DER JOKER --- (Hässlichkeit, Absurdität & Rebellion) - eine psychologische Beleuchtung des Jokers

in #deutsch5 years ago (edited)

Die folgende Charakteranalyse entstand aufgrund meines Interesses für den Joker als Comicfigur. Die Zahlen in Klammern sind Endnoten, die sich am Ende des Posts befinden und mehr Aufschluss geben sollen. Alle Bildrechte sind bei DC und die Bilder werden ausschließlich zur Untermalung des Textes verwendet. Wer nach diesem Post mehr Interesse an der besten Batman-Joker-Geschichte aller Zeiten hat, dem empfehle ich das Comic:
Batman: The Killing Joke


Quelle

1. Einleitung - die Faszination des Hässlichen


Die Hässlichkeit tritt in unzähligen Formen zutage und kann uns mit ihrer verführerischen Ausstrahlung regelrecht in ihren Bann ziehen. Sie schockiert. Sie provoziert. Sie bringt uns zum nachdenken. Sie hält uns etwas vor Augen, das uns irgendwo Nein sagen lässt und uns dennoch insofern ein Ja abverlangt, als wir gewillt sind, ihr unsere Aufmerksamkeit zu schenken.

Hinsichtlich ihrer Vielfältigkeit begegnet sie uns unerbittlich in der Realität; man denke z.B. an das schändliche widernatürliche Verhalten, das die Menschheit der lebensspendenden Erde entgegen bringt, indem sie sie systematisch zerstört; die permanente Zunahme von übergewichtigen Menschen; die Gewaltverbrechen; die stumpfe kalte Architektur der Moderne; et et et.

Doch sie hat auch ihren festen Platz im Reich der imaginativen Darstellung; der Kunst; sei dies beispielsweise in Form eines Bildes; einer unharmonisch an- mutenden Melodie oder in Form einer literarischen Szene. Ja, die Hässlichkeit trägt zweifellos tausend Masken.

Eine bedeutende und dennoch zu wenig beachtete Ausdrucksform innerhalb der Kunst, stellt die Comicliteratur dar. Sie vereint das ausdrucksstarke Bild mit dem geschriebenen Wort und zeigt gekonnt verschiedene Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen. Gewiss kann man ihr Oberflächlichkeit und Seichtigkeit vorwerf- en, denn es gibt genug Zeugnisse dafür, aber es sind viele Werke vorhanden, die durchaus Reife beweisen und hinsichtlich Gesellschaftskritik zweifellos etwas zu sagen haben [vgl. Moores »V wie Vendetta« oder Millers »Sin City«].

Würde man nun die Comicliteratur in Bezug auf die Hässlichkeit untersuchen wollen, so könnte man Bibliotheken füllen. Angefangen mit den klassischen Ge- schichten aus dem Horrorgenre bis hin zu der Figur Swamp Thing, die bedingt durch ihr deformiertes Aussehen von der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Am Faszinierendsten allerdings wird die Thematik der Hässlichkeit, wenn neben dem ästhetischen Aspekt noch ein ethischer hinzukommt; wenn man in die Bereiche der Soziopathie, des Diabolischen und des Absurden geht. Dort nämlich finden sich Figuren, die uns Grenzen zeigen, welche wir nicht wagen würden zu übertreten. Sie sind die Opposition zum Ideal des Edlen und Guten.

Ob man dabei an Spidermans Erzrivalen Venom denkt, der getrieben von Hass, das Leben seines Feindes in jeder Faser schwer bis unmöglich machen will; oder an den berüchtigten Magneto, der im Gegensatz zu den X-Men die Welt von der »Schwäche Mensch« befreien will; oder an all die dunklen Gestalten, die sich in Basin City sammeln und gedrückt von der dunklen Stadt ihren fragwürdigen Geschäften nachgehen, so wird dennoch ein Charakter all die Anderen an innerer Hässlichkeit überragen :: Batmans Gegenspieler – der Joker. —

Dieser ist es, der den Gegenstand der folgenden Abhandlung bildet und dessen Werdegang und Entwicklung darzustellen versucht werden. Dabei wird im ersten Schritt sein Entstehen sowie sein Mythos betrachtet, worauf im Anschluss vertieft auf sein Wesen, seine Einstellung zum Leben und zur Gesellschaft eingegangen wird. Um dies alles besser verstehen zu können, wird einerseits auf den Film »The Dark Knight« und andererseits auf das bedeutendste Werk »The Killing Joke« Bezug genommen, wobei dazu gesagt werden muss, dass den Elseworlds- Geschichten (1) keinerlei Beachtung geschenkt wird und sich die Untersuchung auf die klassischen Versionen des Joker beschränkt.


