Die schmutzige Wäsche des Kaisers

Diesmal gibt es wieder einen Beitrag aus der Kategorien „Vergangenheitskontrolle“. Hierbei geht es um historische Themen, die oftmals nicht besonders stark in der Öffentlichkeit bekannt sind, obwohl sie es sein sollten. Damit diese nicht wie bei 1984 irgendwann in Vergessenheit geraten, tragen wir sie hiermit einmal in die Blockchain ein... ;)

Royal_Irish_Rifles_ration_party_Somme_July_1916.jpg (Irische Soldaten an der Somme, 1916)
Wenn es eine Sache gibt über die Historiker oft und leidenschaftlich streiten, dass sind es die Gründe und Ursachen für Kriege. Dies ist verständlich, da es vermutlich auch einer der wichtigsten Lektionen ist, die wir über die Vergangenheit lernen können. Dabei begeht man meiner Meinung nach oft einen entscheidenden Fehler: Man versucht die Ursachen an einer einzigen Sache festzumachen. Den es ist utopisch eine so komplexe Sache wie einen Krieg an einer einzigen Person oder einem Ereignis fest zu machen. Dies mag einfacher sein und auch gesellschaftlich akzeptiert, wer aber auch nur einen kurzen Moment darüber nachdenkt, wird zum Schluss kommen, dass dies nicht stimmen kann.

Daher möchte ich Euch heute einen besonders zynischen Aspekt der Geschichte vorstellen, der zwar recht gut dokumentiert und auch öffentlich diskutiert wurde, aber dennoch vielen Menschen nicht bekannt ist und beim Geschichtsunterricht gerne übersprungen wird. Es ist dabei vor allem auch eine wichtige Lektion über Toleranz und wie wichtig in der Geschichte manchmal bereits nur wenige Menschen sein können um potenziell den gesamten Lauf der Geschichte zu verändern.

Das Ergebnis der heutigen Geschichte ist hingegen sehr bekannt. Es handelt sich um das was viele Historiker später als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichneten und damit vermutlich den Nagel auf den Kopf treffen. Die Zeitgenossen bezeichneten es zunächst lediglich als „Julikrise“ aus der sich dann im weiteren Verlauf das Entstand, dass wir heute als ersten Weltkrieg bezeichnen.

Headline_of_the_New_York_Times_June-29-1914.jpg (Headline der New York Times zum Attentat, 1914)

Fragt man die Menschen, was die Ursache für diesen Krieg gewesen ist, wird immer automatisch das Attentat von Sarajevo fallen. Hierbei handelte es sich um ein Attentat der Geheimgesellschaft „Schwarze Hand“, die eine serbische nationalistische Position vertrat. Am 28. Juni 1914 verübte eine Gruppe aus ihren Reihen ein erfolgreiches Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie Chotek. Der Anschlag war erfolgreich. Die Gemüter über das Attentat waren in Österreich natürlich stark erregt und man diskutierte über Maßnahmen.

Das deutsche Auswärtige Amt versucht noch zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, doch dann kam es zu einer Anordnung von dem deutschen Kaiser Wilhelm II höchstpersönlich, dass man mit den Serben aufräumen solle und zwar möglichst bald. In Folge dieser Eskalation reichte ein kleiner Funke um ein verherrendes Feuer in ganz Europa zu entzünden, dass binnen kürzester Zeit immer mehr Konfliktparteien hineinzog und insgesamt 17 Millionen Menschen das Leben kosten wird.

Die Zeit zwischen der Jahrhundertswende und dem Beginn des ersten Weltkrieges ist dabei allerdings oft eine Epoche der nur wenig Beachtung geschenkt wird. Dabei baute sich der eigentliche Konflikt genau in dieser Zeit auf und spitzte sich zunehmend zu. Eine Deeskalation insbesondere auf deutscher Seite hätte vielleicht eine solche Tragödie abwenden können. Doch scheinbar hat es diese nicht gegeben...

