Bewusstseinsveränderung auf gesellschaftlicher Ebene

in #deutsch6 years ago (edited)

Gestern Abend habe ich mir folgenden phänomenalen Vortrag von Rahim Taghizadegan angehört.

Wer Rahim kennt, weiß, da kann man stundenlang zuhören (und er könnte ebenso stundenlang Vorträge halten) und einem die Welt erklären).)

Ich habe dabei ein paar Verknüpfungen zu verschiedenen Konzepten angestellt und die möchte ich hier auf steemit teilen.

Zunächst zum Titel: Bewusstseinsveränderung (auf gesellschaftlicher Ebene).
Ich habe jahrelang absolut nichts damit anfangen können, wenn ich am Rande mitbekommen habe, wie Persönlichkeiten wie David Icke oder Russell Brand von Bewusstseinserweiterung/-änderung und Ähnlichem gesprochen haben. Dieser Hauch von Esoterik schwirrte immer mit und ich fand absolut keinen Zugang.

Etwas Klick gemacht hat es dann, als James Corbett die Änderung des Bewusstseins im Bezug auf den I. WK. am Ende eines Vortrags beschrieb. Die Gräuel, dieses völlig unbezogene, entfernte maschinelle und chemische (Giftgas) Töten und Schlachten.
Diesen Einschlag in die Auffassungen der Welt haben literarisch dann sicherlich so einige verarbeitet, ich denke soeben gerade an Erich Maria Remarque oder Hermann Hesse.
Ein zweiter Klick oder Verknüpfung geschah wohl, als ich mir mal Gedanken über Verbundenheit gemacht habe, weil ich darüber eine Rede halten wollte. Dazu später gen Ende.

Zurück zum Video, das u.a. den Wandel von Begriffen und Auffassungen (in bestimmten Bereichen des Politischen behandelt).
Ich erlebe es in letzter Zeit seltener, aber manchmal wird Anarchisten ähnlich wie Kommunisten vorgeworfen, dass man dafür die Natur des Menschen ändern (alle Menschen müssten gut sein bzw. demzufolge zum gut sein gezwungen/geformt werden) müsse - was unmöglich ist - und das damit gleichzusetzen sei, Bewusstsein verändern zu wollen.

Dass letzteres absurd ist (Bewusstsein (auf gesellschaftlicher Ebene) zu ändern sei unmöglich), will ich an ein paar offensichtlichen Beispielen darstellen

  • Züchtigung von Kindern: Das Schlagen von Kindern gehört in den allermeisten europäischen Haushalten nicht mehr zum Erziehungsrepertoire.
  • Reformation, Atheismus, Säkularismus. Die Beziehung zu Gott, die Auffassungen zu Glauben und Religion haben sich erheblich gewandelt.
  • Das Internet ist für viele Menschen immanent, für andere nur außerhalb ihres Geistes existent (z.B. Ältere).

Ein weiterer moderner Einfluss, der vielen vermutlich nicht so bewusst ist, wäre der Einfluss des Behaviorismus. Durch Belohnen und Bestrafen versuchen das Verhalten zu steuern, an Stellen bei denen es einen nicht automatisch in den Sinn kommt. (Mir war da konkret etwas von meinen Eltern in der Kindheit im Kopf. Gibt es ebenso in anderen Strukturen, z.B. Kindergärten und Betrieben.)

Nun zu den Begriffen, die für mich am wichtigsten waren während Rahims Vortrag:
Demokratie (besonders in den ersten 15 Minuten) und Staat (ab 43:25).

In der Schule habe ich in endloser Leier gehört, dass 'Demokratie mit Volksherrschaft zu übersetzen ist'. Abgesehen davon, dass man nicht auf die Schwierigkeit von Übersetzungen hinwies, schafft es selbst Wiki das zu entkräften. Dazu in der ersten Zeile über demos fahren.
Auszüge, Kürzungen von mir.

Demos ist ursprünglich als Dorfgemeinde die kleinste Verwaltungseinheit innerhalb einer antiken griechischen Polis.
Der Begriff geht auf das Zusammensiedeln einzelner Sippen zurück und bezeichnet eine Gemeinde.
Das neugriechische Wort Dimos hat in der neugriechischen Sprache seine Bedeutung als „Gemeinde“ bewahrt.
Auch in Zypern bildet der Dimos die Gemeinde.

Wenn man Demokratie im ursprünglichen Sinne zu übersetzen versuchte (und dabei insbesondere auf die positiven Aspekte sich fokussierte), könnte man es als
sich selbstregulierende (Dorf-)Gemeinschaft
übersetzen. Bedeutend anders als Volksherrschaft!
Da finde ich dann übrigens wieder meinen Frieden, wenn sich Sudbury Schulen Demokratische Schulen nennen und sich manchmal eher auf diesen Aspekt fokussieren, statt auf den des eigenverantwortlichen Lernens in Freiheit.