2. Historische Daten zur Entstehung des Jokers

2.1 Erster Auftritt und Urheberschaft

Der Joker wurde im Golden Age (2) geboren und hatte seinen ersten Auftritt in der legendären Ausgabe Batman #1 von 1940, wo er eine der vier Geschichten aus- füllte. Schon damals ging etwas Mysteriöses von ihm aus, denn man konnte sich nicht erklären, warum seine Gesichtsfarbe weiß war und generell sein Aussehen so derart komisch und verzerrt. Dies sollte sehr lange Zeit ein Geheimnis bleiben.

Wer ihn letztendlich erfunden hat, ist bis heute noch umstritten. Einerseits nennt man den Assistenzzeichner Jerry Robinson und andererseits Bill Finger so- wie den Erfinder von Batman selbst — Bob Kane. Wahrscheinlich ist, dass Robinson den Rohentwurf geliefert hat, während Finger und Kane die Figur des Jokers komplettiert haben. Als Inspiration bzw. Vorlage diente die Figur des Gwynplaine gespielt von dem Schauspieler Conrad Veidt (siehe Abbildung 1.) aus dem Stummfilm »The man who laughs« von 1928.


Abbildung 1. - Quelle

Vergleicht man diesen Gwynplaine mit dem Joker der 40iger Jahre und generell den verschiedenen Darstellungen des Jokers, so wird man feststellen, dass sehr viele Elemente übernommen wurden — die gebleichte Hautfarbe, die diabolisch wirkende Konstellation der Augenpartie, das breite Grinsen, die spitze Nase sowie die ausgeprägten Wangenknochen und die faltige Stirn. (vgl. mit Abbildung 2.)


Abbildung 2. - Quelle

2.2 Ein kurzer Überblick hinsichtlich Entwicklung

Im Goldenen Zeitalter der Comicliteratur wurde der Joker als ein verrückter Mörder dargestellt, den man mit seinem zweiten Auftritt bereits wieder sterben lassen wollte. Dies wusste der Editor Whitney Ellsworth allerdings zu verhindern und ließ den Joker in den weiteren Ausgaben immer wieder auftreten. Im Zuge dessen waren seine Verbrechen gleichzeitig skurril und verrückt sowie unmenschlich brutal. Er hinterließ seine Opfer stets mit einem Grinsen für die Ewigkeit, das durch ein speziell entwickeltes Gift erzeugt wurde. Was diesen Modus operandi bzw. generell die Logik des Jokers betrifft, so sagt Batman, dass sie wohl nur Sinn für den Joker allein mache.

Mit dem Aufkommen des Comics Code Authority Censorship Boards und der damit verbundenen Zensur der amerikanischen Comicliteratur wurde der Joker in den 50iger Jahren zu einem Witzbold und Dieb degradiert, der sein Umfeld mit seinen Späßen penetrierte. Er wurde sozusagen abgeschwächt und langsam aber sicher verschwand er von der Bildfläche.

Im Jahre 1973 erfuhr er allerdings durch den Schreiber Dennis O’Neil sowie den berühmten Zeichner Neal Adams in der Ausgabe Batman #251 eine Wiederbelebung. Der Joker kehrte zu seinen Wurzeln zurück und trat wieder als der verrückte Mörder mit dem irrsinnigen Humor in Erscheinung. Sein wirklicher Durchbruch hingegen, der ihm später seitens des renommierten Wizard Magazins den Titel als bester Bösewicht aller Zeiten einbrachte, gelang ihm mit der vierteiligen Serie »A Death in the Family« (3) sowie der Grafiknovelle »The Killing Joke« (4).

