Es war wieder so ein Spätsommertag, an dem sie trotz fortgeschrittener Jahreszeit gezwungen war, der Mittagshitze zu entfliehen. Sie hatte sich einiges vorgenommen, das Internet sollte nur noch eine mickrige Rolle in ihrem Leben spielen. Und doch klappte sie aus alter Gewohnheit heraus ihren Laptop auf. „Oh nein“, dachte sie, nachdem der quasi leere Beitrag des Chef-Animateurs im Che-Kostüm sie bereits am Vortag in wirre Gedankenspiralen geführt hatte, „25 wäre doch so ein schöner, runder Abschluss gewesen.“
Die für das assoziative Schreiben in dieser Woche vorgegebenen Wörter ließen sie selbstverständlich umgehend an billige Hollywood-Streifen, spannende Hitchcock-Thriller, aber auch Christian Züberts legendären „Lammbock“ denken. Für alle Blitzmerker erwähnte der Initiator sogar, dass er durch das Schauen eines Krimis inspiriert wurde. Doch konnte man ihm trauen? Dachte er nicht insgeheim an seine eigene Exfrau, die ihn wegen seiner furchtbaren Marotte, sich wieder und wieder genüsslich mit dem Küchenmesser die Fingernägel zu reinigen, schon lange verlassen hatte?
Grundsätzlich kreativen Schreibanlässen gegenüber nicht abgeneigt, dachte sie darüber nach, was sie bisher von einer Teilnahme abhielt. Sie schrieb bei anhaltender Schreibblockade oder nach ziellosen Diskussionsposts lieber bunte Gartenzwergbeiträge, als einen von treuen Autovotern hochgepushten 10-Minuten-Wisch in ihrem eigenen Blog zu wissen. Und dann waren da noch die Mentions, die sie nur mag, wenn etwas wichtig ist, ihre Meinung gefragt ist, von denen sie sich ansonsten auf unangenehme Weise zur Betätigung ihres Klickfingers gezwungen fühlt. Würde die geduldige Ein-Mann-Kapelle auf ihre labile Persönlichkeitsstruktur Rücksicht nehmen oder ihre Ängste einfach unter den Teppich kehren, nähme sie teil?
Ein ungemein fürsorglicher und sozialer Motivationsschub flüsterte ihr zu, dass der Kommentarbereich des antriebsstarken Verfassers des Initialposts diesmal nicht durch gähnende Leere punkten sollte. Der Entschluss war gefasst, die Inspiration gegeben. Fehlte nur noch die Kreativität, die sie schon lange verzweifelt suchte. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass sie diese zuletzt im Auto gesehen hatte. Dies war zwar schon Wochen her, dennoch begab sie sich zielstrebig zum Wagen und wurde schließlich im Kofferraum fündig. Da lag sie – eingestaubt und fast vergessen – die Kreativität! Die Entschlossene zerrte und ruckte an ihr, doch die Kreativität wog scheinbar eine Tonne und ließ sich kaum bewegen. Sie war viel zu schwer für so ein zartes Persönchen, doch weit und breit war keine starke Unterstützung in Sicht. Mit letzter Kraft gelang ihr ein Anheben des wertvollen Guts und sie bewegte sich damit in Richtung Schreibtisch. Der Schweiß rann ihr vor Anstrengung aus allen Poren, machte auch vor ihren Händen nicht halt. So geschah es, dass ihr die Kreativität kurz vor Erreichen des angepeilten Ziels aus den Fingern glitt, auf den kalten Beton des tristen Hausflurs knallte und… zerbrach.

437 Wörter #steemexclusive