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RE: Happy Birthday Friedrich A. Hayek!

in #deutsch6 years ago

Mein Grundproblem mit dem Liberalismus ist, dass er zwar aus gesetzlichen Zwängen befreit, zugleich aber die Mehrheit der Menschen in neue - finanzielle - Zwänge stürzt. Leider ist das die logische Konsequenz aus der Befreiung von Regulierungen, die die finanzielle Unterdrückung schwächer gestellterer eindämmen sollen.

Die Menschen schert es nicht, wenn sie zwar weniger Gesetze zu beachten haben, sich aber zugleich die Ausbildung ihrer Kinder, die Krankenversicherung, die Miete, etc. vom Mund absparen müssen.

Und das ist leider nicht nur graue Theorie, das wurde mehrmals erprobt. Nicht zuletzt in Chile unter Pinochet, dessen Herrschaft für die Liberalen eigentlich genau das Mahnmal sein sollte, das für die Kommunisten die UdSSR ist.

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Wie definierst Du "Zwang"?
Kannst Du das mit Chile oder anderen Ländern mit Daten konkretisieren? Also welche Liberalisierung dort hat wozu genau geführt, das mit der UDSSR vergleichbar wäre? Und wie genau macht der Staat aus Deiner Sicht die Miete und die Krankenversicherung etc billiger?

Dazu bräuchte ich jetzt einen ganzen Post. ;-)

Chile liegt auf der Hand: Pinochet putschte mithilfe der CIA gegen den gemäßigten Sozialisten Allende, und installierte eine Militärdiktatur, deren Wirschaftspolitik sich stark an Hayek anlehnte. Hayek persönlich war beratend tätig und besuchte Pinochet mehrmals. Das Ganze führte dazu, dass sich - genau wie im Realsozialismus - eine kleine Elite bereicherte, während es dem Großteil der Bevölkerung deutlich schlechter ging. Von den zigtausend ermordeten politischen Gegnern und sonstigen Menschenrechtsverletzungen (von denen Hayek übrigens wusste, und trotzdem weiter öffentlich für Pinochet warb), die eine weitere Parallele zu kommunistischen Systemen sind, mal ganz zu schweigen.

Krankenversicherung, Miete usw. usw. werden vom Staat finanziell gestützt. Klassische Umverteilung, die - wie du weißt - darauf basiert, dass Mehrverdiener und idealerweise auch Mehrbesitzer einen größeren Teil zum Staatshaushalt beizutragen haben als Geringverdiener/besitzer. Schafft man das ab, profitieren unterm Strich alle, die einen mehr zum Haushalt beitragen als der Duchschnitt (was aufgrund der Nichtdeckelung nach oben vielleicht die Top 10% sind) und die 90%, die weniger beitragen als der Staat pro Kopf kostet, verlieren. Das - und nicht die böse Systempropaganda - ist dann der eigentliche Grund, warum sich der radikale Liberalismus/Libertarismus auf demokratischen Weg niemals durchsetzen kann. 90% der Stimmberechtigten würden dabei verlieren, und die Mehrheit von ihnen checkt das auch.

Wenn du Quellen oder tiefergehende Analysen willst müsste ich echt in die politischen Posts einsteigen, was ich eigentlich vermeiden wollte...aber ich seh's schon kommen... dammit.

Mir ist das glaub' ich tatsächlich ein eigener Post wert, da ich das chilenische Kapitel von Hayek durchaus sehr kritisch sehe. Allerdings sollte die Kritik fair sein. Chiles Pinochet und die UDSSR haben aus meiner Sicht nach ethischen Gesichtspunkten (und einfach nach Body Count und zahlreichen anderen nackten Fakten) in ganz anderen Ligen gespielt. Ferner möchte ich anmerken, dass es keine Kommunisten, Marxisten und eigentlich garkeine sozialistisch motivierten Interventionisten jedweder Couleur geben dürfte, wenn die UDSSR auch nur irgendwem ernsthaft als Mahnmal dienen würde. Siehe den 200. Marx-Geburtstag. Man kann Hayek oder dem Liberalismus z.B. den Putsch, die CIA etc nicht in dem Maße vorwerfen, wie Marx den realexistierenden Sozialismus oder den Stalinismus in der UDSSR. Hayek hat das stocknüchtern und emotionslos betrachet, ausnahmsweise übrigens mit einer kollektivistischen - also auf die Gruppe statt das Individuum fokussierte Brille als Ökonom gesehen. Und er hat - wenn man denn wirklich versteht wie er es meint - ja nicht Unrecht, wenn er sagt, dass ein liberaler Diktator einer illiberalen (Massen-)Demokratie vorzuziehen sei.

