Der Lockdown und der Einkauf

in #deutsch4 years ago

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Einkaufen ist nicht mein Ding, es nervt mich. Große Räume, viele Menschen, Gedränge, fürchterlich! Darum sorge ich immer erst dann für Nachschub, wenn ich keinen sauren Apfel mehr habe, in den ich beißen könnte. Leider brachte mich diese Taktik, ganz zu Anfang des Lockdowns, etwas in Bedrängnis. Der Kühlschrank war leer und angeblich ging es in den Supermärkten zu, wie auf den Chaos Tagen. Zu der Dürre im Eisfach gesellte sich dann auch noch ein Mangel an Informationen. Was durfte man kaufen? Gab es schon eine Maskenpflicht? Wer? Was? Wo? Wann? Natürlich versuchte ich, mich schlauzumachen, aber meine kläglichen Versuche prallten gegen eine Mauer aus Halbwissen und Hörensagen. Es half alles nichts, Hunger ist einfach mächtiger, als soziales Unbehagen.
Ich sprang aus der Straßenbahn, noch ehe die Türen richtig geöffnet waren, und das wunderschön graue Industriegebiet hieß mich schweigend willkommen. Die Abwesenheit von kreischenden Menschenmassen prophezeite mir, dass es wohl kein Klopapier mehr geben würde. In Gedanken versunken machte ich mich auf den Weg zum Konsumtempel meiner Konfession, aber auf halber Strecke sah ich, dass den Gläubigen der Weg versperrt wurde. Direkt vor dem Eingang stand demonstrativ ein Polizeibus und störte das Gesamtbild. Wirklich? Das auch noch? Was könnte der Freistaat Bayern wohl noch tun, um die Situation noch ungemütlicher zu machen? Die Antwort bekam ich prompt und pflichtbewusst von zwei jungen, frisch gebügelten Polizisten. Der eine ein glattrasierter Exklassensprecher, der andere ein vollbärtiger Draufgängertyp. Diese beiden hatten sich ganz wichtig vor einem älteren Ehepaar aufgebaut. Der Schleimige unterhielt sich souverän mit dem skeptisch dreinblickenden Ehemann, während der Vollbart den säuberlich sortierten Einkauf zerpflückte. Ich kam etwas näher, und einige Gesprächsfetzen wehten zu mir herüber.
„...nur lebensnotwendige Einkäufe ...“
„...ja, aber…“
„… wir machen ja die Regeln ...“
„… Verständnis ...“
Blödes Bullengeschwätz. Dem Bauchgefühl meiner Antipathie folgend, stellte ich mich etwas abseits und wartete auf einen günstigen Moment, um mich an den beiden Exekutiven vorbei zu drücken. Plötzlich stöckelte eine junge Frau eilig an der intensiven Inspektion des Einkaufwagens vorbei. Ihre Handtasche schwang elegant am Arm, das adrette Kleid betonte dezent das Offensichtliche. Das erweckte natürlich die Aufmerksamkeit der Herren von der Staatsgewalt.
„Hallo, junge Frau!“
Sie schritt etwas weiter aus, ich musste grinsen, ob ich wohl eine Verfolgungsjagd geboten bekommen würde?
„Hallo, stehen bleiben!“
Die beiden sprinteten los, als hätte die zierliche Dame gerade eine Maschinenpistole durchgeladen. Von solchen Typen wird man doch gern beschützt. Widerwillig blieb sie stehen und drehte sich genervt um. Theatralisch wirbelte ihr glänzendes Haar um ihr geschmackvoll geschminktes Gesicht.
„Was?“
Ihr Gesicht hatte sich zornig verzogen, schöne Menschen wirken wütend ganz besonders schrecklich. Den Eindruck schienen auch die beiden Herren in Uniform zu haben.
„T-Taschenkontrolle, im Zuge der Ausgangsbeschränkung sollen nur lebensnotwendige Einkäufe getätigt werden und das Verlassen des Hauses ist nur für relevante Termine gestattet.“
„Ja und jetzt?“
„Um das zu gewährleisten führen wir Taschenkontrollen durch.“
„Habt ihr nichts Besseres zu tun?“
„Das steht hier nicht zur Debatte.“
Das einstudierte Selbstvertrauen pulsierte in jeder Silbe.
Mit Schwung rammte sie dem Bärtigen ihre Handtasche entgegen, der mit einem halbeleganten Ausfallschritt auswich und seinem Kollegen den Vortritt ließ.
„Wenn‘s dich glücklich macht, Schätzchen.“
„Ich verbitte mir jegliche Vertraulichkeiten, die Ausweispapiere?“
Sie sah die beiden mit ätzendem Mitleid an.
„In der Handtasche, Schätzchen.“
„Wo ist denn ihr Einkauf?“
„Na in der Handtasche, ...“
„Passen Sie bloß auf!“
Der Strebertyp begutachtete den Inhalt der Tasche mit einer professionellen Neutralität, oder zumindest meinte er, diesen Eindruck vermitteln zu können. Triumphierend zog er einen Lippenstift aus den Untiefen des portablen Bermudadreiecks.
„Sie wollen sich wohl über uns lustig machen? Diese Regeln gibt es ja nicht zum Spaß! Alle verzichten, wo sie können, um andere zu schützen, aber Sie brauchen einen Lippenstift? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“
Ich war wirklich beeindruckt, bei aller Abneigung, wo er recht hatte, hatte er recht.
„Hör zu, ich ...“
„Nein, nein, machen Sie es nicht noch schlimmer.“
Machtlos rang sie nach Worten.
„Aber ...“
„Wir nehmen jetzt mal Ihre Personalien auf, Sie hören von uns.“
„Jungs, den brauch ich wirklich!“
„Das ist die Höhe!“
Sie packten ihre zierlichen Oberarme und führten sie zu ihrem Einsatzwagen. Sie zappelte etwas resigniert, dann schien der letzte Widerstand Haltung anzunehmen.
„Ich brauch den, um Geld zu verdienen.“
„Kosmetiksalons haben, ebenso wie Friseure, ihren Betrieb einzustellen. Sie gestehen hier eine Straftat!“
„Ich bin aber keine Kosmetikerin.“
Das seltsame Dreigespann kam abrupt zum Stehen.
„Was?“
„Schätzchen, naked Camshow heißt keine Klamotten, nicht, kein Make-up.“

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Twitter, TheDeadFrog im Social-Media Sumpf

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Einfach göttlich, war das echt so keine Geschichte von dir (auch das wäre Klasse) ???

Steem on und weiter viel Erfolg...

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Es ist etwas Wahres dran :)
Beim schreiben ist mir aber aufgefallen, daß die Geschichte ein schönes Gegengewicht zum Klassentreffen darstellt.

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