Kommunikanz

in Deutsch Unplugged9 months ago

Ein paar recht verstreute Gedanken über Kommunikation

Etwa bis zum Alter von 30 Jahren hatte ich eine simple persönliche Kommunikations-„Theorie“: Ich war der (aus späterer Sicht naiven) Auffassung, ich könne alles ausdrücken, was ich denke und meine, und ich könne auch alles verstehen, was andere denken oder meinen, indem ich einfach nur höre, was sie sagen, oder lese, was sie schreiben. Jedes Missverständnis erschien daher entweder als eine ungeschickte Ausdrucksweise oder als unaufmerksames Zuhören bzw. Lesen.

Die Gesprächspartner hatten es in dieser Sicht jederzeit in der Hand, Kommunikation und Verständigung herzustellen wie in einem handwerklichen Prozess. Fühlte ich mich nicht verstanden, begann ich einfach einen neuen Versuch mit anderen Worten oder mit zusätzlichen Erläuterungen. Bei voneinander verschiedenen Hintergründen der jeweiligen Lebenswelt, vulgo: bei anderer Denke, schien es sich um ein Übersetzungsproblem zu handeln, wobei meinerseits wiederum eine ungeprüfte und naive Annahme vorherrschte, nämlich die Unterstellung, im Prinzip sei jede Sprache in jede andere übersetzbar, man brauche nur die passenden Wörterbücher.

Dann lernte ich Kommunikations-Theorie als Wissenschaft kennen. In akademischen Seminaren hatte ich mich auseinanderzusetzen mit dem „Sender-Botschaft-Empfänger“-Modell, in welchem ich meine naive Auffassung wieder erkannte, und dieses Modell entpuppte sich als nicht viel mehr als eine missglückte Metapher aus dem Bereich der technischen Daten-Übertragung. Nichts gegen Metaphern, und gerade auch missglückte können dabei helfen, Genaueres ans Licht zu bringen. Aber wenn ein Modell nach einiger Zeit der Diskussion für die Realität selbst gehalten wird, und das ist bei komplexen Prozessen leider allzu oft der Fall (während niemand ein Spur-HO-Modell eines ICE mit jenem verwechseln würde – aber auch da gibt es Anschaulichkeits-Fallen jenseits der äußerlichen Abmessungen, nämlich zum Beispiel im Bereich der strukturellen Integrität), wenn also eine Verdinglichung eines Modells und eine unbemerkte Verstofflichung einer Metapher stattfindet, dann gerät das Schiff der Erkenntnis in Seenot.

In meiner unter-30-Phase hatte ich davon noch kaum eine Ahnung, und so konnte es nicht selten auch geschehen, dass ich einem Gegenüber erst dann völlig zustimmte, wenn es die gleichen Wörter verwendete wie ich. Antwortete mir das Gegenüber jedoch so, dass es meine Aussage in seinen Worten zusammenfasste (Achtung: von „Wörtern“ zu „Worten“ zu wechseln, ist ein rhetorischer Trick!), welche dann in meinem Sprachgebrauch aber anders besetzt, emotional anders geladen waren, bemühte ich mich fast verzweifelt um Rück-Transfer in meine Formulierungen.

Wie gesagt, von Kommunikation hatte ich da noch nichts verstanden. Das sollte sich erst ändern unter dem Einfluss meiner Beschäftigung mit Ausschnitten aus Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie, aus Kommunikationspsychologie und Kunst-Wissenschaften (Stichwort: nonverbale Kommunikation), hauptsächlich aber mit der zunehmenden Einsicht in das belehrte Nicht-Wissen (durch Lektüre von Jaspers u.a. zu Sokrates, Cusanus, Kant).

So wurde ich nach und nach bekannt damit, dass Kommunikation vom Adressaten einer Nachricht erheblichen Anteil, geradezu qualifizierte Mitarbeit am Übermittlungsprozess verlangt. Diese Mitarbeit besteht im wesentlichen in der Interpretation der „Signale“, welche nicht trivial ist (Fehlerfilterung, Kontextbildung; das Gemeinte verstehen wollen, bevor es beantwortet oder abgewehrt wird), und in der Aufrechterhaltung der Kommunikation (durch Rückmeldungen über das bisher Verstandene, durch Rückfragen zum nicht Verstandenen, durch Ergänzungsvorschläge im Hinblick auf noch Offengebliebenes, bisher noch nicht Mitgeteiltes). Das nennt sich dann Dialog oder Zwiegespräch und läuft im Idealfall auf eine gleichberechtigte Suche nach der Antwort auf eine gemeinsame Fragestellung hinaus, zumindest aber auf eine zweckmäßige Verständigung zur Handlungskoordination.

Seit ich mir der aktiven Mitarbeit des Interpretanten, des Lesers oder Hörers, innerhalb des Kommunikationsprozesses bewusst geworden bin (Anmerkung: davon theoretisch zu wissen, ist nicht dasselbe!), wirkt sich das auch aus auf mein eigenes Sprechen oder Schreiben. Ich versuche, Anknüpfungs- oder Einstiegspunkte anzubieten. Und ich versuche nicht mehr, denjenigen, die gar nicht verstehen wollen (und diese erkenne ich mittlerweile von weitem), mit immer neuen Worten und Formulierungen zu überzeugen.