Zur Umverteilung: Sind wir uns denn wenigstens einig, dass es fundamental wichtiger ist, dass allergrößte Sorge getragen wird, dass es überhaupt etwas zu verteilen gibt? Also wenn man denn schon diesen kollektivistischen Big Brother, den imaginierten Träger des Gewaltmonopols als ur-notwendig betrachtet, wie Hayek es leider ja getan hat.
Ich glaube nämlich durchaus, dass selbst Nettostaatsprofiteure (ich bezweifle die 90% massiv an) einsehen könnten, dass es deutlich mehr - freiwillig und dezentral - zu verteilen gäbe, wenn der zentrale Verteilungsapparat massiv verschlankt wird (siehe z.B. die Schweiz, für ein sehr moderat liberales Beispiel).

Wenn du tatsächlich body counting betreiben willst, müsstest du natürlich Tote pro Jahr und auf die Bevölkerungszahl bezogen rechnen. Ich will das echt nicht zynisch durchrechnen müssen, aber ich denke schon, dass man auf ähnliche Zahlen für Pinochets Ära und diverse kommunistische Systeme kommt (Stalin und Pol Pot mal ausgenommen, die spielen wohl tatsächlich eher in der Hitler-Liga). Ich denke schon, dass vielen heutigen Sozialisten die UdSSR insofern ein Mahnmal ist, als sie nicht mehr die Abschaffung der demokratischen Kontrolle über ihr Tun fordern, was sie von den Realsozialisten des 20. Jahrhunderts unterscheidet.
Ich finde, dass ein "liberaler Diktator" ein Widerspruch in sich ist, den Hayek wohl erfunden hat, um sich des demokratischen Dilemmas (dem Volk die Macht zugestehen, die liberalen Befugnisse wieder zu wiederrufen) zu entziehen. Hat real (Pinochet) nicht funktioniert, weil Macht einen liberalen Diktator genauso korrumpiert wie einen kommunistischen. Konzentriert man so viel Macht in nur einer Hand, endet das eigentlich immer im Totalitarismus.
Gegen eine Verschlankung des Staates (an Stellen die Sinn machen) habe ich übrigens absolut nichts einzuwenden. ;-)

Zum Bodycount: Stalin allein, war - wie Du schon sagst - Hitler-Liga. Die UDSSR ging von 1922 bis 1991.
Die heutigen Sozialisten bzw. Sozialdemokraten kennen aber immernoch keine Grenzen und wählen Dinge, die man früher nur Diktatoren zugetraut hat. Es ist eine Art Kuschelsozialismus (oder nackter Klientelismus, was Du ja auch geschrieben hast, i.S. Nettostaatsprofiteure), weil "das Volk" sich selbst zuliebe unfrei wählt (50 Shades of Kollektivismus und Interventionismus halt...).

Natürlich klingt "liberaler Dikator" erstmal wie ein Widerspruch in sich, aber stell Dir z.B. einfach einen König vor, der wirtschaftlich liberal ist, also eigentlich erstmal nur oberster Polizist und Richter und Verteidiger nach außen. Die Frage wäre, ob der wirklich z.B. sowas wie "Hate Speech" Gesetze gegen Anti-Monarchisten erlassen würde, wie es "das Volk" im Moment ja (angeblich, da wird viel aus Stockholm Syndrom heraus rationalisiert) tut.