800px-Kaiser_Wilhelm_II_of_Germany_-_1902.jpg (Kaiser Wilhelm II, 1902)

Der Hauptakteur in dieser Geschichte ist der deutsche Kaiser Wilhelm II., König von Preußen, der als Kaiser des Deutsches Reiches 1888 eingesetzt wurde. Mit lediglich 29 Jahren bestieg er den Thron in einer schwierigen Zeit. Überall in Europa waren progressive und liberale Kräfte auf dem Vormarsch. Während anfänglich diese noch unterdrückt werden konnten, wurden ihre Forderungen nun lauter und viele Monarchien sahen sich gezwungen sich zu reformieren und zu modernisieren. Die Rechte gewöhnlicher Bürger rückte zunehmend in den Vordergrund. Wilhelm war kein Freund solcher Reformen und eigentlich eher dem konservativen Lager zuzuordnen. Dies ist eine wichtige Sache, die man im folgenden Text stets im Hinterkopf behalten sollte.

Bereits seine Geburt war problematisch, da er als Steißgeburt zur Welt kam. Als nur das Gesäß und der Unterleib herauskam und der Puls der Nabelschnur absank, entschloss sich der anwesende Arzt den Arm zu wenden und parallel zum Torso zu legen. Mit einem heftigen Ruck gelang ihm die Entbindung des Thronfolgers und sowohl Säugling als auch seine Mutter überlebten die problematische Geburt. Doch kam es durch diese Anwendung zu einer linksseitigen Armplexus-Lähmung, die den jungen Kaiser einseitig lehmte und begleitete – böse gesagt: Er kam als Krüppel zur Welt.

Insbesondere die Mutter tat sich schwer damit zu akzeptieren, dass sie ein körperlich behindertes Kind auf die Welt gebracht hat und sie versuchte alles um dieses Leiden zu lindern oder gar zu heilen. Dies umfasste nicht nur zahlreiche Kuren, sondern auch obskure Versuche wie das Einnähen der Hand in ein frisch geschlachtes Kanninchen. Es versteht sich von selbst, dass diese Maßnahmen nicht wirklich bei einer Heilung halfen.

Diese Zeit traumatisierte und verbitterte den jungen Thronfolger jedoch sehr. Zudem kam eben auch ein Konflikt mit seinen Eltern zustande. Während diese durchaus mit dem Liberalismus sympathisierten war dies für den jungen Prinzen eher negativ besetzt. Während seiner Ausbildung bei den elitären-konservativen Offizierkorp konnte er scheinbar jedoch ebenfalls keinen richtigen Anschluss finden. Eine Elite-Garde die in Mitten ihrer Reihen einen Krüppel hatte? So fühlte sich der Prinz scheinbar sehr unverstanden und fand somit nirgend Verständnis.

Kaiser-Wilhelm_II._und_Philipp_zu_Eulenburg,_Nordlandfahrt_1890.jpg
(Kaiser Wilhelm II. und Philipp zu Eulenburg, Nordlandfahrt 1890)

Dies änderte sich im Jahr 1886 als der Prinz den zwölf Jahre älteren Grafen Philipp Friedrich Alexander Graf zu Eulenburg bei einer Jagdgesellschaft kennenlernte. Dieser war scheinbar eine sehr ausgeprägte und beeindruckende Persönlichkeit der damaligen Zeit. Auf der einen Seite stand er loyal zur Monarchie und wollte diese ohne Wenn und Aber stützen. Auf der anderen Seite war er allerdings ein weltoffener lebenserfahrener Mensch, der bildene Künste sehr schätzte und im Laufe seiner Karriere viel in der Welt rumgekommen war.

