Keine Wiederkehr

in #deutsch5 years ago

Es ist der 26.12. Irgendwie haben wir die Weihnachtsfeiertage ,,hinter" uns gebracht.

Ja, denn mehr war es irgendwie nicht. Zwischen Stress, Fresskoma und Hin- und Hergefahre, haben wir irgendwie überlebt.

Am ersten Weihnachtstag hatte mein Vater mir bereits gesagt, dass wir am nächsten Tag zu Oma ins Pflegeheim fahren würden.

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich Oma seit Juli nicht mehr gesehen habe. Warum? Die Arbeit ließ mir keine freie Zeit und wenn ich diese hatte, verbrachte ich die Zeit bei meinem Vater im Krankenhaus. So blieb Oma auf der Strecke. Mein schlechtes Gewissen? Nicht messbar, nicht zu beschreiben.

Ich hatte Angst morgen dorthin zu fahren. Ich hatte sie nun so lange nicht gesehen und wusste nicht was auf mich zukommt. Als mein Vater das letzte Mal dort war, war sie gut drauf.

Vor dem Pflegeheim angekommen war ich unglaublich unruhig. Als ich das Auto meiner Tante vor der Tür sah, ein wenig beruhigter. Sie kümmert sich aufopferungsvoll um Oma und wenn sie dabei ist, dann kann es eigentlich nicht schlimm werden.

Wir fahren mit dem Aufzug in die obere Etage und vom Weiten erkenne ich zumindest meine Tante. Sie sitzt am Tisch mit Omas Bruder und Oma sitzt mit dem Rücken zu mir im Rollstuhl. So weit so gut.

Am Tisch angekommen begrüßen wir uns. Oma schläft. Ich gehe in die Hocke, lege meine Hand auf ihre Hand, die andere Hand auf ihren Oberschenkel.

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,,Hallo Oma."
,,Oma, mach mal die Augen auf. Wir sind zu Besuch."
,,Oma, Papa ist auch dabei!"

Dieses wiederhole ich unzählige Male. Von Oma? Keine Reaktion.

Sie blickt durch mich durch,reagiert nicht auf Ansprache, die Augen leuchten lange nicht mehr. Immer wieder nickt sie ein. Ist nicht richtig ansprechbar.

Die Hände sind blau, die Arme sind blau. Oma randaliert, ist fremdaggressiv und das macht sich in Form von blauen Flecken bemerkbar. Oma hat Wassereinlagerungen, so schlimm, dass sie kaum in ihren Rollstuhl passt. Sie atmet schwer und dann mal wieder lange Zeit nicht.

,,Die Ärzte sagen, Oma ist ein Wunder. Die Niere hat ihre Funktion nahezu eingestellt, die Lunge funktioniert nicht richtig, das Herz ist überfordert, daher die Wassereinlagerungen."

Oma schaut meine Tante an.

,,Ja Mama du bist unser Wunder!"

Mein Vater weint, mir stehen die Tränen in den Augen. Oma lacht, wir lachen. Es ist so trostlos in diesem Pflegeheim. Weihnachten wird nicht gefeiert. Die Bewohner sollen kein Heimweh bekommen. Die meisten hier würden das allerdings meiner Meinung nach nicht mehr bemerken. Überall liegt Kuchen auf dem Boden.

Und ich sehe so viele einsame Menschen, die an Weihnachten keinen Besuch mehr bekommen.

Mir gegenüber sitzt sie nun. Die Frau, die mich großgezogen hat, die Frau die mir Mittag gemacht hat. Die Frau die immer ansprechbar war, bei pubertären Problemen wie Liebeskummer! Die Frau mit der ich so gerne gekuschelt habe.

Und ich wünschte mir sie würde uns bemerken, mit uns reden können. Doch das ist vorbei.

Ich verlasse das Pflegeheim eine Stunde später. Als ich um die Ecke biege und zu meinem Auto gehe, weine ich. Ich weine und weine und weine. Ich bleibe noch einen Moment im Auto sitzen und versuche mich zu beruhigen.

