Eine freie Gesellschaft braucht ein Fundament. Teil 38 (kandidatenfreie Persönlichkeitswahl)

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Die kandidatenfreie Persönlichkeitswahl

In den den Teilen 36 ff in #freie-gesellschaft und in Teil 1+2 in #mein-fall hatten wir gesehen: Die kandidatengebundene Listenwahl kann eine Wahl im eigentlichen Sinne nicht sein. Sie verunmöglicht das Natürliche an einer Wahl, nämlich das auf einer umsichtigen Prüfung und Bewertung basierende Auswählen. Die durch diese Wahl angeblich beabsichtigte Machterteilung ist eher eine Machterschleichung, also die verdeckte Form der Machtergreifung. In den Staatsgesellschaften hat sich wegen der dort möglichen Machterschleichung im Vergleich zu früheren Zeiten (den Zeiten gewaltsamer Formen der Machtergreifung) machtstrukturell kaum etwas verändert.

„Steuern wir wieder auf Weimar zu?“ fragt angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Erscheinungen in Deutschland ein süddeutsches Regionalblatt (Südkurier, Nr. 76/2016). „Läuft die Entwicklung auf Weimarer Verhältnisse hinaus? fragt auch der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa (2017). „Ist schon wieder der Hauch des Abgrundes zu spüren, dem die Menschen scheinbar sehnsüchtig entgegenströmen?“ Die Antwort lautet: Ja. Im System ist eine solche Entwicklung angelegt. Die systemimmanente Struktur führt zwangsläufig in eine Form von Gesellschaftlichkeit „mit demokratischer Fassade und despotischen Zügen“ (Gerard Radnitzky, 2006).

Die parlamentarische Demokratie hat keine erkennbare Korrelation zur Freiheitssicherung des Individuums. Darauf haben in jüngerer Zeit neben dem Verfasser vor allem Hans-Hermann Hoppe (2004) und Hans Herbert von Arnim (2017) hingewiesen. Damit steht die Frage weiter im Raum: Wie organisiert sich eine Gesellschaft als Nutzergemeinschaft von Monopolleistungen so, dass sie ihre Gegenmacht gegen die Macht der Monopole (und zwar ohne Souveränitätsverlust der Individuen an der „Basis“) zum Einsatz bringen kann? Von Alters her ist die Antwort vorgegeben: durch Errichtung einer Demokratie. Die Idee freier Gesellschaftlichkeit lässt eine andere Denkbarkeit nicht zu. Und an diesem Punkt wird man neu anknüpfen müssen, trotz aller Bedenken, die aufgrund unerfreulicher Erfahrungen gegen die Demokratie von einigen scharfsichtigen Kritikern erhoben werden. Auch der Ruf nach einer direkten Demokratie ändert im Ergebnis nichts, es bleibt auch dort eine Fassade, wie Prof. Dr. David Dürr anhand der Schweiz umfangreich nachgewiesen hat.

Ein Monopol ist nur dann zuverlässig wucher- bzw. willkürresistent, wenn es sich einer vereinten Verbraucher- und Nutzermacht gegenüber sieht - in Gestalt eines Antimonopols (s. Teil 34+35 in #freie-gesellschaft). Die Macht des Antimonopols muss der Macht des Monopols ebenbürtig sein. Denn die real gegebene Macht der Monopole kann nur durch real gegebene Gegenmacht im Zaume gehalten werden. Damit die Macht der Antimonopole effizient ist, sollten diese so organisiert sein, dass Qualität bei der Monopolkontrolle gesichert ist. In den Antimonopolen müssen Leute an die Spitze, die in der Lage sind, eine fachkundige Regie über die Monopole im Interesse der Monopolnutzer zu führen. Deshalb muss es eine Entstehungsregel für den inneren Aufbau der Antimonopole geben, die Leute dieser Art an die Spitze bringt.
Sowohl die Antimonopole der Staatsgesellschaft als auch die Antimonopole der Freien Gesellschaft haben gewählte Repräsentanten. Dass sich eine Menschengruppe bestimmter Repräsentanten, z. B. Parlamentarier, Schöffen, Ombudsleute und Juroren als Akteure bedient und ihre gemeinsamen Angelegenheiten nicht als Gesamtheit erledigt, hat keinen anderen Grund als die Rücksicht auf reale Gegebenheiten. Je größer eine Gruppe, desto schwieriger ist es, qualifizierte und kompetente Gruppenentscheidungen zu treffen. Man wird sie an Leute delegieren müssen, die dafür besonders geeignet sind. Wie findet man solche Leute und woher erhalten sie ihre Legitimation? Wie bewahrt man trotz Machtübertragung an sie die eigene Souveränität, die Souveränität jedes einzelnen Mitglieds der Gruppe, also die Souveränität der Gruppen-„Basis“?

