Was man von Greta Thunberg über das Asperger-Syndrom lernen kann

in #gretathunberg5 years ago

Dies ist eine Übersetzung dieses Artikels. Ja, ich habe ihn tatsächlich zuerst in Englisch geschrieben ...

Ich bin ein wenig überrascht, daß sich nicht mehr Artikel hier bei Steemit mit Greta Thunberg beschäftigen.

Jedenfalls gibt es etwas, daß sie zu einem besonderen Menschen macht, und das ist ihr Asperger-Syndrom. (Ja, ich verwende hier die alte Nomenklatur, die zwischen "klassischem" Autismus und dem Asperger-Syndrom unterscheidet. Vielleicht sollte ich zu diesem Thema mal einen gesonderten Beitrag schreiben. Jetzt jedenfalls werde ich mich nicht für diese Entscheidung rechtfertigen.)

Da sie selbst sehr offen über ihr Asperger-Syndrom schreibt, nehme ich mir nun das Recht heraus, auf einige der Aspekte, die sie beschreibt, konkret einzugehen. Ich schreibe in der Mehrheitsform, weil ich ebenfalls diese Diagnose erhalten habe und vieles von dem, das sie beschreibt, aus eigenem Erleben kenne.

Wir gliedern uns nicht so einfach in Gruppen ein ...

Wenn man 24 Stunden am Tag auf Fakten und innere Ängste konzentriert ist, dann ist das für Asperger-Autisten ein Hindernis bei der Kontaktaufnahme und -pflege - und auch dann, wenn es um Diskussionen, Entscheidungen oder spontane Änderungen (im Tagesablauf) geht. Was oft als Mangel an Empathie beschrieben wird, bedeutet einfach nur: das Verständnis für die Gefühle anderer müssen wir lernen wie eine Fremdsprache. Dementsprechend schwierig stellt sich das dar und manche schaffen es nie.
Jeder von Euch kennt jemanden, der große Probleme mit dem Erlernen der ersten Fremdsprache hatte und sich heute noch mit der Rechtschreibung und Grammatik seiner Muttersprache schwer tut. Wie erklärt Ihr ihm, daß Ihr mit beidem keine Probleme habt? ;)

... aber wir brauchen trotzdem Gesellschaft

Trotz aller Schwierigkeiten brauchen wir Sozialkontakte. Wir brauchen jemanden, mit dem wir unsere Ideen besprechen können, weil wir uns in solchen Gesprächen sicher fühlen. Außerdem sind die meisten von uns sehr mutig, wenn es um neue Erfahrungen und den Erwerb von mehr Wissen geht. Unsere Gehirne brauchen eben auch Futter! ;)

Wir können nicht so einfach frei sprechen

Es ist in Zeitungen öfter erwähnt worden, daß Greta Sätze und Blöcke aus früheren Reden wiederverwendet.

Eine gewisse, individuell ausgeprägte Beeinträchtigung in Bezug auf freies und spontanes Reden gehört leider zu den "Features" beim Asperger-Syndrom. Situationen und passende Sätze müssen erlernt und geübt werden. Das ist einer der Gründe, warum wir bei mündlichen Prüfungen versagen. Es liegt nicht daran, daß wir nicht wüßten, worüber wir sprechen sollten.

Wir haben unsere eigenen Vorstellungen von Mode und Stil

Ich hatte mich schon gefragt, wann der erste Beitrag auftaucht, der sich auf Gretas Flechtzöpfe einschießt. Und dann mußte dieser natürlich von einem deutschen User kommen. seufz

Was bei diesem Vergleich völlig vergessen wird: das Tragen geflochtener Zöpfe ist eine ziemlich unkompliziierte Art, lange Haare zu haben und gleichzeitig sicherzustellen, daß sie nicht immer im Weg sind. Das ist meines Erachtens der Grund, warum diese Frisur beim Bund Deutscher Mädel so beliebt war. Weil die Mädchen in einer bestimmten Weise erzogen werden sollten. Im Falle von Greta ist der Grund wohl eher der, daß sie keinen inneren Antrieb hat, sich von ihrer Kinderfrisur zu verabschieden. Ich nehme an, daß sie ihr Haar seit vielen Jahren so trägt und entsprechend gut daran gewöhnt ist. Es ist keine Frage der Mode, weil die meisten Asperger-Autisten eh wenig Bedarf haben, modische Entwicklungen nachzuverfolgen. Ganz sicher haben sie dieses Bedürfnis im Alter von 15/16 Jahren nicht.

Wir halten uns an Regeln

Regeln spielen für Personen mit dem Asperger-Syndrom deshalb so eine große Rolle, weil sie eine verläßliche Orientierung in einer höchst unsicheren Welt bieten. An dieser Stelle muß ich auf einen negativen Aspekt des Asperger-Syndroms eingehen. Es ist oftmals dem Frieden dienlicher, sich ab und an nach den Regeln des Autisten zu richten.
Gretas Eltern wissen das. Deshalb bieten sie ihrer Tochter die Unterstützung und Begleitung, die sie braucht. Deshalb trägt sie ihre Flechtzöpfe.
Eine Regel ist im Leben eines Asperger-Autisten etwas, an das er sich eher anpassen kann als daß er davon wegkommt. In den meisten Fällen wird die alte Regel durch eine neue ersetzt. Die dann wiederum sehr lange gültig sein kann.

Es ist manchmal einfacher, etwas anzusprechen, als das nicht zu tun

Wenn wir nun unsere persönlichen Regeln gefunden haben, müssen wir auch darüber reden. Wir wollen die Welt logisch begreifen, also haben wir ein Interesse daran, daß auch andere diese Regeln einhalten. (An dieser Stelle kommt wieder diese "mangelnde Empathie" ins Spiel.) Manche Asperger-Autisten finden Entspannung darin, ihre Weltsicht in epischer Breite zu diskutieren.
Die Konfrontation mit starken Abweichungen von diesen Regeln ist für manche Asperger-Autisten leichter zu ertragen als für andere; aber allen bringt sie ab einem bestimmten Punkt Schmerz, starken Schmerz. Ist dieser Punkt erreicht, dann muß der Asperger-Autist diese Sache ansprechen und für sich lösen, um wieder innere Sicherheit zu gewinnen.
Wenn möglich, sollte man daher an diesem Punkt den Wünschen des Asperger-Autisten nachkommen. Damit er sich wieder sicher fühlt und die Nerven von allen geschont werden. (Klingt krasser, als es ist.)

Danke für's Lesen!

P.S.: Da es hier bei Steemit Beiträge sowohl mit dem Tag #gretathunberg als auch mit #greta-thunberg gibt, verwende ich einfach beide, ganz im Sinne publizistischer Ergänzung. :-)

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