Am nächsten Tag dann die Erkenntnis. Meine Oma ist von uns gegangen, zumindest die Seele. Und die kriege ich nie wieder zurück.

Und wie meine Therapeutin nun so schön sagen würde:

,,Ändern Sie die Dinge, die Sie beeinflussen können und was nicht beeinflussbar ist, muss akzeptiert werden."

Und genau das tue ich. Nach meinem Besuch bin ich beruhigter, das schlechte Gewissen ist weg. Denn eins ist klar, ich kann Oma nicht mehr helfen. Ich werde Oma jetzt mindestens alle zwei Wochen besuchen und die Zeit, die ich noch mit ihr habe, irgendwie versuchen zu ,,genießen".

Ich bin froh, dass ich dort war und nicht mehr länger das schlechte Gewissen über mir prangt.

Habt ihr so eine Situation in der Familie auch schon erlebt? Kennt ihr das schlechte Gewissen? Wie seit ihr damit umgegangen?

Ich freue mich auf eure Kommentare :)

Bis bald ihr Lieben

Sort:  

Ich kenne diese Situation. Mein Opa war auch im Pflegeheim. Manchmal war er gut drauf, manchmal ging einfach gar nichts mehr. Er saß dann träumend da und wenn man sich mit ihm versucht hatte zu unterhalten, gab er keine Antwort. Das war echt deprimierend. Im Pflegeheim konnte man regelrecht zuschauen, wie sein Zustand sich verschlechterte. Letztes Jahr im August ist er dann gestorben. Letztens begegnete er mir im Traum, das war ein schönes Gefühl. Ich weiß, dass sein Körper gegangen ist, aber seine Seele trotzdem weiterlebt. Die Seele ist unsterblich!

Ich wünsche dir noch ein frohes neues Jahr und hoffe, das alles so verläuft, wie du es dir vorstellst. Alles Liebe von der steemflower :-)

Ja es ist eine grausame Erkrankung, gegen die man als Angehöriger so machtlos ist. Ich kann deine Gefühle da auch gut verstehen.

Ich wünsche dir auch ein frohes neues Jahr und ein grandioses Jahr 2019!

Wenn Du an die Seele glaubst, dann mach Dir keine Sorgen. Diese stirbt nie.

Es geht weiter. :)

Ich verstehe dich gut. Zur Zeit sind meine beiden Schwiegermütter im Pflegeheim und ich weiß nicht, was schrecklicher ist: apathisch zu sein und nicht mehr viel zu merken oder wie die andere immer wieder zu jammern "Ich kann nicht mehr... bitte hilf mir..." In beiden Fällen kann ich nichts tun außer Händchen halten - da wo es noch geht...
Manchmal frage ich mich, ob unser medizinischer Fortschritt so toll ist...
Warum lassen wir die Seelen nicht frei?
Lieben Gruß, Kadna

Liebe Kadna,

Ich glaube das beide ,,Phasen" schwierig sind für den Patienten.
Meine Oma hat vor langer Zeit mal zu mir gesagt, dass sie ihre Tabletten nicht mehr nehmen will und sterben will.
Ich hab sie nicht abgehalten, allerdings hatte sie glaube ich doch zu viel Angst vor den Konsequenzen.

Ich möchte nicht so dahin siechen.

Liebe Grüße an dich!

Ändern Sie die Dinge, die Sie beeinflussen können und was nicht beeinflussbar ist, muss akzeptiert werden.

Mein Therapeut ist sogar noch n Schritt weitergegangen und hat behauptet, jegliche Beschäftigung mit der Vergangenheit wäre vertane Zeit. Ich möchte ihn am liebsten auf den Mond schießen!

Keine Ahnung, ob ich einen liebgewonnenen Menschen so krank im Gedächtnis behalten wollen würde. Meine (demente) Oma hab ich seit Jahren nicht gesehen wegen der Entfernung. Klingt vielleicht herzlos, aber ich hab ja in der Zeit, bevor das bei ihr losging, immer meine untergeordnete Stellung in der Familie akzeptiert. Und darum ist sie halt in einem Pflegeheim in Berlin gelandet.