Auf der einen Seite ein staatlicher Diplomat, auf der anderen Seite ein verbitterter nervöser Prinz. Es entwickelte sich schnell eine Freundschaft zwischen beiden. Philipp war eine Mischung als Freund und Vaterfigur, die dem Prinzen Halt in einer immer schneller moderner werdenden chaotischen Welt bot und gleichzeitig eine intellektuelle Zerstreuung bot nach die der Prinz sich sehnte. Den das erste Mal in seinem Leben hatte er es nicht mit strengen Eltern oder Menschen zu tun gegenüber die er sich behaupten musste, sondern er sich Geborgen und Verstanden fühlte.

Die Beziehung die zwischen beiden Entstand ist teilweise heutzutage noch umstritten. Es lässt sich aber zweifelsfrei nicht leugnen, dass zwischen beiden eine „homoerotisch“ Beziehung bestand, wenngleich beide Männer verheiratet waren. Der junge Prinz erhielt den Kosenamen „Liebchen“, während er wiederum im engen Vertrautenkreis den Grafen als „Phili“ titulierte.

Diese Männerfreundschaft wuchs jedoch weiter als Philipp Wilhelm zum sogenannten „Liebenberger Kreis“ einlud. Eine Ansammlung von Aristokraten, die auf seinem brandenburgischen Besitztümern zusammen kamen. Offiziell traf man sich hier regelmäßig einmal im Jahr zur Jagd. Doch verbrachte man hier auch einen großen Teil der Zeit mit den Musen. Es wurde dabei über kultivierte, musische, spirtuellen, aber auch vulgären Inhalten diskutiert und man verbrachte seine Zeit damit sich aneinander vorzulesen und gemeinsam zu musizieren.

Eine Mischung aus freigeistiger Aktivität und eben mitunter auch homoerotischen Männerbundes. So schlug Georg von Hülsen gegenüber dem Grafen von Görtz 1892 folgende Einlage zur Belustigung des Kaisers vor:

„Sie müssen vor mir als dressierter Pudel vorgeführt werden! – Das ist ein ,Schlager‘ wie kein anderer. Bedenken Sie: hinten ,geschoren‘ (Tricot), vorn langer Behang aus schwarzer oder weißer Wolle, hinten unter dem echten Pudelschwanz eine markierte Darmöffnung und, sobald Sie ,schön machen‘, ,vorne‘ ein Feigenblatt. Denken Sie wie herrlich, wenn Sie bellen, zur Musik heulen, eine Pistole abschießen oder andere Mätzchen machen. Das ist einfach ,großartig!‘ […] Ich sehe bereits Seine Majestät lachen wie wir.“ (Vgl. Hülsen an Görtz, 17. Oktober 1892, in: Eulenburg, Korrespondenz, Bd. 2, S. 953. Siehe auch Röhl 1988, S. 24.)

Im ersten Moment sicherlich ein eher verwunderliches Bild bei den man ein wenig verwundert die Augenbraun hochzieht über das Bild was sich da für einen abzeichnet. Aber stellt man sich dazu ein wenig Alkohol vor und einen Junggesellenabschied vor, ist man vermutlich auch nicht soweit davon entfernt. In jedem Fall schien der junge Kaiser die Gesellschaft dort und vor allem auch die dortige Zerstreuung von dem ihm sonst so stressigen Alltag sehr zu genießen.

Dabei muss man verstehen, dass sowohl Philipp als auch der Liebenberger Kreis einen großen Einfluss auf den Kaiser genommen hat, der wiederum die anderen Teilnehmer alle sehr mochte. Den wie man bereits erahnen konnte, war der Kreis ein eher liberalerer Haufen und er somit durchaus auch eine politische Facette hatte.

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(Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, 1906)

Philipp von Eulenburg war nämlich keineswegs einfach nur ein verträumter Künstler, der in seinen Anwesen musizierte und einer kuriosen Freizeitgestaltung hingab. Er war vor allem Diplomat und eben Politiker. So findet man seinen Namen auch im Zusammenhang mit dem Tod des bayrischen Märchenprinzen Ludwig II, der das berühmte Schloss Neuschwanstein errichtete und eine Geschichte für sich ist.

