Der Valsartan-Skandal und Generika – Hintergründe

in #deutsch6 years ago (edited)

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vom Rückruf betroffene Valsartan-Präparate Bildquelle

Liebe Steemianer,
seit vielen Jahren wird ja aus Kostengründen von den Krankenkassen weltweit die Verschreibung sog. Generika gefördert (oder gefordert).

Generika?

Das sind "Nachbauten", also chemische Reproduktionen der ursprünglichen Wirksubstanzen in Arzneimitteln, bei denen der Patentschutz bereits abgelaufen ist (was nach ca. 20 bis 25 Jahren passiert, wobei allerdings nicht die ganze Zeit genutzt werden kann, da es oft 10 Jahre und mehr dauert, bis die Substanz ausreichend getestet und von den Behörden zugelassen wird). Der Patentschutz ist also eine begrenzte Dauer, innerhalb derer die Kosten an Forschung und Entwicklung einer Substanz wieder hereingeholt werden können (und natürlich ein Gewinn abfällt, als Anreiz für die Innovation).

Generika sind daher um etliches billiger im Verkauf, da die aufwändige Forschung entfällt und das Marketingbudget auch meist wesentlich kleiner ist. Sehr willkommen für die chronisch geldkranken Kassen!

Beispiel Aspirin


Extrakte aus der Weidenrinde wurden von unseren Vorfahren schon seit Jahrtausenden bei Schmerzen und Fieber eingesetzt, auch Hippokrates kannte sie als Arznei. 1897 entwickelten Felix Hoffmann oder Arthur Eichengrün von der Firma Bayer ein Verfahren, die Acetylsalicylsäure (eigentlich 2-Acetoxybenzoesäure nach IUPAC), kurz ASS, die für die heilende Wirkung verantwortlich ist, genügend rein zu synthetisieren. Es wurde 1899 als Aspirin vermarktet, eines der bis heute weltweit populärsten Medikamente überhaupt. Da das Patent längst abgelaufen ist, gibt es heute viele andere Hersteller, die ASS in ca. 500 verschiedenen Produkten anbieten (Alka-Seltzer, Herz-ASS, ASS-ratiopharm, Aspro, Thrombo-ASS, ASS Genericon, um nur wenige zu nennen).

Haben alle diese genau die gleiche Zusammensetzung wie das Original? Nein!

Um von den Behörden zugelassen zu werden, reicht es, dass die Bioverfügbarkeit des Generikums innerhalb von 80 % bis 125 % der Bioverfügbarkeit des Originalpräparats liegt. Man sagt dann, dass Bioäquivalenz vorliegt. Die Bioverfügbarkeit gibt an, wieviel der aufgenommenen Substanzmenge letztlich im Blutkreislauf ankommt (bei intravenöser Gabe logischerweise 100%, aber bei oraler Aufnahme kann das auch weit darunter sein).

(Einschub: Dieses relativ einfache Zulassungsverfahren gilt übrigens nur für niedermolukulare Substanzen (kleine Moleküle), wie sie die überwiegende Mehrheit der heutigen Medikamente darstellen. Ganz anders sieht es bei komplexen Proteinen (z.B. monoklonale Antikörper) aus. Da müssen zum Nachweis der Äquivalenz auch teure klinische Wirksamkeitsstudien gemacht werden. Man spricht hier auch nicht von Generika, sondern von Biosimilars, da die Herstellungsprozesse so komplex sind, dass man nicht von Gleichheit sprechen kann.Quelle)

Jedenfalls bedeutet dieses 80 % bis 125 %-Kriterium der „Gleichheit“, dass z.B. obwohl beide im Toleranzbereich liegen, das Generikum X um 15% höher, das Generikum Y aber um 15% niedriger im Körper dosiert sein kann als das Original - bei gleicher Wirkstoffmenge auf der Verpackung. Dies muss von Verschreiber berücksichtigt werden (obwohl er es nicht genau wissen kann, die Abweichung ist im Beipacktext nicht verzeichnet), denn ein Umstieg von einem auf ein anderes Präparat wird oft von der Krankenkasse angeordnet, um Einsparungseffekte zu erzielen. Patienten unter Dauertherapie können so überraschende Umstellungseffekte aufweisen, ganz abgesehen vom

Noceboeffekt


Der Noceboeffekt ist das Gegenteil vom Placeboeffekt. Wenn ein Patient (auch oft völlig irrationalerweise) glaubt, einen Schaden durch ein Medikament zu erleiden (und das ist bei älteren Personen leider manchmal der Fall, die jahrzehntelang gewohnt waren, "die kleinen gelben Pillen" zu nehmen, und die dann auf einmal ganz andere verordnet bekommen), dann kann es tatsächlich, auch wenn nur in der persönlichen Wahrnehmung, eine schlechtere Wirkung haben. Entspricht im Prinzip einer selbsterfüllenden Prophezeiung ("self-fullfilling prophecy").