Beide Geschichten stellen absolute Schicksalsschläge im Leben von Batman dar. Während in »A Death in the Family« Jason Todd, also der zweite Robin, sein Leben durch die Hand des Jokers verliert, so wird in »The Killing Joke« Barbara Gordon, das Batgirl und Tochter des Polizeichefs Jim Gordon, auf brutale Weise verkrüppelt und für ihr weiteres Leben an den Rollstuhl gefesselt. In den folgenden Jahren hatte der Joker nicht nur viele Auftritte in diversen Ongoing-Series (5), sondern auch eine Reihe eigener Grafiknovellen, die allerdings nie wieder die Qualität der beiden obgenannten Stories erreichten.


3. Einblick in das Phänomen des Jokers

3.1. Einleitendes

Das erwähnte Comicbuch »The Killing Joke« ist nicht nur derart berühmt geworden, weil in ihm ein sehr bedeutender Charakter einen radikalen Wandel zu durchleben hat, sondern weil hier erstmals – und dies nach ganzen 48 Jahren – die genauen Zusammenhänge beleuchtet werden, unter welchen Umständen der Joker zu dem wurde, was er ist. Zwar wurde dies schon Anfang der 50iger Jahre in der Ausgabe Detective Comics #168 angespielt, aber ganz konkret stellte dies eben Alan Moore mit seinem grandiosen Werk dar.

Weiters erfährt man, welcher Natur der Joker in seinem „normalen“ bürger- lichen Leben war, wie er lebte, welchen Beruf er hatte und welche grundlegenden Eigenschaften seine frühere Persönlichkeit ausmachten.

Im Gegensatz dazu erfährt man im Film »The Dark Knight«, dem zweiten Teil der Christopher Nolan-Reihe, keine gesicherten Fakten über seine Vergangenheit. Vielmehr scheint es beabsichtigt zu sein, seine Figur im Nebel des Ungewissen zu lassen und ihn damit mysteriöser zu gestalten.

Im Folgenden wird nun versucht, das Wesen des Jokers und was er als Narr darstellt, zu analysieren, während im weiteren Verlauf seine Vergangenheit anhand von Moores Grafiknovelle aufgezeigt wird, die uns einen tieferen Einblick in die Hintergründe seiner Persönlichkeitsveränderung gewähren wird.

3.2. Der Joker und die Absurdität

Der Joker lässt sich mit vielen Worten bezeichnen. Er ist zutiefst verdorben, böse, sadistisch, intelligent, intrigant, einzelgängerisch, besessen, chaotisch, unehrlich und aus tiefster Überzeugung heraus amoralisch. Er ist geprägt von schwarzem Humor, narzisstisch, lebensverneinend und voller Hass, der sich hauptsächlich gegen Batman, aber auch gegen die Menschen und das Leben an sich richtet. Er ist ein lebendes Inferno, weshalb es nicht verwundert, dass Alfred, der Butler von Bruce Wayne alias Batman, in einem Dialog mit ihm sagt: Manche Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen.

Will man das Wesen des Jokers jedoch mit nur einem Wort beschreiben, es müsste lauten ― absurd ― Dies zeigt sich z.B. bereits in der ersten Szene von The Dark Knight, wo der Joker eine Bank ausraubt und dabei all seine Verbündeten nach getaner Arbeit unabhängig voneinander umbringt, sodass am Ende nur er selbst übrigbleibt. Als er kurz vor seiner Flucht von einem Angestellten, der Widerstand leisten wollte, gefragt wird, an was er eigentlich noch glaube, antwortet der Joker: »Ich glaube, was einen nicht umbringt, macht einen komischer.« ― In der englischen Fassung lautet es stranger.