Als bekannt wurde, dass dieser im Starnberger See ertrunken sei, bestand Philipp darauf den Todesort zu besuchen. Auf Grund seines großen Einflusses, erlaubte man ihn den Wunschund er fertigte viele Notizen über Beobachtungen und Aufzeichnungen auf, die als einer der wichtigsten Quellen bei der historischen Untersuchung des Todes des bayrischen Königs gilt. Der vermutliche Hintergrund war wohl, dass Philipp keineswegs an einen tragischen Unfalls, sondern eben Mord ausging. Bereits zuvor stellt er verwundert über Holnstein (einer wichtigen Person am bayrischen Hof) fest:
„Der (bayrische) König liebt ihn (Holnstein) nicht mehr und gehorcht ihm doch.“

Philipp gilt zudem als einer der Personen, die maßgeblich am Sturz von Otto von Bismarck beteiligt war. Dem eisernen Kanzler, der im Rufe stand durch nichts bezwungen werden zu können. Und trotzdem fällt eben gerade der Name Eulenburg bei seinem Ausscheiden. Ein ehemaliger Hausfreund war über diesen Vorgang, so sauer, dass er folgendes über Philipp sagte:

„Als Politiker nicht ernst zu nehmen. Als Diplomat auf wichtigem Posten nicht verwendbar. Aber sehr schicklich, belesen, liebenswürdig. […] Werden will er nichts; weder Staatssekretär noch Kanzler. […] Schwärmer, Spiritist, romantisierender Schönredner, […] der so geschickt den Garderobier der mittelalterlichen Phantasie des Königs mache.“

Scheinbar ohne eigene Ambitionen auf ein politisches Amt, wusste er durchaus die Nähe zu Wilhelm zu nutzen um die Welt nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Und Wilhelm hört ihn zu und folgte ihm. So überrascht es vermutlich auch nicht, dass er auch versuchte seinen Einfluss beim Kaiser zu nutzen um seine außenpolitische Haltung, die von Zeitgenossen als „friedliebend und konsensorientiert“ bezeichnet wurde, durchzusetzen. So setzte sich dieser zusammen mit dem Liebenberger Kreis massiv dafür ein, dass es durch die erste Marokko-Krise 1905 nicht zu einem Krieg mit Frankreich kam.

Eine der diskutierten Punkte wäre bei einer Umsetzung in einer Form so spektakulär gewesen, dass es einen Platz in den Geschichtsbüchern gehabt hätte. Philipp schlug vor, dass Deutschland als Zeichen der Aussöhnung Elsass-Lothringen, dass 1871 annektierte wurde, wieder zurückgeben sollte. Er glaubte, dass mit einer solchen Geste der stetig brodelnde Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich hätte beendet werden konnte und träumte von einem friedlichen, kooperierenden Europa.

Dabei schien der Kaiser den Ideen seines Beraters nicht abgetan zu sein. Immerhin respektierte er ihn hochgradig und er war für ihn ein Anker in der sonst so chaotischen Welt. Und so nahm der Liebenberger Kreis bestehenden als einem liberal eingestellten Männerbund Einfluss auf einen konservativen Kaiser. Und eigentlich hätte man erwarten können, dass es auf diese Weise zu einer Deeskalation mit Frankreich und den anderen Großmächten hätte kommen können. Doch scheinbar entwickelte sich die Geschichte doch noch anders...

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(Maximilian Harden, 1914)

Den mit seiner Einflussnahme 1905 bei der Marokko-Krise machte sich Philipp auch einige Feinde. Der Publizist Maximilian Harden entschloss sich im nachhinein eine Kampagne gegen Eulenburg und seinem Vertrautenkreis zu starten. 1906 bezichtigte er in mehreren Artikeln Eulenburg als „homosexuell“, was aus gleich mehreren Dingen in der damaligen Zeit problematisch war.