Beim zweiten Begriff Staat wird es noch spannender.
Staat taucht laut Rahim in der heutigen Bedeutung im deutschen Sprachraum erst im 17./18., teilweise 19. Jhd. auf. Es entwickelt sich aus Status und Stand (Zustand).
[Einschub: In der Schule wurde mir beigebracht, dass Ludwig XIV. tatsächlich „L’état, c’est moi“[1] (Der Staat, das bin ich) gesagt haben und das nicht nur eine versinnbildlichende Aussage sein soll. In Wahrheit gibt es dafür keinen Nachweis, genauso wenig wie für Voltaires berühmtes "Zitat" zur Meinungsfreiheit.]
Rahim macht einen Bezug zum italienischen Herkunftswort. Ich mag hier erwähnen, dass state bzw. état im Englischen bzw. Französischen ebenso Zustand (und anderes) bedeuten.

Als griechischen Vorläufer sieht er die stasis.
Dazu Merriam Webster: a state of static balance or equilibrium : STAGNATION
Wiki: Stasis (from Greek στάσις "a standing still") may refer to

  • Stasis (political history), as defined by Thucydides as a set of symptoms indicating an internal disturbance in both individuals and states.

Katastrophalen Stillstand habe ich dann im Kopf kreativ, heuristisch mit systemtheoretischen Gedanken zu Hömoostase verbunden (die eigentlich immer oszillierend und nie statisch sein müsste). Ich habe es dann versucht in Struktur und Bedeutung, 2. Auflage [2] nachzuschlagen, und habe gemerkt, das war wohl eine etwas fehlerhafte Übertragungsleistung meinerseits.
Stasis habe ich (in dem Kontext in dem Rahim es beschrieben hat) mit statisch, Erstarrung, mit unrettbarer Katastrophe verknüpft, insofern, da ‘alles im Fluss ist’ und ‘das einzige, was konstant ist, die Veränderung ist’ dort ein Stillstand Katastrophe bedeutet.

Ich habe es mit einer Resonanzkatastrophe (manche stabile Brücken können durch das Marschieren von Truppen zerstört werden, deshalb haben sie es verboten) verwechselt und an enorme Auswirkungen, wenn etwas unter Spannung oder Druck steht und gewisse Wirkungen auf diesen (stabilen) Zustand erfolgen (z.B. Pistolen, Beschädigung einer Gasflasche oder als Gegenpol erdbebensichere Hochhäuser in Japan, die mitschwanken (also nicht „stabil“ statisch sind)) gedacht.

Wie auch immer, was wirklich krass im Bezug auf Bewusstsein ist, ist, dass im Grunde fast alle menschlichen Gehirne (ab einem gewissen Alter, sagen wir mal 4 Jahre und Ausnahmen in Stämmen etc.) mit dem (Wort) Begriff Staat und einem vagen Konzept davon vertraut sind (davon infiziert sind) und dies bis zum 17. Jhd. noch nicht in der heutigen Form der Fall war. (Auch nicht unter den elitären Denkern.)
Darüber hinaus wird in unseren Erzählungen über die Welt das Konzept Staat permanent rückübertragen (Platos Politeia zu Republik oder Staat übersetzt ist nur eins von tausenden Beispielen.)

Letzte Verknüpfung.
Mir fiel das Zitat „When I choose to believe, that everyone I meet is doing the best that they can [...]“[3] von Dwight McKee ein.
Das sorgte bei mir für zweierlei.
Zum Einen zu einer gewissen Demut zurückzufinden, von der ich glaube, dass meine Gedanken (und Artikel, Kommentare) in letzter Zeit nicht unbedingt geprägt waren. Also z.B. mich selbst als sehr unwissend anzusehen und vor allem anzunehmen (manch einer mag hier Sokrates berühmten Ausspruch erinnern). Damit habe ich etwas Verbundenheit zu mir (und indirekt zu anderen) bekommen.

Zum anderen hat es mich bestärkt darin mein Augenmerk wieder mehr auf mein unbekanntes Projekt im Hintergrund zu legen und darin bestärkt, dass ich beim Unterstützen vom Ausbilden/Erblühen von eigenständigem Denken, eigenständigem Bewusstsein, Tugenden, Fähigkeiten, Persönlichkeit, Verbundenheit und Beziehung zu Leben und Lebendigem nicht allzu falsch liegen kann und dies weiterhin der zentrale Hebel sein wird, an dem ich mitwirken möchte.

Zentral ist also der abschließende Gedanke, dass (die Qualität* oder Tiefe von) Bewusstsein oft in Verbundenheit zu Lebendigem steht und dies fast immer eine bereichernde schöne Erfahrung ist. So einige posts über den Umgang mit Bienenvölkern - z.B. https://steemit.com/deutsch/@rivalzzz/der-erste-honig-erfahrungen-vom-imkerfreund - hier auf steemit zeugen da nur von einem von Myriaden von Beispielen.

Auch filmisch und literarisch wird das (Bewusstsein und Verbundenheit) ja immer wieder verarbeitet. Als Beispiele fallen mir da ein Avatar und Bärenbrüder.