Entgegen aller Übersetzungskritik, das Wort komisch wäre unangemessen und würde einen euphemistischen Hauch mit sich tragen, der sich über die Tiefe dieser Aussage hinwegsetzt, zeigt die Aussage im Gesamten, dass hier ein Mensch ist, der zwar mit Nietzsche gesprochen härter geworden ist, aber gleichzeitig im Prozess der Konfliktbewältigung den Moment der adäquaten Anpassung versäumt hat. Im Sinne Freuds könnte man den Schluss ziehen, das ICH des Jokers war ab einem gewissen Punkt seines Daseins und unter dem Einfluss der gegebenen Konflikte nicht mehr in der Lage, den Ansprüchen des Lustprinzips seines ES und der Realität gerecht zu werden, wodurch er eben komischer oder stranger; sprich eigenartiger, absonderlich oder um es treffend zu bezeichnen ― verrückt wurde. In dieser Entfremdung verlor die Normalität der Vergangenheit ihren Sinn und was im Zuge dessen angenommen wurde, gilt der intersubjektiven Annahme von Normalität; dem allgemeinen Gesellschafts-Charakter als absurd.

Den Joker kümmert die Ansicht der Menschen allerdings nicht. Vielmehr ist er von ihrer sogenannten Ordnung angewidert und hasst die systemerhaltenden Kräfte. Er amüsiert sich über den sogenannten moralischen Codex der Menschen und will ihnen die scheinbare Stabilität ihrer Ordnung aufzeigen. Die Menschen seien ihm zufolge nicht mehr als armselige Pläneschmieder, die die Welt mit ihren Plänen formen, um diese dann ständig unter Kontrolle haben zu wollen. Für den Joker ist dies alles vollkommen absurd und verrückt, was in der folgenden Szene aus The Killing Joke dargestellt wird. Hier befindet er sich auf einem verlassenen Jahrmarkt, wo er den Police Commissioner Gordon gefangen hält, um mit ihm ein Experiment durchzuführen, das zeigen soll, wie aus einem normalen Menschen unter Belastung und Druck ein Verrückter wird. Vor einer Horde abstruser Gestalten verkündet er:

»Ladies and Gentlemen! You’ve read about it in the newspapers! Now, shudder as you observe, before your very eyes, that most rare and tragic of nature’s mistakes! I give you… THE AVERAGE MAN! ― Physically unremarkable, it has instead a deformed set of values. Notice the hideously bloated sense of humanity’s importance. The club-footed social conscience and the withered optimism. It’s certainly not for the squeamish is it? Most repulsive of all, are its frail and useless notions of order and sanity. If too much weight is placed upon them… they snap. How does it live, I hear you ask? How does this poor pathetic specimen survive in today’s harsh and irrational world? The sad answer is „not very well.“ Faced with the inescapable fact that human existence is mad, random and pointless, one in eight of them crack up and go stark slavering buggo (6)! Who can blame them? In a world as psychotic as this... any other response would be crazy!«

Im Folgenden mein Versuch einer deutschen Übersetzung und nachstehend noch die Originalszene, wo anhand der Gesichtszüge und Gestiken des Jokers seine theatralische Art trefflich widergespiegelt wird.

»Meine Damen und Herrn! Sie haben darüber in den Zeitungen gelesen! Jetzt erschaudert sowie ihr vor euren Augen den seltensten und tragischsten Fehler der Natur beobachtet. Ich gebe Ihnen… DEN DURSCHNITTLICHEN MENSCHEN! ― Körperlich unauffällig hat er stattdessen eine Reihe von deformierten Werten. Beobachten Sie den schrecklich aufgedunsenen Sinn für die Bedeutung der Menschheit. Das klumpfüßige soziale Gewissen und den verdorrten Optimismus. Es ist sicherlich nichts für Weicheier, ist es nicht so? Das am meisten Abstoßendste sind seine gebrechlichen und nutzlosen Vorstellungen von Ordnung und Vernunft. Wenn zu viel Gewicht auf ihnen platziert wird… reißen sie. Wie lebt es, höre ich Sie fragen? Wie überlebt dieses arme erbärmliche Exemplar in der heutigen rauen und irrationalen Welt? Die traurige Antwort ist: „nicht sehr gut.“ Konfrontiert mit der unausweichlichen Tatsache, dass die menschliche Existenz verrückt, zufällig und sinnlos ist, dreht einer von acht durch und wird zu völlig sabbernder Scheiße! Wer kann es ihnen verdenken? In einer Welt so psychotisch wie dieser… jede andere Antwort wäre verrückt.«


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 34 (all rights by DC Comics)