Zum einen galten homosexuelle Menschen im Zeitgeist als Schwächlinge und Feiglinge, so dass dies natürlich auch auf seine politischen Ambitionen abfärbte. Den nur ein Schwuler könnte den Konflikt mit Frankreichen scheuen und nicht beherzt zur Waffe greifen. Immerhin war man in Deutschland überzeugt, dass ein erneuter Krieg gegen Frankreich ähnlich rumreich wie der Konflikt 1871 enden würde. Und zum Anderen war Homosexualität in der damaligen Zeit ein Straftatbestand (Stichwort §175). Während Homosexualität zwar weitesgehend „geduldet“ wurde und nicht immer zu einer Anklage kam, musste man natürlich beim Erheben einer solchen Anschuldigung auch entsprechend mit einem Prozess rechnen. Es begann die sogenannte „Harden-Eulenburg-Affäre“.

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(Philipp Fürst von Eulenburg)

Dies war eine Reihe von Prozessen um Verleumdungsklagen rund um die Mitglieder des Liebenberger Kreises. Diese waren vorwiegend Indizienprozesse und wurde meist gegen Auflagen eingestellt. So kam Philipp von Eulenberg beispielsweise glimpflich davon, da man ihm keine sexuellen Handlungen nachweisen konnte. Einer sein engsten Vertrauter kam mit einer Vergleichszahlung davon.

Heutzutage gilt es als gesichert, dass Harden erst Kenntnis nach über den Liebenberger Kreis erfuhr als der dahinscheidende Reichkanzler Bismarck ihm bei einer Flasche Wein davon erzählte. Dieses soll ein Geschenk des Kaisers an den Kanzler zur Aussöhnung nach seinem Sturz gewesen sein. Auch gilt es als gesichert, dass Harden Philipp bereits 1902 erpresste um ihn als Wiener Botschafter zu entfernen. Philipp kam der Forderung nach und gab die Botschaftstätigkeit nach 10 Jahren auf und trat aus „gesundheitlichen Gründen“ zurück.

Diese Affäre entwickelten sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der größten Affären des Kaiserreiches. Den auch Wilhelm rückte nun zunehmend in die Augen der Öffentlichkeit. Könnte es wirklich sein, dass der Kaiser selbst homosexuell sei, wenn er sich regelmäßig mit diesem merkwürdigen Männerbund trifft? In jedem Fall haben sie ihm etwas ins Ohr gesäuselt und von seiner Gunst auf Grund zahlreicher Beförderungen und Ernennungen profitiert. Die Bevölkerung zeigte sich entrüstet, dass von einem solchen homosexuellen Männerbund eine politische Macht auszugehen schien.

Der Kaiser war blossgestellt und stand mit dem Rücken zur Wand. Er entschloss sich daher Eulenburg fallen zu lassen, der immer noch vor Gericht stand und sich gegen die Behauptungen wehrte. Erst 1909 wurde der Prozess gegen Eulenburg aus gesundheitliche Gründen ausgesetzt. Allerdings kam es nie zu einer rechtskräftigen Verurteilung von Euleburg, da der Prozess nicht wieder aufgenommen wurde.

Doch Harden hatte sein Ziel erreicht und „Phili“ von Wilhelm isoliert und dem Liebenberger Kreis entmachtet. Der Kaiser musste auf Distanz gehen, da er sonst Gefahr lief sich selbst zu verbrennen. Mit einem Schlag war der Kaiser einige seiner wichtigsten Berater und Freunde los, die ihm über all die Jahre Zuversicht und Verständnis entgegen brachten.