Hilfsstoffe und Herstellungsprozeß


Hilfsstoffe geben dem Medikament erst seine Form (Bindemittel, Kapsel,...), steuern die Freigabe im Körper oder verbessern seine Stabilität und seinen Geschmack. Generika müssen nicht die gleichen Hilfsstoffe haben wie das Original. Auch hier kann es zu Unverträglichkeitsreaktionen nach Umstellungen kommen. Und zuguter letzt ist es den Behörden egal, wie der Wirkstoff hergestellt wurde, solange die Bioäquivalenz gegeben ist und alles gut dokumentiert ist. Meist sind die Details der Herstellungsverfahren auch Betriebsgeheimnis. Und damit kommen wir endlich zum aktuellen Thema:

Der Valsartan-Skandal - was ist passiert?

Wir haben also gesehen, dass es bei der regulären Verwendung von Generika auch bei korrektestem Vorgehen zu einigen Überraschungen in der Anwendung kommen kann (andere Hilfsstoffe, andere Wirkstoffspiegel im Blut, psychologische Komponenten), aber eine Verunreinigung mit einer potentiell krebserregenden Substanz, und das über mehrere Jahre (!) ist etwas, das zum Glück nur selten geschieht.
Der Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonist Valsartan wird seit 1996 zur Behandlung von Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und zur Vorbeugung nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Das Patent ist von Novartis und seit 2011 abgelaufen. Novartis stellt das Original immer noch unter dem Markennamen Diovan her (es wird in Europa produziert und ist nicht betroffen von den Rückrufen). Es ist eines der am häufigst verwendeten Medikamente (in D. gaben die Kassen 2016 95 Mio. Euro dafür aus). Dieser lukrative Markt lockte daher auch viele Generikafirmen an.
Offensichtlich haben viele davon (vermutlich aus Kostengründen) ihre Valsartanproduktion ausgelagert an eine CMO (contract manufacturing organization) - ein an sich üblicher Vorgang in der Pharmaindustrie. In diesem Fall war es die chinesische Firma Zhejiang Huahai Pharmaceuticals. Man vermutet, dass diese Firma im Jahr 2012 ihren Herstellungsprozess dahingehend „optimiert“ hatte, dass im Zuge der Produktion eine Verunreinigung mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) im Endprodukt vorhanden ist, ein Stoff, der in der EU und bei der WHO als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft ist.

Als wahrscheinlichste Ursache gilt eine Modifikation bei der Herstellung von Tetrazol. Hier soll im konkreten Fall N,N-Dimethylformamid (DMF) als Lösungsmittel eingesetzt worden sein, Zinkchlorid und Natriumazid dienten als Katalysatoren. „Beim Abbau von DMF können geringe Mengen an Dimethylamin entstehen. In Gegenwart mit Salpetriger Säure entsteht dann NDMA“, erklärt ein Experte. Andere Hersteller verwenden anstelle von DMF als Lösungsmittel Toluol beziehungsweise o-Xylen, sodass eine Reaktion mit Natriumnitrit zu NDMA ausgeschlossen ist.

Alle Änderungen der Herstellung eines Arzneimittels müssen den Behörden gemeldet werden. Es ist also zu vermuten, dass EMA und FDA, aber auch Länderbehörden wie BfArM und AGES über den neuen Syntheseweg informiert waren, aber das Risiko einer Verunreinigung nicht richtig abschätzten (oder keine Zeit zur Abschätzung hatten?).
Und warum ist die Substanz nicht früher in einem Labor detektiert worden? Dass das problemlos möglich ist, sieht man hier:

Quelle

Theoretisch dürften verunreinigte Valsartan-Präparate gar nicht erhältlich sein. Das Problem:

„Gefunden werden könnten nur Stoffe, nach denen auch gesucht wird“,

so der Sprecher des EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare). Die Verunreinigung mit NDMA sei nicht zu erwarten gewesen – und damit auch nicht detektierbar mit den verwendeten Testmethoden.
Entdeckt wurde die Verunreinigung laut EDQM-Sprecher beim chinesischen Hersteller selbst, der Hinweis soll von einem europäischen Generikahersteller gekommen sein, der selbst Valsartan auf den Markt bringen wollte und die Ware einer gründlichen Kontrolle unterzogen hatte.