3.3. Der Joker als psychosozialer Forscher

Wie wir gesehen haben, ist die Einstellung des Jokers nihilistisch und absurd. Im Grunde seines Wesens sieht er den Menschen als ein animalisches Wesen, dessen Sinn für Ordnung und moralische Vorstellungen pathologische Anzeichen von Schwäche darstellen, die sich aus dem Wunsch dem bellum omnia contra omnes Einhalt zu gebieten ergeben. Dies erinnert ein wenig an Nietzsche und seine Auffassung über die Herdenmoral. Der aus der Feder von Plautus stammende Satz homo homini lupus könnte zudem durchaus vom Joker stammen, der in The Dark Knight sagt, die Menschen seien nur so gut, wie die Welt zu ihnen ist. »Kommt es hart auf hart und die zivilisierten Menschen fressen sich gegenseitig.«

Bei dieser theoretischen Haltung bleibt es allerdings nicht und der Joker ist weit davon entfernt nur ein einfacher Krimineller zu sein. Ihm geht es nicht um die Akkumulation von Geld. Vielmehr ist ihm Habgier fremd sowie auch das Streben nach Ruhm und Macht. Seine Intention besteht, neben dem obsessiven Spiel mit Batman und dem Verbreiten von Chaos, Schrecken und Verzweiflung, in einem ständigen Beweisen seiner Ansichten vom Leben und den Menschen. Er sieht sich darin als psychosozialer Forscher, der es liebt, Experimente zu machen und die Menschen als seine Labormäuse betrachtet.

Im zweiten Teil der Nolan-Reihe wird dieser forschende Charakterzug als Höhepunkt der darin begangenen Verbrechen gezeigt. Auf zwei verschiedenen Schiffen, die gerade den Hafen von Gotham City verlassen, wurden Sprengsätze angebracht. Gleichzeitig befinden sich dort auch die Zündmechanismen für das jeweils andere Schiff. Auf einem Schiff befinden sich Sträflinge, auf dem anderen Menschen aus der Bürger- und Arbeiterklasse. Plötzlich erscheint durch die Lautsprechanlagen die Stimme des Jokers, der alle Beteiligten auf den Ernst der Lage hinweist und ihnen ein Ultimatum stellt. Sofern eines der Schiffe nicht vor zwölf Uhr Mitternacht den Zündmechanismus auslöst, werden beide Schiffe zerstört. So aber bliebe einer Partei die Möglichkeit sich durch den Tod der anderen frei zu kaufen. Die Uhr tickt.

Wider Erwarten sind es nicht die Sträflinge, die gleich nach dem Zünder greifen. Im Gegenteil, eher würden noch die Wärter an die Sprengung denken. Auch bei den Bürgern entsteht ein Streit, worauf es auf beiden Schiffen zu einer Abstimmung kommt. Nach dieser würden die Bürger die Sprengung durchführen, was aber misslingt, weil der ausgewählte Durchführende nicht den Mut dazu hat. Bei den Sträflingen hingegen wurde dagegen entschieden und als einer der Wärter die Sprengung veranlassen will, nimmt ein Sträfling den Zünder und haut ihn aus dem Fenster. Letzten Endes werden beide Schiffe gerettet, aber im Grunde sollte der Joker recht behalten.

Das bereits erwähnte Experiment mit Jim Gordon geht ebenso schief und die Annahme des Jokers, dass ein Mensch zwangsläufig verrückt werden müsse, sobald ihm mehrere einschneidende und harte Erlebnisse widerfahren, bestätigt sich nicht. Nicht nur weil Batman Joker stellt, sondern weil die Konstitution des Polizeichefs eine andere ist. Er ist härter; solider und hat eine andere Vorstellung von Integrität.