Die freien Gesellschafter sind vom Wettbewerb des Marktes viel „Basisherrschaft“ gewohnt. Sie sind gewissermaßen demokratieverwöhnt. Deshalb sind sie darauf aus, auch innerhalb ihrer Antimonopole Demokratie durchzusetzen. Auch hier wollen sie auswählen können und zwar basisnah wie beim Wettbewerb. Bei dieser Auswahl geht es aber nicht um die Güter selbst, sondern um die Personen, die die Verhandlungen mit bestimmten Güteranbietern führen, mit ihnen im Namen aller die Tauschverträge abschließen sollen usw. Das ist bei solchen Gütern notwendig, die von Monopolen angeboten werden. Denen sollen die Repräsentanten der Antimonopole paroli bieten (s. Teil 34).

Auch in freien Gesellschaften sind alle Bildungen und Veränderungen der Machtstrukturen von Wahlen abhängig. Mit der Repräsentantenwahl in den Antimonopolen ist die freie Auswahl beim Güterangebot am Markt durch die freie Auswahl derjenigen ersetzt, die sich um die Güterangebote der Monopole kümmern, d. h. prüfen, ob diese Angebote abnehmergerecht sind. Monopolgüter können nur dann abnehmergerecht sein, wenn die das Monopol zügelnde Macht die Macht der Monopolgutabnehmer ist.

Wahlen sollten gemäß Naturrechtsgrundsatz (s. Teil 6 in #freie-gesellschaft) auf den Prinzipien Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit beruhen. Nur muss man sich bei seinen Vorstellungen von demokratischer Wahl nicht an dem orientieren, was heutzutage unter dem Begriff „allgemeine, gleiche und freie Wahl“ die politische Bühne betritt. Hier zeigt sich gerade das nicht, was wir unter Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit der Wahl verstehen (s. Teil 36)

Die kandidatengebundenen Listenwahlen sind Mehrheitswahlen. Eine Mehrheitswahl kann man durchaus „als einen zuwenig hinterfragten Skandal bezeichnen“ (Robert Nef, 2012; s. auch Hans-Herrmann Hoppe, 2004 und 2012). In Teil 36 und explizit in #mein-fall habe ich gezeigt, aus welchen Gründen das Mehrheitswahlsystem als Gruppenstrukturierungsmodell für die Freie Gesellschaft untauglich ist.

Mehrheitswahlsysteme sind letztlich dafür verantwortlich, dass die Demokratie heute viele Feinde hat, von denen einige sie sogar abschaffen wollen. Nun gibt es aber nur eine einzige Möglichkeit, die naturgegebene Macht eines Individuums innerhalb einer organisierten Gruppe zu sichern und damit dem Naturrechtsgrundsatz zu genügen: - die Demokratie.

Wer auch immer der geschicktere Machthaber sein mag, ein Despot oder ein Demokrat, dem Freiheitsideal gemäßer ist die Demokratie. Einer radikal demokratischen Gesinnung muss es sogar gleich sein, ob auf dem Wege einer Machterteilung wirklich die Besten an die Macht kommen - nach dem Motto: „Better self-government than well government“.

Eine Gesellschaft mag Musterfrauen und Mustermänner an den Schalthebeln der Macht haben oder auch nicht. Den wahren Demokraten interessieren lediglich zwei Fragen:

        1. Auf welchen Wegen gelangen sie dorthin?  
        2. Auf welchen Wegen treten sie dort wieder ab? 

Die Demokratiefrage steht und fällt mit der Form des Machtgewinns und des Machtverlusts. Die demokratiegerechte Art, Macht zu gewinnen oder Macht zu verlieren, ist die Machterteilung durch vernünftig organisierte Wahlen. Ob eine Gesellschaft wahrhaft demokratisch ist oder nicht, entscheidet sich daran, ob eine Wahl eine echte Wahl ist oder nicht.

Die in Ost und West heutzutage üblichen Wahlordnungen sind, sofern sie kandidatengebundene Listenwahlen begründen, weder Dokumente für die Verwirklichung der Naturrechtsprinzipien Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit, noch überhaupt Zeugnisse eines vernünftigen Organisationsgeistes.

Die radikalen Kritiker der Demokratie erblicken nicht nur in der parlamentarischen Demokratie, sondern in der Demokratie schlechthin eine defekte Sozialordnung. Man sollte, so die vereinzelt vertretene Meinung, Demokratie am besten ganz abschaffen (z. B. Hans-Hermann Hoppe, 2004 und 2012).

Friedrich August von Hayek hält dagegen: „Es scheint mir, dass die Desillusionierung, die mancher spürt, nicht auf einem Fehlschlagen der Demokratie als solcher beruht, sondern darauf, dass wir damit falsch umgegangen sind. Gerade weil es mir am Herzen liegt, das wahre Ideal davor zu bewahren, in Misskredit zu geraten, versuche ich herauszufinden, welche Fehler wir gemacht haben und wie wir die unerwünschten Konsequenzen des demokratischen Verfahrens verhindern können, die wir beobachtet haben“ (1981).