Inzwischen gab es Rückrufe etlicher Valsartan-Generika in 22 Ländern, was teilweise zu Versorgungsengpässen führte (die nicht betroffenen Hersteller können die Produktion nicht von heute auf morgen ankurbeln (aus – wieder mal – Kostengründen wird nur gerade so viel produziert, wie als Absatz vorausgeplant wurde). Die komplette Liste findet sich hier

Der Übeltäter: NDMA


NDMA methyliert die DNA-Basen Guanin und Adenin und wirkt in Nagetieren krebserregend. Studien an Menschen gibt es keine, aber aufgrund der Gewebeähnlichkeit und der Wirkungsweise (die menschliche DNA ist nicht anders als die der Nager) wird eine krebserregende Wirkung beim Menschen angenommen.
Zwar gibt es keine Obergrenze für NDMA in Lebensmitteln, doch nach Stichproben der betroffenen Präparate bewegte sich der NDMA-Gehalt zwischen 3,7µg und 22µg pro Tablette – zum Vergleich: in gepökeltem Fleisch findet sich heutzutage nur noch 2,5µg pro kg (1980 war es noch sechsmal so viel), in Bier auch etwas und die Gesamtaufnahme mit der Nahrung wird auf 0,3µg pro Tag geschätzt. Wer 20 Zigaretten am Tag raucht, steigert die Aufnahme an NDMA auf 17 bis 85 µg pro Tag! (Ein Grund mehr, nicht zu rauchen!). Also entspricht der NDMA-Gehalt in den Valsartantabletten zumindest dem eines regelmäßigen Rauchers.
Die EMA schätzte vorläufig, dass pro 5000 Patienten, die die betroffenen Präparate in der 320-mg-Dosierung über 7 Jahre täglich eingenommen hatten, ein zusätzlicher Krebsfall zu erwarten ist. Das wären bei den EU-weit geschätzten 900.000 betroffenen Patienten bis zu 180 Krebsfälle allein in der EU.
Interessanterweise glaubt Novartis nicht, dass eine Gefahr für die Patienten durch die betroffenen Präparate der Konkurrenz bestünde. „Die im Valsartan nachgewiesene Menge N-Nitrosodimethylamin ist geringer als die kumulative endogen Produktion und die übliche Exposition mit der Substanz“, so ein Novartis-Sprecher im CNN (obwohl das im Widerspruch zu den NDMA-Mengen in den vom ZL in Deutschland analysierten Proben steht). Ob da ein Zusammenhang besteht mit der Tatsache, dass in den USA KEIN Rückruf stattfindet, kann ich nicht beurteilen.

Eigentliche Ursache

Krankenkassen müssen sparen und machen Druck auf Hersteller (auch auf die Generikahersteller, die besonderem Preisdruck ausgesetzt sind, da ja alle den „gleichen“ Wirkstoff haben und daher der Preis oft das einzige Verkaufsargument darstellt) -> die Generika müssen möglichst billig hergestellt werden -> auch auf die eigentlichen Produzenten wie in disem Fall Zhejiang Huahai wird der Druck weitergegeben -> es wird möglichst billig produziert und auch bei der Qualitätskontrolle gespart (ist ja nichts neues, sehen wir in der Autoindustrie auch regelmässig) -> Verunreinigungen, auf die nicht routinemässig untersucht wird, fallen durch den Rost -> der Fehler wird durch Zufall gefunden: große Überraschung auf allen Seiten

Fazit:
Der Fehler steckt im System und es wird daher nicht der letzte Fall sein, von dem wir werden lesen müssen. Der Sparzwang wird in den nächsten Jahren noch um einiges steigen. Auf der Strecke dabei bleibt der Patient.

mehr Infos:
https://m.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/valsartan-seit-jahren-verunreinigt/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=77660

Sort:  

Danke für diese sehr gute Übersicht. Darauf, dass NDMA als Verunreinigung in Medikamenten auftreten kann, musst echt erst mal kommen... kein Wunder, dass danach nicht gesucht wird.