3.4. Die Genese des Jokers

Bei all der Abscheulichkeit seiner Verbrechen, seinem intriganten und infernalen Vorgehen, seinem unstillbaren Verlangen sich der Ordnung zu widersetzen und Chaos zu verbreiten, das seiner Ansicht nach der einzig faire Faktor im Leben ist, stellt sich die Frage, wie der Joker zu dem werden konnte, der er ist. Was musste geschehen, damit sich dieser Sinneswandel ergab? Wer und vor allem wie war er vor seiner Metamorphose? ―

Alan Moore behält die Tradition, dass der Joker keinen bürgerlichen Namen hat, bei und zeigt ihn vor seiner Veränderung als einen durchschnittlichen Typen, der mit dem Leben zu kämpfen hat. Er ist ein eher passiver Mensch und von Beruf her ein Komödiant, der allerdings keinen Erfolg hat, was die ständige Besorgnis um den Broterwerb mit sich bringt, denn zuhause wartet eine hochschwangere Frau auf ihn. Er selbst sieht sich als Versager und ist es leid in einem Armenviertel zu wohnen, wo er sein Kind unter keinen Umständen aufwachsen sehen will. Auch wenn ihn seine Frau von ganzem Herzen liebt, leidet die Beziehung, weil ihn die Nöte des Lebens zunehmend belasten. Heftige Existenzängste, mangelndes Selbstvertrauen, die Angst zu versagen und der ständige Druck der Verantwortung sind die Ausgangsbasis, die in der nachfolgenden Rückblendung dargestellt wird.


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 8 (all rights by DC Comics)


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 9 (all rights by DC Comics)

Im weiteren Verlauf des Heftes kommt es nochmals zu Rückblenden, wo gezeigt wird, wie er sich in einer Bar mit Kriminellen einlässt. Man erfährt hier, dass er vor seiner erfolglosen Karriere in einem Labor als Assistent gearbeitet hat. Weil der Coup in seiner damaligen Arbeitsstätte abspielen soll, einer Chemiefabrik, kommt er dafür in Frage. In seiner naiven Art erzählt er von seiner Frau und seinem ungeborenen Kind, seiner verzweifelten Situation und wie dringend er zu Geld kommen muss, damit er seiner Familie ein gesichertes Leben bieten kann. Als man ihm seine Verkleidung zeigt, eine unbequeme rote Maske und ein rotes Cape, kommen Zweifel auf, da es sich dabei um die Markenzeichen des Red Hood handelt, einem gesuchten Verbrecher, der von Batman und der Polizei gejagt wird. Seine Bedenken werden jedoch sogleich wieder zerstreut, als die Mafiosi ihn auf seine Not aufmerksam machen. Der Deal wird abgeschlossen und sichtlich erfreut, meint er, dass nach diesem Freitag alles besser wird und nichts mehr wie vorher sein würde.

Diese Vorfreude ist jedoch von kurzer Dauer, als er in einer weiteren Rückblende an besagtem Abend vor der Durchführung des Einbruchs in der Bar sitzt und zwei Polizisten hereinkommen. Die zuerst noch wirkende Angst, man könnte ihn verraten haben oder zur Rede stellen, weicht einem Schock, als er erfährt, dass seine schwangere Frau bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Völlig er-schüttert gibt es für ihn nun keinen Grund mehr an dem Coup teilzuhaben, weshalb er den Deal in der Fabrik platzen lassen möchte. Doch es ist bereits zu spät. Die Gangster weisen ihn mit drohender Geste darauf hin, dass er nicht auskommt und sich an die Abmachungen zu halten habe, oder er würde es bitter bereuen. Zutiefst traurig und gedemütigt vergräbt er sich in seiner Ohnmacht.

Der Coup startet und man sieht ihn träumend dastehen. Es sind die Erinnerungen, die ihn plagen. Von ihnen sagt der Joker später, sie seien brutal wie kleine Kinder und gefährlich; ja die Vergangenheit sei ein ärgerlicher Platz.

