Otto Wagners Postsparkasse in Wien - Details

in #deutsch5 years ago

Liebe Steemianer, Freunde des Jugendstil und alle anderen,
in quasi Fortführung des posts über die Postsparkasse von @vieanna hier noch mehr Details dazu anlässlich des Besuchs einer Architekturführung (der allerletzten angebotenen). Wagners Postsparkassengebäude gilt als Schlüsselwerk der europäischen Moderne und der Wiener Jahrhundertwende. Mit dem 1904-1912 errichteten Gebäude schuf Wagner (1841-1918) seinen modernsten und bedeutendsten Bau.

Ein Blick auf den großen Kassensaal - die Bestuhlung ist nur auf eine gleichzeitig stattfindende Fotoausstellung zurückzuführen.
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Stattdessen waren im Kassensaal ursprünglich Hocker aufgestellt, von denen dieser hier 2015 um 17.500€ versteigert wurde.
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Quelle

Der Boden des Kassensaales ist mit Prismensteinen ausgestattet, sodass die Räume darunter eine natürliche Lichtquelle hatten. Nur eines der vielen Beispiele, wie Wagner moderne Matialien nutzte, um gleichermassen Funktion und Ästhetik zu schaffen. Nur die Stahlträger sind nachträglich verbaut worden, der Rest ist original (113 Jahre alt).
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Bei der Lasur der Türen wurde ein aufwendiges Verfahren angewendet. Zwei Lacke in unterschiedlichen Brauntönen wurden übereinander aufgetragen und dann mit einem speziellen Kamm (und mit ruhiger Hand!) so abgezogen, dass dieses Muster entstand.
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Es gab auch eine kleine, aber zweigeschossige Bibliothek, komplett aus weiß lackiertem Blech mit ebenfalls weißen, gelochten Eisenträgern (um möglichst wenig Licht zu schlucken), jetzt leer, aber noch bis 2013 von der BAWAG verwendet. Man beachte den gebogenen Eisenträger, damit man sich nicht den Kopf anstiess beim Benutzen der Treppe.
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Die Räume des Direktoriums der Postsparkassa sind alle noch weitgehend im Originalzustand wie vor 113 Jahren. Für sie wurde vom Bundesdenkmalamt strengster Ensembleschutz verhängt, eine Art weitergehender Denkmalschutz, der die Anordnung der einzelnen Objekte ebenfalls unter Schutz stellt!
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Die Stühle waren von der Fa. Thonet, geschaffen nach Entwürfen von Otto Wagner selbst. Hierarchie war damals sehr wichtig. So zeigte die Größe der Manschetten an den Stuhlbeinen den Rang des Mitarbeiters an. Hohe Manschetten für wichtigere Angestellte. Auch die rot bezogenen Stühle waren den höheren Chargen vorbehalten. Aber die Manschetten waren auch zweckmässig, denn sie erhöhten die Lebensdauer der Stühle.
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In der Chefetage gab es auch gemütlicheres Sitzmobiliar.
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Ein Prunkstück: Das Direktorszimmer. An diesem Besprechungstisch hat übrigens erst kürzlich eine Sitzung von Signa-Managern stattgefunden. Die von Investor Rene Benko geführte Gesellschaft Signa hat das Objekt von der BAWAG um 150 Mio € erworben.
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Der Schreibtisch des ehemaligen Generaldirektors. Natürlich steht der Raum ebenfalls komplett unter Ensembleschutz.
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Die Lichtschalter sind ebenfalls noch im Originalzustand von 1906. Früher waren die Drehschalter ja überall gebräuchlich, heute dominieren Kippschalter.
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Dieses Zimmer hatte auch als einziges einen kleinen Balkon. Der Blick geht auf den Ring und das dahinter befindliche Ministeriumsgebäude.
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Zurück im Kassensaal. Ein typischer Bankschalter. Links eine Marmorplatte zum Schutz des Holzes, wenn der Kunde z.B. Säcke mit Münzen abgeladen hatte.
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Aus der Sicht des Bankbeamten. Der Rollmechanismus, mit dem man das Fenster auf- und zuschieben kann, funktioniert auch heute noch reibungslos. Um größere Gegenstände durchreichen zu können, gab es links davon auch eine absperrbare Holztür.
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Eine der vielen Treppen. Wagner hatte in den Gängen und Treppen Linoleum in den Marmor einfräsen lassen, ein damals noch innovatives Material der gehobenen Ausstattung. Dieses Naturmaterial wurde in der 2.Hälfte des 20.Jhds von PVC komplett verdrängt.
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Links der Original-Türbeschlag einer Flügeltür, rechts ein Ersatz aufgrund Diebstahls. Leider werden laufend Gegenstände gestohlen und im Internet versteigert. Die Schattenseiten einer Offenhaltung für die Allgemeinheit.
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Die an der Außenfassade so markanten aluminiumbeschichteten Eisenbolzen zur Fixierung der Granit- und Marmorplatten setzen sich im Innenbereich fort. Für mich eine zeitlose Optik, die überhaupt nicht wie 113 Jahre alt wirkt.
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Jetzt soll, nicht zum erstem Mal bei prächtigen ehemaligen Bankzentralen, ein Luxuhotel daraus werden. Unklar auch, was langfristig aus dem Otto Wagner-Museum im kleinen Kassensaal werden wird, voerst wird es von Signa weitergeführt (Infos hier). Hoffentlich werden zumindest manche Räume und Möbel als Museum auf Dauer besichtigt werden können, wenn auch nur für Hotelgäste. Immerhin besser als das umgebaute ehemalige k.u.k. Post- und Telegrafenamt am Wiener Börseplatz , aus dem kürzlich Luxusimmobilien gemacht wurden. Auch dort befinden sich architektonisch einzigartige Details, die in Zukunft nur ein Besitzer einer angebotenen Wohung um 40 Millionen € betrachten wird können (sofern er dort überhaupt wohnen wird).
Die wenigen Führungen in der Postsparkasse (alle mit wachsamer Security-Begleitung) waren jedenfalls alle restlos ausgebucht, obwohl kaum Werbung dafür gemacht worden war. Das zeigt das große Interesse der Menschen am Jugendstil und sollte hoffentlich auch den Sigma-Managern zu denken geben. Es wäre ein Tragödie, wenn diese Fotos die letzen wären, die man als Privatperson von diesem Architekturjuwel hatte machen können.

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Danke für diesen detaillierten Bericht zur Innenausstattung der Postsparkasse! Es ist für mich sehr aufschlussreich, all das im Bild zu sehen, worüber ich bisher nur gelesen habe. Schade, dass keine öffentlichen Führungen mehr angeboten werden.

Wie du schreibst, bleibt nur zu hoffen, dass zumindest Teile dieses großartigen Zeugnisses richtungsweisender Architektur der Allgemeinheit zugänglich bleiben.

Beeindruckend wie auch vor Bauhaus schon die Architektur zeigte wo es hingehen sollte. Ich frage mich wo wir jetzt wären, wenn es den Krieg und den Sozialismus nicht gegeben hätte (auch wenn diese Erreignisse der Grund für viele Entwicklungen waren)

Unglaublich wie viel Charme diese alten Gebäude haben. Überhaupt nicht mit den kalten modernen Bank Gebäuden zu vergleichen.

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