Was war das denn für ein Therapeut? Die Vergangenheit gehört doch zu dir!

Ich bin froh, dass ich da war. Weil ich mir dann im Nachhinein von niemanden sagen lassen muss, dass ich mich nicht mehr um sie gekümmert habe.

Hat sich gestern geklärt, war ein Mißverständnis.

Sehr emotionaler Beitrag danke fürs teilen alles richtig gemacht, weiter viel Erfolg...

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Hallo liebes kuestenmaedchen, ich kenne die Situation auch sehr gut, wichtig ist, sich immer wieder zu sagen, das die Situation jetzt so ist und man kein schlechtes Gewissen, zu haben braucht. Wünsche Dir ein gutes, gesundes Neues Jahr. Ganz viele, liebe Grüße Alexa :)

Es beruhigt mich, dass ich scheinbar auf dem richtigen Weg bin.

Dir auch liebe Alexa :)

Da kam ja mal wieder alles auf einmal...

Es tut gut wenn man Abschied nehmen konnte...
Du brauchst dir allerdings auch von niemanden Vorwürfe machen zu lassen das du dich nicht ausreichend gekümmert hättest. Du hattest und mehr als genug durch zu machen und jetzt noch das.

Du hast auf jeden Fall mein beileid.

An weihnachten habe ich mich mal von allem zurückgezogen und mir Ruhe gegönnt. Ich habe an heilig Abend mit einem Freund decken und Essen an obdachlose verteilt. Das nicht ganz ohne eigennutz 😅

Ich bin einfach kein Freund von weihnachten. Irgendwer ist mit den Geschenken nicht zu Frieden. Es kostet wieder unglaublich viel Geld und dann rennt man vom Essen zum nächsten Essen. Ich bin einfach nur froh wenn die Feiertage vorbei sind und niemand unzufrieden ist.
Seit Jahren gebe ich den Vorschlag in der Familie weihnachten abzuschaffen und einfach gemeinsam Essen zu gehen. Was wohl jeden günstiger kommen würde und man dann Zeit hat das zu machen was man möchte ohne irgendwelche Pflichttermine einhalten zu müssen.

Du schaffst das alles.
Wenn ich mir das alles so durchlese habe ich das Gefühl das es dir mittlerweile etwas besser geht.
Ich kann mich vielleicht nicht genau in deine Situation hinein versetzen.
Allerdings glaube ich sie dennoch zu kennen.
Manchmal hat man das Gefühl einfach alles hin werfen zu wollen um einfach nur seine Ruhe zu haben und dann steht man doch wieder um vier Uhr auf und schleppt sich durch den Tag. Um sechs ist man dann wieder zuhause und stellt fest das sich die Arbeit entgegen aller Hoffnung nicht von selbst erledigt hat...

Das einzige was wirklich hilft ist wenn man helfenden hat der für einen da ist und einen unterstützt.
Oft reicht es schon wenn man mal jammern kann ohne dafür genervte blicke zu erhalten.

MfG Jonas

Alles auf einmal war scheinbar das Motto des Jahres 2018..Bei mir zumindest.

Ja Weihnachten ist in den letzten Jahren auch nicht gerade mein Freund geworden aber ich gebe dem Fest jedes Jahr aufs Neue eine Chance. Meist vergebens...Finde ich super, dass du die Feiertage für so einen tollen Zweck genutzt hast, das finde ich erstklassig.

Ja genau so sah mein Tag aus und das war das was mich in die Knie gezwungen hat.

Liebe Grüße an dich Jonas

Kleine Anmerkung noch: bei dem Bewußtseinszustand, den Du beschreibst, kann Deine Oma eigentlich gar nicht fremdaggressiv sein, weil ihr gar keine gezielten Bewegungen mehr möglich sind.

Da ich dabei war, weiß ich schon, dass sie es noch kann. Und wenn sie sich dann weigert ins Bett zu gehen, haut sie eben wild durch die Gegend. Dabei erwischt sie im schlimmsten Fall die Haare der Pflegerin oder Möbelstücke. Daher diese blauen Flecke, wobei meine Oma schon immer zu Hämatomen neigte.

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