Verständigung herbei zu führen, steht nicht in meiner Macht. Daher auch nur sehr begrenzt in meiner alleinigen Verantwortung. Darin sehe ich keine Vogel-friss-oder-stirb-Ideologie, auch keine Ist-mir-jetzt-auch-egal-Arroganz, sondern ich halte das für eine kleine, partikulare Einsicht in die psychosoziale Dynamik kommunikativer Wechselwirkungen.

Einsicht wiederum betrachte ich nicht als ein gewusstes Faktum; darüber habe ich bereits wann anders meinen Gedanken vorgelegt. Einsicht halte ich vielmehr für eine besondere Art, Vergangenheit mit Zukunft zu verknüpfen. Die Erinnerung an eine Einsicht kann zu einem persönlichen (nicht von anderen übernommenen) Vorurteil verknöchern, aber die Einsicht selbst ist von einem Vorurteil weit entfernt.

Neulich las ich den Satz: „Wissen spricht, aber Weisheit hört zu.“ Das Zitat wird Jimi Hendrix zugeschrieben, und der Kontext wäre sehr interessant, in dem er (oder wer auch immer) das geäußert hat. Den isoliert dastehenden Spruch möchte ich etwa so kommentieren: Gutes Riff, aber noch längst kein Song. Hübsch ist vor allem die Selbstdisqualifizierung, die allerdings im ursprünglichen Kontext vielleicht gar nicht auftrat. Denn nehmen wir mal an, Jimi Hendrix habe von Musik gesprochen oder vom Reden über Musik. Dann besagt sein markantes „Riff“: Über musikalische Strukturen kannst du viel Gelehrtes sagen, aber vom Zuhören hast du mehr. Knowledge speaks, but wisdom listens.

Warum erwähne ich das? Es soll ein Beispiel sein. Ein Beispiel dafür, dem Kommunikator, demjenigen, der etwas äußert, entgegen zu kommen. Aktiv daran mitzuwirken, seiner Mitteilung einen Sinn zuzusprechen oder wenigstens nicht abzusprechen. Natürlich muss ich das nicht tun. Ich kann auch widersprechen oder den Gedanken aufgreifen und ergänzen oder umformen. Ich kann zurückfragen: „Was hört denn die Weisheit so, wenn sie zuhört? Wenn alle schweigen, gibt es ja nichts zu hören.“ Oder ich kann fragen: „Verändert sich vielleicht unter dem Eindruck des sprechenden Wissens auch das Zuhören selbst? Höre ich musikalisch mehr, wenn ich mich einer gewissen Gelehrsamkeit befleißige? So dass ich einen Nutzen davon habe, wenn das Wissen spricht?“ Oder: „Sollte ich aufhören, mein Wissen mitteilen zu wollen, sollte ich schweigen?“

Mir scheint, solche Fragen entstehen vor allem dann, wenn Kommunikation gar nicht stattfindet, sondern ihr Surrogat – das Aufeinanderprallen monolithischer Statements – die Tagesordnung übernommen hat. Wenn alle reden und niemand zuhört, entsteht genauso wenig, wie wenn zwar alle zuhören, aber niemand hat etwas zu sagen. Das führte nicht erst Beckett vor. Die Interdependenz von Wissen und Weisheit, die sich in der deutschen Sprache in den beiden Wörtern angedeutet findet, verschwindet nicht, indem ich mich auf eine der beiden Seiten schlage, als stünden sie in Konkurrenz zueinander und verlangten meine Entscheidung.

Verstehen und die Suche nach Verständigung enden nicht mit einer Äußerung, sei meine Rolle dabei hörend oder sprechend, sondern sie beginnen damit. Wer lieber nach Süden als nach Norden in Urlaub reist, soll das gerne tun. Wer etwas nicht verstehen möchte, sondern lieber von sich weist, was nicht vom eigenen Wissen abstammt, mag dabei bleiben. Wem sich dann die Wirklichkeit der Sonne vor die Wahrheit der Sterne schiebt, darf die wärmeren Temperaturen genießen. Erlebnishaft, in scheinbar unmittelbarer Anschauung, ist die Erde immer noch die altbekannte Scheibe, über welcher alle Gestirne auf- oder untergehen.

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Foto (Ausschnitt): ty-ty

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 9 months ago 

Wenn alle reden und niemand zuhört, entsteht genauso wenig, wie wenn zwar alle zuhören, aber niemand hat etwas zu sagen.

Jo. Das scheint momentan fast überall die Tagesordnung zu bestimmen.
So auch hier.
Schon traurig, wenn ausgerechnet so ein Posting zum Monolog wird. Allerdings kann auch ich bei allem Bemühen, bei allem guten Zuhörenlesen, nicht viel mehr als dieses Statement dazu beitragen. Gutes Zeichen: Dein Monolog hat in allen Punkten Hand und Fuß, steht wie ein gestandener Monolith.

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