Nüchtern reißen ihn die zwei Mafiosi aus seinen Träumen und wollen den Einbruch begehen. Er habe ihnen den Weg zu zeigen und davor seine Verkleidung anzuziehen. Die Sache läuft jedoch nicht wie geplant, denn anscheinend hat die Verwaltung die Sicherheitsmaßnahmen erhöht und sie werden entdeckt. Im Laufe der Verfolgungsjagd und einer Schießerei stößt Batman dazu, der sich sogleich auf den Joker fokussiert, da er fälschlicherweise annimmt, er wäre der Red Hood. Dies ist der große Moment, der bereits vor dem Erscheinen von The Killing Joke bekannt war ― ein letzter Blick auf die menschliche Fledermaus und der vom Leben mitgenommene Witwer fällt in ein Becken mit einer Chemikalie, worauf er aus der Fabrik gespült wird. Seine Haut brennt und beißt, sein ganzer Körper fühlt sich komisch an, die Metallmaske sitzt bleiern auf seinem Kopf und engt ihn ein. Als er sie abnimmt und sein Antlitz in der Spiegelung einer Regenpfütze entdeckt, bricht er in ein Gelächter, indem sich Wahnsinn und Verzweiflung sowie ein Schimmer der Befreiung die Waage halten. Der Joker ist geboren und fortan soll ihn nichts mehr belasten; keine Verantwortung seiner Familie gegenüber, keine Rechnungen, keine Vermieter, die ihn nicht mögen, keine Zuschauer, die nicht applaudieren, wenn er einen Witz erzählt. Nichts von alldem hat mehr einen Wert. Der Joker ist frei und er selbst das personifizierte Chaos.


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 33 (all rights by DC Comics)


3.5. Das Verhältnis zu Batman

Durch das vorher dargestellte Erlebnis im Leben des Jokers wird klar, warum der Batman so eine bedeutende Rolle für ihn spielt. Er ist Teil seines Leidenswegs und gleichzeitig ein bedeutender Faktor seiner Verwandlung, wodurch sich beim Joker eine Obsession für den Flattermann einstellte. Im Film wird deutlich, wie er ihn sieht; nämlich als einen Freak, gleich wie er selbst einer ist und er gesteht sich ein, dass er den dunklen Ritter gewissermaßen braucht. Durch ihn ist der Joker erst komplett; er verleiht seinem Leben Bedeutung. Er liebt es mit Batman sein Spiel zu treiben und befindet sich dadurch in einem Dilemma. Denn am liebsten würde er ihn umbringen, aber andererseits kann er das nicht, weil er sonst seinen einzigen kongenialen Gegner verlieren würde. Es besteht sozusagen eine Art Hassliebe seitens des Jokers und der Fakt, dass Batman willkürlich niemals jemanden töten würde, schafft den Rahmen für einen scheinbar endlosen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, der nur dadurch unterbrochen wird, wenn es wieder einmal gelingt den Joker in der psychiatrischen Anstalt Arkham Asylum einzusperren. ―


Quelle Batman: The Killing Joke Seite 42 (all rights by DC Comics)

4. Schlussbemerkung

Es verwundert nicht, dass bereits kurz nach dem Erscheinen der zweiten Batmanverfilmung so viele Menschen sich als verkleideten Joker im Internet präsentierten und so ihrer Wut Ausdruck verliehen. Denn wie bereits erwähnt, stellt der Joker das personifizierte Chaos dar. Er ist gleichsam ein Symbol für unsere innere Wut, unsere Zerrissenheit, unser Problem, das wir mit der Härte des Lebens und all seinen Facetten haben. In ihm kommt Rebellion und Auflehnung zum Ausdruck; ja die trotzige Reaktion eines geschlagenen und unglücklichen Kindes, das lieber die ganze Welt brennen sehen möchte, als noch länger in seiner Ohnmachts-position zu verharren; um hier bildlich zu sprechen. Die Hässlichkeit des Jokers ist insofern ein übersteigertes Abbild der uns innewohnenden Aggressionsneigung, die Freud in seinem kulturtheoretischen Werk Das Unbehagen in der Kultur beschreibt.

Aus einer gesellschaftskritischen Perspektive kann man die Figur des Jokers auch mit der Figur des V vergleichen, dessen Maske, das Gesicht vom Rebellen Guy Fawkes, in diesen Tagen als Symbol der Anonymous & Occupy-Bewegung gilt. Auch sie ist ein Sinnbild von Revolte.

Zieht man die Kritische Theorie von Herbert Marcuse heran, so darf im Joker und der Verwendung seines Bildes in abgeschwächter Form ein Symptom der Großen Weigerung gesehen werden. Denn auch wenn man sich nicht mit dem Wahnsinn und dem Bestreben Chaos zu verbreiten identifiziert, so doch mit den Ansichten, dass dem System und dessen Eindimensionalität Widerstand geleistet werden soll.