Weil einige Freiheitsfreunde nur das ominöse Demokratiemodell von heute kennen, das durch Mehrheitswahlen und Parlamente gekennzeichnet ist, sind sie der Auffassung, es solle - angesichts der Ergebnisse, die dieses Modell hervorbringt - besser gar keine Demokratie mehr geben. Aber der von Freiheit durchdrungene Geist der Demokratie - im alten Athen aus der Flasche gelassen - will partout nicht wieder in die Flasche zurück.

Ein totaler Demokratiemord würde auch das vernichten, was man „Demokratie des Marktes“ nennt (in Teil 39 kommen wir darauf zu sprechen). Ein am Markt gut eingewachsener Wettbewerb ist freiheitsgemäß. Er beschert den Marktteilnehmern an der „Basis“ eine reichhaltige Auswahl von Gütern. Dieser Umstand hat schon Manchen zu der Aussage veranlasst, ein durch Wettbewerb gekennzeichneter Markt trüge bewundernswert demokratische Züge, denn wo Entscheidungen basisnah fallen, da herrscht Demokratie.

Schauen wir uns in diesem Zusammenhang die vom Wettbewerb geprägte „Demokratie des Marktes“ und die Struktur ihres eigentümlichen Auswahlmechanismus genauer an. Vielleicht finden wir hier wertvolle Anregungen für ein neu zu entwickelndes Gruppenstrukturierungsmodell, ein Modell, das es erlaubt, auf die demokratiedefizitären Wahlsysteme, die wir heute haben, zu verzichten (im Folgenden: Die Demokratie des Marktes).

Will die auf Freiheit eingeschworene Gesellschaft die politische Form, die ihr gemäß ist, dann muss sie die Demokratie favorisieren. Das wäre allerdings eine Demokratie, die mit den heute existierenden „Demokratien“ nichts gemein hat. Es gilt jetzt, die Entstehungsregel aufzuspüren, die eine solche Demokratie hervorbringen kann (im Folgenden: Kandidatenfreiheit bei Wahlen)

Wie muss eine Wahl von Personen im Sinne von „Auswahl der Ausgezeichneten, der Besten“ organisiert sein, und zwar so, dass daraus echte Demokratie entsteht? Diese Frage zielt nicht auf die technischen Voraussetzungen der Wahl. Die sind zwar wichtig, mögen hier aber außer Betracht bleiben. Die rechtlichen Voraussetzungen hingegen sollten wir genauer studieren (im Folgenden: Wahlablauf bei der kandidatenfreien Persönlichkeitswahl).

Eine hervorragende Rolle bei der Diskussion um die Auswahlprozeduren in Menschengruppen spielt die Frage: Wie ist gesichert, dass die Besten an die Spitze gelangen? Eine Machtgleichstellung der Antimonopole mit den Monopolen ist nur erreichbar, wenn es bei den Antimonopolen eine Gruppenstruktur gibt derart, dass den Monopolen wirksam paroli geboten werden kann. Das kann nur durch Professionalität seitens der Repräsentanten der Antimonopole erzielt werden. Die Repräsentantenwahl muss gewährleisten, dass durch sie im Antimonopol eine Rangfolge der Güte entsteht (im Folgenden: Rangfolge der „Güte“).

Es gibt unabweisbare Gründe dafür, dass bei einer Vereinsvertretung die Gewählten ihre Funktion ehrenamtlich ausüben sollen - und dies auch können! Die Organisation der Antimonopole ist demnach so eingerichtet, dass es für die Repräsentanten möglich ist, neben ihrer existenzsichernden Berufstätigkeit politisch aktiv zu sein, ohne dafür einen Lohn zu erhalten (im Folgenden: Ehrenamtlichkeit der Gewählten).

Jeden künftigen Alternativvorschlag zur heute üblichen kandidatengebundenen Listenwahl wird man nicht nur danach zu beurteilen haben, ob der Wahlakt unverfälscht allgemein, gleich, frei und nichtanonym („unmittelbar“) ist, sondern auch danach, ob er gewährleist, dass Minderheiten in das Entscheidungsganze der Wählergruppe einbezogen sind. Es wäre also am Schluss die Frage zu stellen: Wie kann eine Minderheit, deren besten Köpfe sonst in Opposition verharren und dort ein Schattendasein führen müssten, in die Entscheidungsstruktur der Wählergruppe einbezogen werden? (im Folgenden: Minderheitenintegration)

Schauen wir ab Teil 39 in #freie-gesellschaft, wie sich eine wahrhaft freie Gesellschaft „demokratisch“ organisieren kann.

Euer Zeitgedanken

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