Zehnte Erfindung | Tenth Invention

Zehnte Erfindung

Gespräch mit Vivienne über Würde und über doch noch ein weiteres und letztes Tattoo. Ich male mir aus:
Philosophie der Menschenrechte, die Würde des Menschen im revolutionären Raum von Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Zwischen Universalität und Privileg. Und zwischen Globalität und Clash of Cultures.

In politischen Diskussionen und Entscheidungsprozessen erlebe ich immer wieder eine Konkurrenz der Werte, bekenne ich Vivienne, eine mangelhafte Hierarchie oder schlicht eine Uneinigkeit darüber, welche Werte als grundlegend angesehen werden sollten, jedoch ohne Transparenz dieser Mängel; keiner spricht sie offen aus, so dass es scheint, als seien und blieben sie im Dunkel.

Gerne werde hingegen vor allem in der Öffentlichkeit so argumentiert, behaupte ich, als verstehe sich von selbst, dass der gerade selbst vehement vertretene Wert der höchste sei - beispielsweise Gesundheit - oder sich zwangsläufig ergebe aus dem fraglos höchsten Wert - beispielsweise aus der Sicherheit. Eine solche Wertesetzung sei aber nicht Aufgabe des Staates und seiner Repräsentanten, schweife ich ab, sondern des einzelnen Bürgers. Nicht umsonst beginne das deutsche Grundgesetz oder die allgemeine Erklärung der Menschenrechte woanders als bei Sicherheit oder Gesundheit.

Ist die Würde des Menschen noch unser oberster Wert? Das muss immer wieder gefragt und beantwortet werden, darauf bestehe ich nun im weiteren Verlauf des Gespräches mit Vivienne. Die Lichtgeschwindigkeit ist absolut, dieser Wert auch? Frequenz und Wellenlänge des Lichtes variieren, aber so, dass das Produkt beider immer die selbe Geschwindigkeit ergibt. Welches wären wohl die Faktoren der Menschenwürde? In diese Frage lasse ich meine Denkversuche einmünden.

Vivienne sagt, das sei ein hübsches Denkmodell, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Von da aus kamen wir dann zur so genannten Sakralität der Person, in der ein entschiedenes „Du zählst!“ enthalten ist, jedoch Viviennes und auch meiner Ansicht nach kein auftrumpfendes „Ich zähle!“, denn Wertschätzungen werden in erster Linie geschenkt, nicht wie Kapital gegen Zins verliehen oder als Besitz angehäuft, darin sind wir uns schnell einig. Hierin sehen wir in erster Näherung auch schon einen der möglichen Faktoren der Würde des Menschen.

Schnell einig werden wir uns auch, den begonnenen Diskurs im Café Einstein fortzusetzen. Aber nicht Unter den Linden, sondern im Stammhaus in der Kurfürstenstraße. Wir müssen zu klären versuchen, wer das erwähnte „Du zählst!“ aussprechen darf, wer also dazu befugt ist, ohne das angesprochene Du damit zu vereinnahmen. Parteien, Religions- und andere Gruppen missbrauchen Aussagen der Wertschätzung nur allzu gerne, um sich einzuschmeicheln bei den solcherart Angesprochenen. Das wäre dann aber kein wirkliches, sondern ein Danaer-Geschenk: ein Trojanisches Pferd in meiner Seele…

photo: ty-ty

Tenth Invention

Conversation with Vivienne about dignity and about yet another and final tattoo. I imagine:
Philosophy of human rights, human dignity in the revolutionary space of freedom, equality and fraternity. Between universality and privilege. And between globality and clash of cultures.

In political discussions and decision-making processes, I repeatedly experience a competition of values, I confess to Vivienne, a deficient hierarchy or simply a disagreement about which values should be considered fundamental, but without transparency of these deficiencies; no one speaks them out openly, so that it seems as if they are and remain in the dark.

On the other hand, people, especially in public, like to argue, I claim, as if it were self-evident that the value they themselves vehemently advocate is the highest - for example, health - or that it necessarily follows from the unquestionably highest value - for example, security. However, I digress, such value-setting is not the task of the State and its representatives, but of the individual citizen. It is not for nothing that the German Basic Law or the Universal Declaration of Human Rights start somewhere else than with security or health.

Is human dignity still our supreme value? This must be asked and answered again and again, I insist on this now in the further course of the conversation with Vivienne. The speed of light is absolute, this value too? The frequency and wavelength of light vary, but in such a way that the product of both always results in the same speed. What would be the factors of human dignity? This is the question into which I let my attempts at thought flow.

Vivienne says it's a nice way of thinking, no less, but no more. From there we moved on to the so-called sacrality of the person, which contains a decisive "You count!", but in Vivienne's view, and in my view too, not an ostentatious "I count!", because valuations are first and foremost given as a gift, not lent out like capital at interest or accumulated as possessions, we quickly agree on that. In this we already see, to a first approximation, one of the possible factors of human dignity.

We also quickly agree to continue the discourse we have started in Café Einstein. But not Unter den Linden, but in the main building in Kurfürstenstraße. We must try to clarify who is allowed to say the aforementioned "You count!", i.e. who is authorised to do so without appropriating the "you" addressed. Parties, religious and other groups are only too happy to abuse statements of esteem in order to ingratiate themselves with those addressed in this way. But that would not be a real gift, but a Danaer gift: a Trojan horse in my soul....

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