PS: Anders ausgedrückt: Dadurch, dass sich (leider nicht nur) Sozialdemokraten so sehr auf das Mehrheitsprinzip, statt Prinzipien der Freiheit des Individuums verlassen, lassen wir z.B. Abgabequoten "im Namen des Volkes" zu, die für frühere Alleinherrscher zur Guilotine geführt hätten. Und aus nackten Überlebensgründen - mit der emotionalen Kühle und Rationalität des Ökonomen gesprochen - ist wirtschaftliche Freiheit sehr viel wichtiger als die "politische" (solange z.B. die Meinungsfreiheit, die eng mit der wirschaftlichen verbunden ist), also Abwehrechte, nicht Privilegien auf Kosten anderer), nicht unterbunden wird.

ich bin - wie zu erwarten - schwer anderer Meinung. Egal, war wieder sehr interessant, bis zum nächsten Mal. ;-)

Ich erwarte naiverweise eigentlich, dass ich meine Meinung so begründet habe, dass Du Deine ändern könntest, aber da haben wir vermutlich etwas gemeinsam ;-) Danke für den interessanten Dialog!

Zum Bodycount: Stalin allein, war - wie Du schon sagst - Hitler-Liga. Die UDSSR ging von 1922 bis 1991.
Die heutigen Sozialisten bzw. Sozialdemokraten kennen aber immernoch keine Grenzen und wählen Dinge, die man früher nur Diktatoren zugetraut hat. Es ist eine Art Kuschelsozialismus (oder nackter Klientelismus, was Du ja auch geschrieben hast, i.S. Nettostaatsprofiteure).

Natürlich klingt "liberaler Dikator" erstmal wie ein Widerspruch in sich, aber stell Dir z.B. einfach einen König vor, der wirtschaftlich liberal ist, also eigentlich erstmal nur oberster Polizist und Richter und Verteidiger nach außen. Die Frage wäre, ob der wirklich z.B. sowas wie "Hate Speech" Gesetze gegen Anti-Monarchisten erlassen würde, wie es "das Volk" im Moment ja (angeblich, da wird viel aus Stockholm Syndrom heraus rationalisiert) tut.

hab den vorherigen Beitrag von dir 'mal kommentiert.

"Schafft man das ab, profitieren unterm Strich alle, die einen mehr zum Haushalt beitragen als der Duchschnitt (was aufgrund der Nichtdeckelung nach oben vielleicht die Top 10% sind) und die 90%, die weniger beitragen als der Staat pro Kopf kostet, verlieren. Das - und nicht die böse Systempropaganda - ist dann der eigentliche Grund, warum sich der radikale Liberalismus/Libertarismus auf demokratischen Weg niemals durchsetzen kann. 90% der Stimmberechtigten würden dabei verlieren, und die Mehrheit von ihnen checkt das auch."

Den Teil sehe ich sehr kritisch. Du suggerierst hier, dass Ökonomie ein Nullsummenspiel wäre. Das ist es nicht.

Ein Beispiel: Die deutsche Krankenversicherung ist staatlich geregelt, weil es eben diesen Ausgleich, von dem du sprichst, geben soll. "Würde man das Ganze privatwirtschaftlich lösen, würden all die Nettoprofiteure verlieren" sagst du nun.

Das ist falsch. Du musst dir der Anreizstrukturen in diesen Systemen bewusst werden. Aktuell haben wir in der Gesundheitsindustrie ein Minimum an (staatlich reguliertem) Wettbewerb. Das führt dazu, dass Preise steigen und die Qualität fällt - wie wir es aus monopolistischen Strukturen kennen.

Würde man die Gesundheitsindustrie nun aber privatisieren, schüfe man die Rahmenbedinungen für die genau gegenteilige Entwicklung: Steigende Qualität und sinkende Preise - was wir z.B. bei Elektronik- und Konsumgütern kennen. Diese Weichenstellung hilft auch den 90%, die du ganz einfach auf der Verliererstraße gesehen hast.

Nimm doch nur einmal die beiden Bereiche aus der Branche, die komplettem Wettbewerb ausgesetzt sind: Das Lasern von Augen und Kontaktlinsen. Beide sind innerhalb von wenigen Jahren selbst für relativ arme Menschen bezahlbar geworden (Lasern lassen kostet in den USA, soweit ich weiß, $400) und das ist dem Wettbewerb zu verdanken. Muss genau dieser Wettbewerb dann nicht auch sozial sein?

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