Theodor Storm: Das Hohelied

in #gedicht5 years ago

Theodor Storm: Das Hohelied

Der Markt ist leer, die Bude steht verlassen,
Im Winde weht der bunte Trödelkram;
Und drinnen sitzt im Wirbelstaub der Gassen
Das schlanke Kind des Juden Abraham.
Sie stützt das Haupt in ihre weiße Hand,
Im Sturm des Busens bebt die leichte Hülle;
Man sieht's, an dieser Augen Sonnenbrand
Gedieh der Mund zu seiner Purpurfülle.
Die Lippe schweigt; die schwarzen Locken ranken
Sich um die Stirn wie schmachtende Gedanken. -
Sie liest vertieft in einem alten Buch
Von einem König, der die Harfe schlug
Und liebefordernd in den goldnen Klang
Manch zärtlich Lied an Zions Mädchen sang.

Theodor Storm

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