Natürlich erhielt der Kaiser neue Berater. Diese kamen vorwiegend aus dem militärischen Umfeld und säuselten ihm auch Ideen in den Kopf – allerdings ganz andere. Eine Zurückgabe von Elsass-Lothringen war aber keineswegs dabei und es wurde vielmehr auf eine aggressive Außenpolitik wert gelegt. Es galt gegenüber dem starken Bündnis von England und Frankreich Stärke zu zeigen um deutsche Interessen Raum zu verschaffen. So zog langsam der Sturm in Europa auf, der durch den serbischen Funken einen Flächenbrand auslöste.

Man muss durchaus einmal die Ironie hinter dieser Geschichte würdigen. Der Kaiser schenkt seinem geschassten Reichskanzler eine Flasche Wein als Zeichen des guten Willens. Der diese dann verbittert konsumiert, um einem Journalisten sein Leid zu klagen, der das Wissen dann nutzt um den Weg für einen Weltkrieg zu ebenen.

Hätte sich Eulenburg im Beraterkreis gehalten, wäre es vielleicht zu einer Aussöhnung mit Frankreich gekommen und seine Vision einem friedlichen Europas der großen Königshäuser wäre real geworden. Vielleicht gar eine monarchistische Europäische Union? Was genau passiert wäre, wird man nie sagen können. Aber man sollte durchaus auch diese Geschichte erzählen, wenn man verstehen will, was zum ersten Weltkrieg hinführte.

Eine weitere Ironie liegt wohl darin, dass die Gesellschaft die Homosexualität verteufelte aus genau diesem Grund eine Reaktion auslöst, die in den folgenden Jahren Millionen von (vermutlich vorwiegend) hetrosexuellen Männern auf den Schlachtfeldern forderte, die auf bestialische Art und Weise ihr Leben ließen oder grausam verstümmelt wurden und in vielen Familien Männer, Brüder, Väter ihr Leben kostet, dass so manch einer auf dem Dachboden der Großeltern Stickereien und Fotos der Trauer finden kann. Wäre man mit dem Thema damals liberaler umgegangen und hätte vielleicht sogar die Eskapaden des Kaisers geduldet, wäre es vielleicht ganz anders gekommen.

Philipp von Eulenberg litt schwer unter den Prozessen und seinen Folgen. So öffentlich gebrannt zu sein, zog sich nahezu vollständig aus dem offenen Leben zurück und verbrachte die Zeit im engsten Kreis seiner Familie. Gemieden vom Kaiser und all seiner früheren adeligen Freunde verbitterte er zunehmend und starb 1921.
Chateauwood.jpg (Der Chateauwald (Schlosswald) bei Ypern besteht nach den intensiven Artilleriebombardements nur noch aus Baumstümpfen)

Kurze Zeit zuvor schrieb er noch folgenden Satz nieder, den ich immer wieder im Zusammenhang mit Krieg als sehr bewegend finde:

"Große Katastrophen werden nicht von einem Volk, sondern von den Leitern desselben herbeigeführt. Es wird mir immer unverständlich bleiben, weshalb Deutschland, England, Frankreich und Russland - dereren Regierungen die grausame Zerstörungsmittel der modernen Zeit in ihren Armeen genau kannten - die Erde nicht groß genug fanden, um friedlich nebeneinander zu leben."

Was für ein Vorausruf für Europa ohne zu wissen, was dem Kontinent erst noch bevorstand. So hätte der Mensch hinter diesen Worten vielleicht die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts verhindern können. Ob Philipp von Eulenburg und seine Freunde wirklich homosexuell waren beschäftigte viele Historiker auch noch Jahre danach. Gerade im Rahmen der Affäre wurden viele Dokumente vernichtet und viele Orginale auch im zweiten Weltkrieg. Trotzdem gelang es in historischer Detektivarbeit vieles rekonstruieren und zumindest gesichert sagen, dass Wilhelm nicht einfach nur dem ihm oft vorgeworfenen Mangel an Menschenkenntnis zum Opfer fiel. Er war sich durchaus bewusst in welchen Kreisen er sich bewegte.

