märchen vom Rotkäppchen. Es ist sowohl innerhalb Deutschlands, als auch in anderen Ländern bekannt, so haben zum Beispiel auch Frankreich und Marokko eigene Varianten. Um dem Vergessen vorzubeugen, haben Schriftsteller im Laufe der Zeit immer wieder die mündlichen Überlieferungen aufgezeichnet. Unter ihnen waren auch Charles Perrault, die Gebrüder Grimm und Tahar Ben Jelloun, welche alle stellvertretend für ihre Epochen und Kulturen stehen. Ihre Versionen des Rotkäppchens sind es, die ich euch in den kommenden Wochen vorstellen möchte, samt ihrer Eigenheiten und Unterschiede.

Die Version von Charles Perrault – Frankreich

Der erste unserer kleinen Reihe ist Charles Perrault, dessen Le petit chaperon rouge Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich erschien. Um die Bedeutung der Erzählung vollumfänglich zu verstehen, solltet ihr den historischen Kontext jener Zeit kennen. Denn es war so, dass Mädchen und Frauen im Frankreich des 17. Jahrhunderts auf den Haushalt und die Ehe konzentriert leben sollten, da die Erlangung des Ehestandes sowie das Führen eines Haushaltes ihr höchstes Lebensziel darstellte – oder zumindest wünschte man es so. Sie sollten weder nach Wissen streben, noch wurde in ihre Bildung investiert. Stattdessen sollten sie zurückhaltend und dem Manne hörig leben.

Die Folgen einer solchen Erziehung sind leicht auszumalen, denn wie sollten auf diese Weise kluge, gewitzte und umsichtige junge Frauen heranwachsen? Und so hatte auch Perraults Rotkäppchen keine Chance eine solche junge Frau zu werden.


Die Geschichte

Natürlich geht es auch in dieser, oft als erste schriftliche Version dieses Märchens bekannten, Version um ein kleines Mädchen, das sich mit Proviant auf den Weg durch den Wald zu seiner erkrankten Großmutter macht. Unterwegs begegnet es dem Wolf und gibt ihm bereitwillig Auskunft auf seine Fragen. Sie hinterfragt nicht die Absichten, die hinter seinen Fragen stecken, da man ihr beigebracht hat, hörig zu sein und sie schlechtweg nicht weiß, dass es gefährlich ist, mit einem Wolf zu sprechen:"la pauvre enfant, qui ne savait pas qu'il est dangeureux de s'arrêter à ecouter un Loup" (S. 208) .

Was dann geschieht muss ich wohl nicht noch einmal breit wiederholen: Der Wolf eilt voraus, frisst die Großmutter, versteckt sich in ihrem Bett und lauert auf das Rotkäppchen. Dieses kommt schließlich, das altbekannte Gespräch beginnt und am Ende geschieht das Unausweichliche: Sie wird gefressen.

Damit ist die Geschichte von Charles Perrault vorbei. Sie endet in genau dem Moment, als das Mädchen die Erkenntnis hat, dass es falsch handelte, doch nun ist es zu spät und die Sache buchstäblich gegessen.

Man könnte dem Verfasser unterstellen, dass er mit seiner Version der Gesellschaft einen Spiegel vorhält und ihr vor Augen führt, was geschieht, wenn man nur dem männlichen Geschlecht oder den Adligen eine umfassende Bildung angedeihen lässt. Möglicherweise war dies sein Beitrag zum Umbruch des Bildungswesens in Frankreich, der zu jener Zeit begann, doch wer vermag dies heute noch zu sagen?


Falls jemand von euch nun diese Geschichte einmal lesen möchte, so empfehle ich Charles Perraults „Contes“ der Librairie Générale Française, Edition Le Livre de poche – Les classiques de poche von 2006 zu konsultieren. Dort findet ihr noch viele weitere märchenhafte Erzählungen längst vergangener Tage.

Ich verabschiede mich nun wieder, sage au revoire und bis nächste Woche, wenn es mit den Gebrüdern Grimm weitergeht!
Habt eine entspannte Woche
Eure meluni
Bildquellen: 1 und 2

Sort:  

... und ihr vor Augen führt, was geschieht, wenn man nur dem männlichen Geschlecht oder den Adligen eine umfassende Bildung angedeihen lässt.

Ist denn aus gesicherten Quellen überliefert, dass es sich tatsächlich um einen männlichen Wolf, Rüden, (also keinen weiblichen, oder sollte ich besser "keine 'böse' Wölfin" schreiben) handelte? ;-)

Ich seh's kommen, diese Frage könnte nun (halb) ungewollt zu einer Diskussion über meinen letzten 'Gendering'-Artikel führen ...

Lieber @jaki01,

nein, leider gibt es da keine gesicherte Quelle zu, ich habe aber noch nie jemanden getroffen, der den Wolf nicht für männlich hilft, zählt das auch? (; Und eine Gender-Debatte würde hier möglicherweise nur losgetreten werden, wenn du steif und fest behaupten würdest, dass der Wolf eine Wölfin ist! Aber seien wir mal ehrlich, dann ständ doch in der Geschichte auch Wölfin, oder nicht?

Liebe Grüße!

Aber seien wir mal ehrlich, dann ständ doch in der Geschichte auch Wölfin, oder nicht?

Ja, vielleicht, aber ist es nicht so, dass häufig, wenn es sich beim Subjekt um etwas Bösartig-Gefährliches handelt, selbst von den eingefleischtesten 'Genderern' und 'Gendererinnen' auf das 'Gendering' verzichtet wird? Vielleicht übertreibe ich jetzt ein wenig, aber sei ehrlich, hast du schon einmal Sätze wie "Die Maßnahme dient in erster Linie der Abschreckung potenzieller Täterinnen und Täter." gelesen? :-)

Da kann ich ganz unbeschwert offen sein und sagen: nein, natürlich habe ich das noch nie gehört! Ich denke, es gibt einfach bestimmte Dinge, die waren von Beginn an männlich und werden es auch immer sein; andersherum aber ebenso! Dieses abstrakte Gefühl, dass die Natur weiblich ist, die Gefahr männlich und Kinder unschuldig, haben wir doch alle, oder irre ich mich da? Ich denke, das ist tatsächlich so etwas wie ein kulturelles Erbe, ein Gedankengut, das wir gewissermaßen bereits mit der Muttermilch aufsaugen. Total spannendes Thema!

Man könnte dem Verfasser unterstellen, dass er mit seiner Version der Gesellschaft einen Spiegel vorhält

Sind Märchen wie auch Fabeln nicht immer ein Spiegel (natürlich ohne jetzt direkt an Schneewittchen zu denken) der Gesellschaft, eine Vermittlung von Lebensweisheiten, ein philosophisches Erziehungsmittel?

Vergiss die interpretierende Antwort und lies nur meine Begeisterung für deine gute und interessante Idee!

Liebe Grüße,
Chriddi

Doch, das sind sie fast immer meine liebe Chriddi!

Besten Dank! ^-^

Schöner Artikel mit großartigen Bildern. Ich bin gespannt, welche Hintergründe die anderen Märchen parat haben und wie jene zur entsprechenden Kultur passen. Freue mich auf den nächsten Dienstag.

Ich hoffe, ich werde alles so darstellen können, wie ich mir das in meinem stillen Kämmerlein überlegt habe! ^-^

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Schon verrückt das mit dem Deutsch., genau aus diesem Grunde erhälst du hier und heute , zur Feier des Tages ein 100 % Upvote von mir. Gut genau genommen ist das absolut gesehen nicht viel, aber ich hoffe es freut dich dennoch

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