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in Deutsch Unplugged9 months ago (edited)

Ein paar Gedanken über Offenheit und Authentizität

Es gibt einige weit verbreitete Irrtümer bezüglich Offenheit und Authentizität. Ich habe das nicht allein entdeckt, sondern ich habe es mir glaubhaft aufzeigen lassen von Leuten, welche sich damit ausgiebig beschäftigt haben. (Vielleicht gibt es auch noch mehr als nur die drei von mir hier aufgeführten Irrtümer; die folgenden drei sollen mir allerdings heute genügen.)

Erster Irrtum:
Offenheit sei ungefiltertes Aussprechen oder Schreiben.

Zweiter Irrtum:
Offenheit sei Ehrlichkeit und führe zu Authentizität.

Dritter Irrtum:
Offenheit und Authentizität seien Werte an sich, sie seien daher immer erstrebenswert.

Zum ersten Irrtum, Offenheit sei ungefiltertes Aussprechen oder Schreiben:
a) Ungefiltertes Aussprechen ist zeitlich begrenzt. Ich habe in einem bestimmten Moment bestimmte Einfälle und Emotionen, aus denen muss ich eine Auswahl treffen, denn ich kann sie nicht alle gleichzeitig äußern. Da ich aber eine Auswahl treffen muss, wähle ich sorgfältig. Ich komme zu selektiver Offenheit. Ich teile das, was mir wichtig ist, und nicht jeden Pups. Ich teile das, was mir wert zu teilen erscheint, und nicht jene Gedanken, von denen ich schon im voraus weiß, dass sie mir später blöd vorkommen werden.

b) Ungefiltertes Aussprechen ist nicht nur zeitlich begrenzt, sondern auch durchsetzt mit Irrtümern. Allen voran meine ich den Irrtum, gerade offen zu sein, obwohl ich mir damit selbst in die Tasche lüge und nur offen erscheinen will – oder, weniger brutal ausgedrückt: mir selbst gerade wünsche, offen zu sein, und darum jetzt alles daran setze und mir Mühe gebe, offen zu sein.

c) Ungefiltertes Aussprechen kann daher nicht vollständig sein, vor allem dann nicht, wenn man sich einredet, es sei vollständig und offen und ehrlich und was sonst noch. Psychologisch gesehen, kann ich nicht nichts verbergen. Es bleibt immer ein Rest, der mir selbst verborgen ist oder den ich nicht sehen will.

Darum bleibe ich bis auf weiteres (also bis überzeugende Gegen-Argumente bei mir eintreffen) bei meiner Ansicht, Offenheit sei eben nicht ein ungefiltertes Aussprechen, sondern ein gezieltes Offenlegen von bestimmten wirklich wichtigen und werthaltigen Inhalten.


Zum zweiten Irrtum, Offenheit sei Ehrlichkeit und führe zu Authentizität:
a) Ehrliche Antworten und ehrlich gegebene Auskünfte müssen nicht so umfassend sein wie die oben von mir gemeinte Offenheit, also nicht so weit gehen wie gezieltes Offenlegen von bestimmten, mir wirklich wichtigen und werthaltigen Inhalten. Dennoch bleiben diese Äußerungen ehrlich. Sie werden nicht unehrlich durch ihre Beschränkung auf den Kontext. Und damit haben „wir“ schon den ersten Unterschied zwischen Offenheit und Ehrlichkeit: Offenheit ist auf Werte bezogen, Ehrlichkeit auf Kontexte. Ich kann offen sein, aber eine ehrliche Antwort verweigern. Das ist keine Verstellung und auch nicht un-authentisch, wenn die Aussage im Kontext mit meinen Werten in Konflikt geraten würde und ich mich stattdessen an meine Werte halte. Verweigerte Ehrlichkeit ist weder Lüge noch Unehrlichkeit und unter bestimmten Voraussetzungen Gold statt Silber.

b) Offenheit und Ehrlichkeit bilden im Verbund einen Teil meiner Persönlichkeit ab und stellen insofern etwas echt und authentisch dar. Wenn ich selbst allerdings der Meinung bin, Offenheit sei ungefiltertes Aussprechen, dann kann ich mir zwar weismachen, ich sei ja mit dieser Meinung mir selbst gegenüber authentisch. Das Argument gilt aber nicht, denn es dreht sich im Kreis: Ich kann jedwede Meinung annehmen und sie als „meine“ behaupten, die Frage ist und bleibt jedoch, wie ich tatsächlich lebe und mich bei Entscheidungen verhalte. Authentizität ergibt sich durch den Einklang mit meinen inneren Werten, nicht durch Offenheit (egal welcher echten oder vermeintlichen Art) und auch nicht durch Ehrlichkeit. Vielmehr verläuft die Richtung genau umgekehrt: wenn ich Ehrlichkeit für einen hohen Wert halte und danach lebe, dann bin ich authentisch, indem ich ehrlich bin. Ich werde nicht erst authentisch durch Ehrlichkeit, sondern die Ehrlichkeit ist authentischer Teil meiner Selbst. (Oder eben nicht, je nachdem.)

Ich halte an dieser Stelle meine Zwischenbilanz kurz fest, nach welcher Offenheit kein ungefiltertes Aussprechen sei, sondern ein gezieltes Offenlegen von bestimmten wirklich wichtigen und werthaltigen Inhalten, und Ehrlichkeit ein auf den Kontext bezogenes Verhalten, und dass ich des weiteren glaube, dass beide nicht zu meiner Authentizität führen, sondern (gegebenenfalls) aus meiner Authentizität stammen, von dort her ihre Berechtigung und Grenzen erhalten. Würde ich Offenheit und Ehrlichkeit nur nach Willkür an den Tag legen, wären sie nicht echt. Denn der entscheidende Punkt für Offenheit, Ehrlichkeit und Authentizität ist ja nicht, was ich zeige, sondern wer ich bin.