Zynisch betrachtet war der erste Weltkrieg überhaupt nicht das Ende, sondern vielmehr eine mehrjährige Feuerpause. Der Konflikt, der gesäht wurde, keimte wieder auf und mündete vermutlich nur schwer ausweichlich im zweiten Weltkrieg, der noch verherrender über Europa wütete.

Der Hardliner Harden selbst war durch den Weltkrieg schwer gezeichnet. Während er Anfangs den Krieg herbeijubelte, wurde er zu einem Kritiker. Er gehörte zu den wenigen Leuten, die nach dem Krieg die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages befürwortete und eine deutsche Kriegsschuld akzeptierte. Doch auch er befand sich nun in einer Welt wieder, die er nicht mehr kannte. Seine Leserzahlen gingen stetig zurück und seine Zeitschrift die „Zukunft“ wurde eingestellt.

1922 verübten Mitglieder der Freikorps ein Attentat auf ihn und er erlitt eine schwere Kopfverletzungen, die er nur knapp überlebte und in Folge in die Schweiz zog. Dort starb er 1927 und erhielt von der Berliner NSDAP den folgenden Nachruf: „Maximilian Harden ist durch eine Lungenentzündung hingerichtet worden. Wir bedauern am Tod dieses Mannes nur, dass er uns die Möglichkeit genommen hat, auf unsere Weise mit Isidor Witkowski abzurechnen.“ Er war der Sohn eines jüdischen Seidenhändlers.

Dies ist einmal eine andere Geschichte, um die Ursachen die zum ersten Weltkrieg führten und nicht jedem bekannt ist. Das gerade homosexuelle Kreise einen großen Einfluss auf die Politik im Kaiserreicht hatte, war etwas, dass man dazu führt, dass man dieses Kapitel gerne auslässt oder schnell in die Schule überspringt.

Ob der verheiratete (und scheinbar auch glückliche) Eulenburg am Ende homosexuell gewesen ist oder nicht spielt dabei im Endeffekt gar keine Rolle. Da er diese zumindest nicht offen lebte und sich mehr auf die Umsetzung seiner Politik konzentrierte, die ein anderes Europa im Sinn hatte. Zweifelsfrei war er in über 20 Jahren ein wichtiger Berater in fast allen Fragen des Kaisers und lenkte die Politik maßgeblich. Und natürlich ist auch er keine Lichtgestalt und es gibt einige zweifelhafte Geschichten über ihn.

Das gerade eine solche Affäre die Grundsteine für den Konflikt legte ist in jedem Fall tragisch. Selbst wenn es kein Attentat auf den Thronfolger in Sarajevo gegeben hätte, hätte vermutlich irgend ein anderer Funken zu dem verherrenden Flächenbrand geführt und ebenfalls den ersten Weltkrieg ausgegelöst.

Wer sich mehr zu diesem Thema interessiert, dem kann ich nur die sehr gute Dokumentation „Des Kaisers schmutzige Wäsche“ empfehlen, die sich genau der Geschichte in diesem Betrag auch widmet und für mich damals in jedem Fall einen Teil der Geschichte eröffnete von dem ich bis dahin nie etwas gehört hatte.

Geschichte kommt uns oft vor als würde wenige Leute einfach nur am richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein und dort dann etwas gemacht haben. Dies kommt aber daher, dass wir immer nur einen bestimmten Narrativ folgen. Den all diese Menschen und jene Menschen in deren Umfeld haben stets auch immer ihr eigenes Leben geführt mit allem was dazu gehörte. Auch dies sollte man nie vergessen, wenn man sich mit Geschichte beschäftigt. Gerade die junge Vergangenheit ist dabei oft wesentlich besser zu konstruieren als jene, die bereits mehrere Jahrhunderte zurück liegt.