Vielleicht hat das bei dem ein oder anderen, nicht nur bei mir, Gedanken anregt (und vielleicht Vorfreude auf das obige Video gemacht) :-).

mielia

*Ähnlich wie die Qualität von Information als bedeutender Faktor gesehen werden kann, s. Marcus Ipasus.
[1] https://en.wikiquote.org/wiki/Louis_XIV_of_France
[2]http://www.bischof.com/norbert_struktur_und_bedeutung.html
[3]„One of the things, that I’ve learned, that makes my life better, is, a subtle shift in perspective. When I choose to believe, that everyone I meet is doing the best that they can, even if they are being annoying, or obstructive or jealous or exhibiting other negative behaviors. If I see them as doing the best that they are capable of, with the knowledge and the tools that they have, and the life-situation that they are in - which we frequently don’t understand or know about. This makes it much easier for me to feel compassion and empathy for them, rather than feeling annoyed and judgmental.“
https://ww1.lifeplus.com/at/de/web-page/lifeplus-spirit-event Hier mit deutscher Synchronisation. Für die ganze Rede im Link unten das Video (watch again) anklicken. Du kommst in den Vormittag, innerhalb des Videos auf den Pfeil rechts (mittig) klicken, dann kommst du zum Nachmittag. Die Rede beginnt dort ab 47:50. Zitat ab 1:05:30. (Relevantes zu Verbundenheit, Liebe, Einsamkeit etwa ab 57:20.)

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Sehr schön, wieder ein interessantes Video, das ich mir in einer besinnlichen Stunde anschauen werde. Eine Rückmeldung zum Inhalt gibt's also erst mit zeitlichem Versatz...

(und vielleicht Vorfreude auf das obige Video gemacht)

mission accomplished! :)

Haha, super, freut mich :)!

Mir fiel das Zitat „When I choose to believe, that everyone I meet is doing the best that they can [...]“[3] von Dwight McKee ein.

Das halte ich mir auch immer wieder vor Augen! Klappt immer besser ;-)

Danke für deinen Artikel, zum Video bin ich noch nicht gekommen...

Mir ging es bis jetzt ebenfalls immer gut, wenn ich mich daran erinnere. Ist mir als Idee für eine Haltung allerdings erst einen Monat etwa bewusst :D.

Danke für den Beitrag! Werde mir das Ganze zeitnah ansehen =)

Sehr interessanter Beitrag! Gerade Remarque und Hesse habe ich viel gelesen. Habe alle Werke Hesses daheim und auch fast alle von Remarque. Über Remarque habe ich sogar meine Abschlussarbeit geschrieben. Von daher war ich von deinem Beitrag sofort angefixt ^^

Es ist halt alles eine Frage der Semantik. Immer wieder stoße ich darauf, dass es eben nicht so einfach ist, zu bestimmen, was z.B. Liebe ist. Oder Gott. Es wird uns so lange vorgekaut bis wir die Bedeutung übernehmen. Dann suchen wir aus Bequemlichkeit nur noch einen Grund dafür, warum es mal sinnvoll war, diese Bedeutung zu übernehmen. Erst wenn wir anfangen, vorher unser eigenes Herz zu befragen, werden wir wissen, ob wir diese Bedeutung wirklich übernehmen möchten.

Meine Überlegung ist, dass wir alternativ auch Wissenschaften zu Hilfe nehmen können. Dann aber unbedingt mit dem Wissen im Hintergrund, dass das, was sie uns mitteilen nicht die ultima ratio ist, sondern jederzeit durch eine neue Entdeckung abgelöst werden kann.

"Habe alle Werke Hesses daheim und auch fast alle von Remarque. Über Remarque habe ich sogar meine Abschlussarbeit geschrieben. Von daher war ich von deinem Beitrag sofort angefixt ^^"
Haha, voll gut :D.

Meine Mutter hat Remarque glaube sehr gemocht. Hatte jedenfalls mehrere Bücher von ihm im Schrank und ab und an darüber gesprochen, wie sie seine Bücher mochte. Heutzutage ließt sie allerdings kaum noch und ich selbst habe nur den Klassiker "Im Westen nichts Neues" gelesen.
Bei Hesse dann wieder mehr jayyy, auch ein, zwei Biographien. Manchmal wirklich verzaubert.

"Es wird uns so lange vorgekaut bis wir die Bedeutung übernehmen."
Oder: Beständig so vage und ausgedehnt gehalten, dass Worte mehr aus einem Gefühl heraus (oder in bildlicher Vorstellung) benutzt werden, als konkret etwas bezeichnen zu wollen.

"Dann suchen wir aus Bequemlichkeit nur noch einen Grund dafür, warum es mal sinnvoll war, diese Bedeutung zu übernehmen."
Rationalisierungen, im Kopf :).
"Erst wenn wir anfangen, vorher unser eigenes Herz zu befragen, werden wir wissen, ob wir diese Bedeutung wirklich übernehmen möchten."
Da triffst du in meinen Augen voll ins Mark. Im Herz - nicht im Kopf -, wie es vom kleinen Prinzen so schön heißt.

"[Wissenschaften] mitteilen nicht die ultima ratio ist, sondern jederzeit durch eine neue Entdeckung abgelöst werden kann." und unbedingt wieder das Herz mit einbeziehen :).

Zu Liebe
Japanese don't say I love you? (9 Minuten)

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