Ich kenn die Substanz eigentlich nur als Lebensmittel-Kontaminante... wenn ich die Chefin wieder mal in der Vorlesung vertreten muss, werde ich die Valsartan-Geschichte einbauen.

Die Frage ist: Was ist die Lösung des Problems?
Die Kassen werden nicht über Nacht plötzlich wieder Geld haben.

Ich denke, die Behörden müssen die Generikahersteller mehr in die Pflicht nehmen und bei Änderungen von Produktionsprozessen gründlicher prüfen lassen und auch selber prüfen. Derzeit untersucht die EMA noch, bin gespannt, ob sie das als Anlassfall sieht, hier etwas zu ändern.

Die Lösung des Problems heisst freie Marktwirtschaft, Abkehr vom Sozialismus, wie er auch in der Gesundheitspolitik in D betrieben wird und Strafverfolgung mit lebenslangen Gefängnisstrafen für jene die solche Produkte in den Verkehr bringen oder nichts unternehmen um deren Verbreitung zu unterbinden.

Der Staat hat natürlich ein Interesse daran, dass die alternde Bevölkerung vorzeitig stirbt, nur so kann er die Rentenbeiträge der Betroffenen auf der Habenseite einstreichen um seinen sozialistischen Ideologien zu fröhnen.

Daher sind Glyphosat usw. alle noch legalisiert, obwohl nachweislich krebserregend...

Die Liste der Vergehen in der Politik ist lang...

Also einen Zusammenhang zwischen Versuchen, die Bevölkerung zu minimieren und der Glyphosatverwendung herzustellen, ist sehr wild!
Welche Studien kennst Du denn, dass es so krebserregend ist? Weisst Du, in welche Zerfallsprodukte Gyphosat zerfällt beim Abbau? Ist vielleicht alles nur Panikmache. Seltsam auch, dass just als eine deutsche Firma (Bayer) Monsanto (den US-Glyphosathersteller) gekauft hatte, die Legende von desser Cancerogenität wieder heiss wurde. Ist doch eher ein Wirtschaftskrieg USA - Deutschland, siehe Abgasskandal, Deutsche Bank, ...

Morgen!

Liest sich nicht gerade appetietanregend, ist es ja auch nicht.
Das mit dem Sparen, da hast du Recht. Das wird noch viel schlimmer. Jetzt bekommen wir die Rechnung prässentiert für 50 Jahre auf Pump leben. Schließlich muss ja wer für die Schulden bezahlen. In dem Fall halt der Patient, traurig.

Danke für die ausführlichen Erklärungen!

Sehr guter fundierter Beitrag,

das Krebsrisiko eines CT-Abdomens ist demnach um den Faktor 10 höher als die NDMA Kontaminierung und das Krebsrisiko eines Computertomograms des Kopfes immerhin noch fünfmal höher.

Vielleicht auch mal ein Grund über unnötige Strahlenexposition zu diskutieren und die Frage zu stellen, warum statt eines Thorax-CT´s nicht auf ein MRT mit Helium längst umgestellt wurde....

Echt, jedes 500. Abd.-CT bewirkt einen Krebsfall? Gibt´s da eine Quelle dazu?

Eine Umstellung wäre teurer und die Institute wollen ihre derzeitigen Geräte noch auslasten so lange es geht, um die Kredite dafür abzuzahlen. So ein radiologisches Diagnosezentrum ist ja rein auf Profit ausgerichtet. Sofern vom Gesetzgeber keine neuen Strahlungsbelastungsobergrenzen kommen, wird sich da nichts tun.



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Hehehe, die Kassen....alle haben doch angeblich Milliarden an Reserven liest man immer mal wieder....

Ganz klar - dann sollen sie aufhören und von mir aus bei jedem von uns 5 € mehr im Monat Beitrag fordern. Wenn dadurch dieser Medikamenten-Schmu aufhört, zahle ich das gerne !

Erschreckend, was da los ist...

Grüße

Michael

Wir sollen für die mangelnde Qualitätskontrolle der Hersteller zahlen? Ist so, wie wenn die Flugticketpreise teurer werden, damit ein weitergehende Checklist vor dem Start gemacht wird. Wäre nicht sehr vertrauensbildend.

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