Wie auch immer man den Joker sehen will, Fakt ist, dass eine bestimmte Attraktivität von ihm ausgeht und seine Ansichten und Geschichten bereits viele Millionen Leser begeistert haben. Besonders durch den jung verstorbenen Schauspieler Heath Ledger (siehe die Abbildung ganz oben) hat der Joker seinen Siegeszug als Kultfigur besiegelt. Das Böse, Absurde, Diabolische und Hässliche hat dadurch ein Gesicht und unweigerlich seinen Platz in der Filmgeschichte. Ausgezeichnet und zu einem der besten Filme aller Zeiten gekürt, zeigt sich hier die pathologische Struktur einer menschlichen Psyche, die von sich selbst behauptet, sie sei kein normaler Krimineller, sondern ein höheres Kaliber.


ENDNOTEN:

(1) Der Comic Distributor DC bzw. vielmehr das DC Universum besteht nicht nur aus einer Erde, sondern es stellt ein multiples Universum dar. Dementsprechend gibt es mehrere Zugänge zu den Charakteren, die sich auch in historischen oder futuristischen Verarbeitungen zeigen können. So spielen manche (Elseworld)-Geschichten in einem mittelalterlichen Milieu und andere wiederum in der Zukunft. Generell haben diese Geschichten nichts mit dem Hauptuni- versum zu tun und sind meistens auf Einzelhefte beschränkt.

(2) Das Golden Age der Comicliteratur erstreckt sich von den späten dreißiger Jahren bis zu den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

(3) US-Batman #426 – 469 (Dez. 1988 – Jan 1989) – Autor: Jim Starlin; Zeichner: Jim Aparo

(4) Gesonderte Einzelausgabe von 1988 – Autor: Alan Moore; Zeichner: Brian Bolland

(5) Eine Heftserie ohne Beschränkung oder voraussichtliches Ende.

(6) Eine exakte Übersetzung des Wortes buggo konnte nicht gefunden werden, aber es liegt die Vermutung nahe, dass es umgangssprachlich ist und vom Wort bugger stammt, was so viel wie Scheiße, Mistding, Scheißkerl oder Saftsack bedeutet. Da der Joker in seiner Karriere als Krimineller schon oft im Arkham Asylum war, einer psychiatrischen Einrichtung, bezieht er sich wohl auf die verrückten Insassen, die mit Medikamenten wie Haldol, etc. ruhig gestellt wurden und infolgedessen wie gelähmt sabbernd dasitzen.


You want to cook something? - check out this recipe
Have you ever seen my STEEMIT-MEMBER-GALLERY? No? click here
And here is the first art commission I have ever sold :-)


Join my Trail on SteemAuto to support my content consistently (Click Here) and register to be my follower. I would appreciate it and would be happy to give something back! THANKS FOR THE SUPPORT!

CHECK OUT NEXTCOLONY.IO and join the new game on Steem!

Sort:  

Der Joker ist definitiv der interessanteste von Batmans Gegenspielern und kann zurecht auch als eine der faszinierendesten Figuren überhaupt bezeichnet werden. Analysen über ihn gehören auf die Steem Blockchain - danke, dass du dies bewerkstelligt hast. Ich bezeichne wegen ihm sogar The Dark Knight oft als den besten Film den es jemals gab. Sicher bin ich mir da nämlich nicht. Es könnte vielleicht auch "zwei glorreiche Halunken" sein.

Würdest du auch noch eine Analyse für Bane schreiben? Er ist zwar etwas weniger faszinierend, aber eine Stufe mehr Böse. Hat er ähnliche Beweggründe? Nein, während der Joker scheinbar komplett allein arbeitet und auch die Unbekanntheit seiner Beweggründe seinem Wahnsinn Ausdruck verleiht und ihn auch mysteriöser macht, arbeitet Bane - soweit ich verstanden habe - als Terrorist für die Gesellschaft der Schatten. Er bezeichnet sich als "Das notwendige Böse". Der Joker würde sich wohl eher nicht als böse bezeichnen.

Coin Marketplace

STEEM 0.30
TRX 0.12
JST 0.034
BTC 63960.62
ETH 3142.95
USDT 1.00
SBD 3.95