Der Lockvogel (joru035)

joru (47)in #writing • 6 years ago (edited)

Der Lockvogel

Sie saß in einem großen, weichen Lehnstuhl. Fast wie ein Kind sah sie so in die hinterste Ecke des großohrigen, mit verblichenem Samt bespannten Stuhles hineingedrückt aus. Wie ein kleines verängstigtes Mädchen lugte sie aus großen glänzenden Augen hervor. Ja, Angst hatte sie und wusste jedoch nicht mal genau warum gerade sie sich fürchten sollte. Aber ihr war bewusst - bis in ihr Innerstes - etwas Schreckliches könnte, würde gleich geschehen. War er es wirklich?

Er stand vor ihr, ruhig an die Wand gelehnt, von der große Kalkflecken abblätterten, und starrte in ihre Augen. So ruhig, so gelassen kaugummikauend fixierte er sie. Er wusste, nur das allein tat ihr schon weh. Sie waren alle irgendwie gleich. Ganz langsam wollte er es diesmal tun. Oh, ihre Angst konnte er fühlen und sie ließ ihn aufgeregt erschauern. Wohlige Wärme durchströmte ihn. Dieses Gefühl der Macht, das völlige Beherrschen eines Menschen war wunderbar. Er konnte nicht genug davon kriegen. Ihr armseliges Zittern bereitete ihm so viel Freude und Spaß. Er wollte es wieder und wieder tun.

Der Mann grinste und ließ das Messer aus dem Ärmel gleiten. Das Aufblitzen seines geliebten Dolches riss eigentlich jedes Mal die letzten Nerven seiner Opfer und ließ sie manchmal kreischend, manchmal nur ohnmächtig schauend oder schluchzend zusammenbrechen. Diesmal versuchte das Mädchen sich noch tiefer in ihren Sessel hineinzudrücken. Er war dem Höhepunkt nahe. Vor Verzückung schloss er kurz die Augen. So sah er auch nicht wie er starb, hörte nicht mal den Schuss und dann war sein halber Kopf schon hinten auf der Wand verspritzt und sein toter Körper zog auf dem Weg zum Boden eine schleimige Spur aus Gehirnmasse, Blut und Knochen auf den Ziegeln nach sich.

DS Mary Cogan hatte wieder einmal einen Auftrag mit vollem Erfolg erledigt.