Ich hoffe sehr, dass ihr bis zum Ende durchgehalten habt und Euch nicht gelangweilt wart - und vielleicht gar ein wenig nachdenklich geworden seid. :)

Sort:  

Wirklich ein sehr guter Post, und wie @vladimir-simovic schon gesagt hat, absolut interessant für @de-stem / @steemstem. Quellenangaben bräuchte ich halt.

Geschichte ... die Menscheit ist verdammt auf alle Ewigkeit ihre Fehler immer zu wiederholen.
Abgesehen davon: Mega guter post. So was lese ich immer gerne.

Vielen Dank. :) Ich fürchte leider eben auch, dass Du Du da Recht hast. Ich habe wenig Hoffnung, dass man irgendwann wirklich schafft über das Verständnis der Vergangenheit her es schafft die Zukunft besser zu gestalten. Das ist eigentlich schade, da dies eigentlich bei einer intelligenten Spezis funktionieren müsste. Dabei darf man nie den Fehler machen zu erwarten, dass sich Geschichte immer 1:1 wiederholt, da die Abläufe dafür doch zu unterschiedlich sind. Aber die Mechanismen müsste man doch erkennen... ;)

Die meisten Menschen leben in der Gegenwart ohne sich der Kette bewusst zu sein, die zu ihrer Existenz geführt hat. Wie sollen sie sich auch des Menschseins klar werden, wenn sie in den alltäglichen Mühlen aus Begierden und Unsicherheiten, zwischen Bürokratien und Lebensnotwendigkeiten, zwischen Allmachtsphantastereien unkontrollierter Psychopathen und hilflosen Aufschreien so blind und taub sind, und oft auch gemacht wurden, dass sie keinen Weg haben, ausser dem der ihnen von aussen aufgezwungen wurde.
Ich wage es dabei, zu bezweifeln, ob wir uns als Spezies intelligent bezeichnen dürfen. Es sei denn man interpretiert intelligent als etwas, das entsteht, wenn man aus den zahllosen Wegen der eigens gewählten Vernichtung als Überlebender hervor kriecht.

Jemand, der zeigt, wie es funktionieren könnte, ist meines Erachtens Richard Grove. Hier ist ein Video von seinem Kanal Tragedy & Hope:

Bzgl. deines Textes muss ich mich @arzon-cnaster anschließen: Mega gut ;) (ich wusste davon tatsächlich gar nichts..)

Es gibt der Ursachen und Gründe zu wahr doch immer viele , zu leicht es wäre sich nur an einem Haken aufzuhängen.

Ja, absolut. Aber bei vielen Menschen ist eben immer der Eindruck, dass Geschichte unausweichlich ist und Leute auf die Schlüsselergebnisse ein Leben lang hin gearbeitet haben. Dabei trudeln viele eher zufällig rein ohne wirklich zu wissen, was sie auslösen. Aber in jedem Fall immer wieder spannend sich anzusehen und zu fragen, was man vielleicht mit wenigen Stellschrauben alles hätte ändern können. Gerade eben auch, wenn in der heutigen Zeit Menschen Dinge wieder als absolut kompromisslos darstellen und versuche eine Hardliner-Schiene zu fahren.

Klar wären viele Ereignisse der Weltgeschichte anders gelaufen, wenn irgendwo oder irgendwann ein paar Personen in die anderen Richtung abgebogen wären. Das kann man sich gar nicht ausmalen, was alles wirklich wäre. Die berühmte alternative Geschichte. Stehe ich zwar nicht ganz so drauf, aber da könnte ich die Serie "The man in the high castle" empfehlen. Die Nazis und Japaner haben den Krieg gewonnen und teilen sich die USA. Was da alles passieren könnte! Für mich sehr interessant, da ich ja zur Zeit hier im fernen Osten pausiere .

Kompromisslos und alternativlos, genau! Ein bisschen "In Sich-Gehen" würden den Menschen auf allen Seiten zur Zeit mal nicht schaden.

Ein sehr guter Artikel, der meiner Meinung nach gut in #de-stem passen würde. /cc @sco

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