Zum dritten Irrtum, Offenheit und Authentizität seien Werte an sich, sie seien daher immer erstrebenswert:
a) Wenn ich jemand in einer gegebenen Situation mit einer offenen Antwort verletze, dann muss es dafür eine Begründung jenseits der Offenheit geben. Jemand zu verletzen mit meiner Offenheit allein mit der Begründung, ich sei halt nun mal offen, wäre in meinen Augen genau so unsinnig wie die Behauptung, ich müsse halt nun mal stehlen, weil ich Kleptomane sei. Hier wedelt auf der Ebene des Argumentierens (und wie ich finde: recht offensichtlich) der Schwanz mit dem Hund, denn ich sage damit: „Du bist mir egal. Wenn ich dich kratze, dann nimm es nicht persönlich, es liegt einfach nur an meinen Krallen, für die ich nichts kann.“ So denkt nicht mal eine spielende Katze.

b) Wenn ich von meinen Werten her authentisch ein Arschloch bin, dann ist das weder moralisch noch gesellschaftlich ein Wert (haha, außer in manchen Zusammenhängen, wo es meiner Karriere helfen kann). Sobald mir meine Arschlochigkeit aufgeht, habe ich allen Grund, mich zu ändern, und von da an würde ich wirklich authentisch werden. Geht sie mir auf und ich ändere sie nicht, stehe ich im Widerspruch zu mir selbst. Geht sie mir gar nicht auf, dann bin ich ein armer Wurm und in dieser Hinsicht quasi authentisch, aber weder wirklich offen noch ehrlich (sondern bestenfalls ungefiltert am Irren und am Lügen wie Münchhausenianer oder andere Wahnhafte – in dem Fall wäre ich kein Arschloch, sondern krank).

Fazit: Habe ich mich ethisch dem Guten anbefohlen, treffe ich daher dann meine Aussagen und Entscheidungen bestmöglich nach Wissen und Gewissen und verhalte ich mich ungeheuchelt kooperativ – das heißt: in tatsächlicher (und nicht bloß vermeintlicher oder gar listig vorgespielter) Übereinstimmung mit meinen Werten –, dann bin ich authentisch, dann ist meine Ehrlichkeit verlässlich, auch wenn ich schweige, und dann ist auch meine Offenheit von Belang. Solche Offenheit ist ein Weg, kein Rezept, sie besteht nicht im Schwatzen, sondern im Kommunizieren. Das darf ich mir täglich neu klar werden lassen, denn es ist Teil meiner persönlichen Freiheit und wird mir von niemand diktiert.

[ursprünglich geschrieben für S.K. am 23.07.23]

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Foto (Ausschnitt): ty-ty

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 9 months ago 

Unter Offenheit verstehe ich in erster Linie eine möglichst unvoreingenommene Art des Zuhörens. Offenes Reden gibt es im absoluten Sinn nicht. Selbst wer sein „Herz auf der Zunge“ trägt, wird im Sinne des Selbstschutzes nie so offen sein und all seine subjektiven Wahrheiten auf den Tisch legen.

 9 months ago (edited)

Ja witzig dass Du dieses Offen dann tropsehm immer auf "Dinge" beziehst , die aus Einem raus kommen, wenn etwas offen ist , dann geht schließlich ´was rein .

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 9 months ago (edited)

Ja, heißt beides Offenheit, das ist eigentlich verwirrend.
Ich wollte aber nur über die eine Offenheit schreiben, von drinne no druuße, und du kannst ja mal über die andre schreiben, ob es da ungefiltert läuft und ob es Irrtümer gibt. Wär ich offen für.

 9 months ago 

Höhö , hihi , jaaa öffnen Sie !sich für´s !MICH , ächz .

Aber ich muss wohl anmerken dass das mit #VONDRINNENNODRUSSE wohl sehr offensichtlich war , und dass ebent die Offenheit !sich in der Hinsicht von den anderen Worten , die Du damit in Zusammenhang setzt , unterscheidet , und zwar ganz genau durch die Möglichkeit des gleichzeitigen VONAUSSENNACHINNEN´s .

Na gut lesen !wir , hihi , also #Sich und #Es nochmal nach ....
Offenheit und Aussprechen , Filter und bla , vor allem den Nichtwehtunfilter ??
Wie wäre !es denn mit dem Übertreibungsfilter , also keinem Filter sondern einem Booster ?

Und wie soll !man Filter oder Booster anwenden , ohne den Anderen "ein zu lassen" , wahr zu nehmen .
Und wieso ist das alles immer durchsetzt von der totalen Ichkontrolle.

Naja , da wäre dann also eigentlich das Interessanteste an dem ganzen Buchstabenwust , wer nun diese S.K wäre , und warum Du dieser S.K etwas so kompliziertes ins Hirrnchen schmeißen wolltetest .

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 9 months ago (edited)

Oha, also ich lebe und halte mich schon immer streng an diesen angeblichen "Irrtümer" und bin damit sehr gut und erfolgreich durchs leben gekommen. Ich kann den erhaltenen Zuspruch sowie Danksagungen gar nicht mehr zählen.
Klar machst du dir auch Feinde damit und bist öfters alleine, war mir aber auch immer egal.

 9 months ago 

Mein Herz ist eine authentische Mördergrube, ich trage viel ehrlichen Hass in mir, und entsprechend liegen die giftigen Pfeile stets bereit. Sie nicht abzusenden mit dem verbalen Blasrohr, gibt mir das gute Gefühl der Überlegenheit über mich selbst.

 9 months ago 

Ist das nicht ein Auszug eines Songs von "Eisbrecher"?

 9 months ago 

Nah dran: ChatGPT.

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